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Alt 24-10-2006, 21:24   #1
tina
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Traurigkeit

Es war eine kleine Frau, die den staubigen Feldweg entlangkam. Sie war wohl schon recht alt, doch ihr Gang war leicht, und ihr lächeln hatte den frischen glanz eines unbekümmerten Mädchens. Bei der zusammengekauerten gestalt blieb sie stehen und sah hinunter. Sie konnte nicht viel erkennen. Das Wesen, das da im Staub des Weges saß, schien fast körperlos. Es erinnerte an eine graue Flanelldecke mit menschlichen Konturen.

Die kleine Frau bückte sich ein wenig und frage: "Wer bist du?"

Zwei fast leblose Augen blickten müde auf. "Ich? Ich bin die Traurigkeit", flüsterte die Stimme stockend und so leise, daß sie kaum zu hören war.

"Ach, die Traurigkeit!" rief die kleine Frau erfreut aus, als würde sie eine alte Bekannte begrüßen.

"Du kennst mich?" fragte die Traurigkeit mißtrauisch.

"Natürlich kenne ich dich! Immer wieder einmal hast du mich ein Stück des Weges begleitet.""

Ja, aber...", argwöhnte die Traurigkeit, "warum flüschtest du dann nicht vor mir? Hast du denn keine Angst?"

"Warum sollte ich vor dir davonlaufen, meine Liebe? Du weißt doch selbst nur zu gut, daß du jeden Flüchtigen einholst. Aber, was ich dich fragen will: Warum siehst du so mutlos aus?"

Die kleine alte Frau setzte sich zu ihr. "Traurig bist du also", sagte sie und nickte verständnisvoll mit dem Kopf. "Erzähl mir doch, was dich so bedrückt."

Die Traurigkeit seufzte tief. Sollte ihr diesmal wirklich jemand zuhören wollen? Wie oft hatte sie sich das schon gewünscht.

"Ach, weißt du", begann sie zögernd und äußerst verwundert, "es ist so, daß mich einfach niemand mag. Es ist nun mal meine Bestimmung, unter die Menschen zu gehen und für eine gewissen Zeit bei ihnen zu verweilen. Aber wenn ich zu ihnen komme, schrecken sie zurück. Sie fürchten sich vor mir und meiden mich wie die Pest." Die Traurigkeit schluckte schwer. "Sie haben Sätze erfunden, mit denen sie mich bannen wollen. Sie sagen: Papperlapapp, das Leben ist heiter. Und ihr falsches Lachen führt zu Magenkrämpfen und Atemnot. Sie sagen: Gelobt sei, was hart macht. Und dann bekommen sie Herzschmerzen. Sie sagen: Man muß sich nur zusammenreißen. Und sie spüren das Reißen in den Schultern und im Rücken. Sie sagen: Nur Schwächlinge weinen. Und die aufgestauten Tränen sprengen fast ihre Köpfe. Oder aber sie betäuben sich mit Alkohol und Drogen, damit sie nicht fühlen müssen.

"Oh ja", bestätigte die alte Frau, "solche Menschen sind mir schon oft begegnet."

Die Traurigkeit sank noch ein wenig mehr in sich zusammen. "Und dabei will ich den Menschen doch nur helfen. Wenn ich ganz nah bei ihnen bin, können sie sich selbst begegnen. Ich helfe ihnen, ein Nest zu bauen, um ihre Wunden zu pflegen. Wer traurig ist, hat eine besonders dünne Haut. Manches Leid bricht wieder auf wie eine schlecht verheilte Wunde, und das tut sehr weh. Aber nur, wer die Trauer zuläßt und all die ungeweinten Tränen weint, kann seine Wunden wirklich heilen. Doch die Menschen wollten gar nicht, daß ich ihnen dabei helfe. Stattdessen schminken sie sich ein grelles Lachen über ihre Narben. Oder sie legen sich einen dicken Panzer aus Bitterkeit zu." Die Traurigkeit schwieg. Ihr Weinen war erst schwach, dann stärker und schließlich ganz verzweifelt.

Die kleine alte Frau nahm die zusammengesunkene Gestalt tröstend in ihre Arme. Wie weich und sanft sie sich anfühlt, dachte sie und streichelte zärtlich das zitternde Bündel. "Weine nur, Traurigkeit", flüsterte sie liebevoll, "ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammeln kannst. Du sollst von nun an nicht mehr alleine wandern. Ich werde dich begleiten, damit die Mutlosigkeit nicht noch mehr an Macht gewinnt."

Die Traurigkeit hörte auf zu weinen. Sie richtete sich auf und betrachtete erstaunt ihre neue Gefährtin: "Aber... aber - wer bist eigentlich du?"

"Ich" sagte die kleine alte Frau schmunzelnd, und dann lächelte sie wieder so unbekümmert wie ein kleines Mädchen. "Ich bin die Hoffnung."

(Inge Wuthe)
__________________
stelle keine frage,
wenn du nicht weißt,
was du mit der antwort willst.
tina ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 24-10-2006, 23:06   #2
OMI
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Schön.
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Schöne Grüße
OMI
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Alt 25-10-2006, 08:51   #3
simplify
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ich denke hoffnung und eine perspektive ist das wichtigste was menschen brauchen um nicht in depression zu versinken.
__________________


Der ideale Bürger: händefalten, köpfchensenken und immer an Frau Merkel denken
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Alt 25-10-2006, 09:10   #4
Sofix
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hallo tina,

ich hatte hier einen thread, wo diese geschichte gut dazu passen würde

https://www.traderboersenboard.de/for...nachdenkliches
__________________
Gruß Sofix
Sofix ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30-10-2006, 12:52   #5
Dessi
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Die Geschichte ist wirklich schön und sehr lehrreich. Wir Menshcen sind wirklich trickreich in unseren Versuchen, der Traurigkeit davonzulaufen. Aber manchmal muss man sich umdrehen und die Traurigkeit umarmen, damit sie der Hoffnung Platz macht!
Dessi ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16-12-2006, 19:20   #6
Franki.49
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..., darüber sollten wir nachdenken. Eine sehr schöne Geschichte!

__________________
Letzter Funkspruch der TITANIC: "Wir schaffen das!





Gruss Franki
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Alt 17-12-2006, 07:39   #7
william hill
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Zitat:
Original geschrieben von simplify
ich denke hoffnung und eine perspektive ist das wichtigste was menschen brauchen um nicht in depression zu versinken.
Generell kommt es doch auf die Psyche jedes Einzelnen an.
Warum sollte man nicht traurig sein? Es kommt doch darauf
an, was man aus der jeweiligen Situation macht und wie es
danach weiter geht. Der eine versinkt nach Traurigkeit in
Depressionen, der andere dagegen sieht nach vorn.

Es gibt da einen Jemand , dem ging es recht gut. Frau, Kind,
Job, Finanzen, alles passte wunderbar. Er war Anfang 30
und alles lief seinen geregelten Weg.

Und dann schlug es plötzlich auf ihn ein, mit einer Heftigkeit,
die sich wohl niemand vorstellen möchte, privat wie auch
finanziell, so heftig, dass er innerhalb weniger Wochen von
100 auf weniger als null runterfiel. Frau, Kind, Job, Finanzen,
Auto, Wohnung, alles war auf einmal weg.

Dazu auch noch der "beste Freund", den er schon aus Grund-
schulzeiten kannte und denen dieser Jemand selbst zu einem
Superjob verholfen hatte, der dann noch sagte: Ich könnte Dir
ohne weiteres 500 DM geben, aber damit wäre Dir ja auch nicht
geholfen. Auch wusste dieser "Freund", dass dieser Jemand derzeit
noch nicht mal mehr Geld für die nächste Miete hatte.

Alle wendeten sich von diesem Jemand ab (Familie ausgenommen)
und er stand da mit keinerlei Möglichkeiten, irgendwas zu machen.

Was tat dieser Jemand ? Er ging richtig ackern, riss sich zusammen
und nahm jeden Job an, den er bekommen konnte und hatte dabei
nur ein Ziel vor Augen: dass es zu so einer Situation nie wieder
kommen sollte. Dieser Jemand arbeitete täglich 12 Stunden auf
dem Bau, konnte abends vor Schmerzen durch die harte und
ungewohnte Arbeit nicht schlafen, aber kratzte sich ein paar Mark
zusammen und wollte mehr daraus machen. Aus dem Baustellen-
Job wurde bald wieder ein Job im Vertrieb und auch bald wieder
eine Selbständigkeit.

Diesem Jemand gelang es dann innerhalb von 3 Jahren sich
wieder in eine Position zu hebeln, die es ihm sogar erlaubte,
sich einen fast neuen Porsche zuzulegen (was kein Maßstab
sein soll).

Und plötzlich waren sie wieder da, die Freunde (auf die dieser
Jemand aber gut und gerne verzichtete), die mittlerweile Ex-Frau,
die damit gar nicht klar kam und ihm über Jahre noch Steine in
den Weg legte, wenn er seine Tochter sehen wollte, denn dieser
Jemand war ja mittlerweile für viele interessant.

Und wenn dieser Jemand an diese Zeiten zurück denkt, ist er
auch noch gelegentlich traurig, nicht wegen der damaligen
finanziellen Situation, eher weil er nur enttäuscht wurde.
Aber dann sieht er auch, was er aus dieser Situation gemacht
hat und was heute ist und ist auch der überzeugung, dass
alles Negative auch seinen positiven Sinn hat.

Aber ändern möchte dieser Jemand den Verlauf seines Lebens niemals!


__________________


Es bedarf m.e. keiner Hoffnung und auch keiner Perspektive,
sondern eher Ehrgeiz und Ziele. Hätte ich damals keine Ziele
mehr vor Augen gehabt und auch keinen Ehrgeiz, diese irgendwie
zu erreichen, hätte ich mir einen Strick nehmen können...

(Heute mal ohne Smileys)
__________________
have a nice day

wh

Geändert von william hill (17-12-2006 um 09:08 Uhr)
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Alt 25-12-2006, 08:30   #8
william hill
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Traurigkeit, dazu fällt mir noch was ein.

Gestern sind wir zu meiner Schwägerin gefahren, die machen an
Heiligabend immer richtig "Programm", die Kinder singen, spielen
Klavier, tragen Gedichte vor usw, bevor die endlich die Geschenke
auspacken dürfen.

Auf dem Hinweg, wir waren schon etwas knapp dran, haben wir
noch an einer Tankstelle gehalten, um eine Zeitschrift zu kaufen.

Gerade wenn man es eilig hat, ist natürlich jemand vor einem,
der anscheinend nichts anderes zu tun hat, als andere Leute
gemächlich aufzuhalten. Bei der Bank ist es die Schar Rentner,
die Anfang Januar die Zinsen auf 32 Sparbüchern nachtragen
lassen, wenn man selbst nur etwas einzahlen möchte, braucht
man Kleingeld für die Parkuhr und will dies eben wechseln, steht
natürlich genau an der Kasse jemand, der sich gerade mal die
Bedienungsanleitung eines technischen Gerätes erklären lässt.

Naja, wenn man da so an der Kasse steht (Tankstelle) und es
augenscheinlich vor einem irgendwelche Probleme gibt, hört
man schon mal genauer hin.

Dieser Mensch vor mir lies sich alle Preise von Billigzigaretten
vergleichen, die so zwischen 3 Euro und 3,50 liegen. Als er
eine Schachten X verlangte und der Kassierer 3,30 verlangte,
wollte er lieber eine Schachtel Y, "Kostet die nicht 3,15?".

Der Kassierer suchte und es fiel ihm ein, dass eine Schachtel
Z-Lights 3,15 kostet, die der Mann auch haben wollte.
Im Ganzen war er recht einfach gekleidet, halbwegs ungepflegt,
nicht rasiert, schlampige Klamotten, schmutzige Fingernägel.

Er kramte aus seiner Tasche eine Handvoll münzen raus und
suchte sich akribisch die 3,15 zusammen, aber mehr geld war
es auch nicht, vielleicht hatte er noch 3 oder 4 Cent übrig.

Mir ging da so durch den Kopf, dass wir nun zu der Weihnachtsfeier
fahren, den Kofferraum des Wagens voller Geschenke, dazu noch
reichlich Futter am Abend und dieser Mann gönnt sich zu diesem
Tag eine Schachtel Zigaretten!

Ich sagte zu dem Kassierer: Geben Sie dem Mann bitte zwei
Schachteln Marlboro, den Rest übernehme ich.

Ich erntete dafür ein freundliches Lächeln aus ungeputzten
Zähnen, dazu einen erstaunten Blick des Kassierers.

Habe ich eine gute Tat vollbracht? Eher weniger, es gab mir zu
denken und machte mich ein wenig traurig...
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have a nice day

wh
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Alt 25-12-2006, 10:26   #9
PC-Oldie-Udo
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Beiträge: 18.040
"Der Mensch begehret viel, er braucht aber nur wenig "

"Wer Freunde hat muß nicht traurig sein"

"Arm und gesund ist der größte Reichtum"

"Reich und krank ist das größte Elend"

"Bescheidenheit ist eine Tugend"

"Egoismuß und Kroßkotzigkeit ist das größte Übel"

"und wenn du denkst es geht nicht mehr,
dann kommt von irgendwo ein Lichtlein her"

frohe Restweihnachtstage
__________________
Es grüßt euch
Udo

Sei immer ehrlich zu deinem Nächsten, auch wenn er es nicht gerne hört

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Alt 25-12-2006, 10:57   #10
william hill
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Zitat:
"Wer Freunde hat muß nicht traurig sein"
Wer die falschen Freunde hat, braucht keine Feinde...

Zitat:
"Arm und gesund ist der größte Reichtum"

"Reich und krank ist das größte Elend"
Reich und gesund ist wohl der Idealzustand...

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Alt 25-12-2006, 14:02   #11
tina
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oder

vielleicht

reich, gesund, jung und schön
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wenn du nicht weißt,
was du mit der antwort willst.
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Alt 25-12-2006, 14:25   #12
william hill
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Ich wusste, ich hab da noch was vergessen...
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