Prost Russland!
Aus unserer Reihe "Planet Moskau"
MDZ 13-10-2004
Jens Mühling
Jetzt ist es doch passiert. Die Biergartensaison ist zu Ende. Für immer. Wir werden Moskau nicht wiedererkennen: Die biertrinkenden Grüppchen, die bislang an jeder Straßenecke mit Flaschen in der Hand versammelt waren, gehören der Vergangenheit an. Die Duma hat endgültig Ernst gemacht. Als vor rund einem Monat der Feldzug gegen den Gerstensaft begann, waren zunächst lediglich strenge Beschränkungen für Bierwerbung im Fernsehen verhängt worden. Doch schon damals hatten einzelne Abgeordnete für ein generelles Verbot des Bierkonsums in der Öffentlichkeit plädiert. Allen voran Wladimir Schirinowskij, der Bier nicht nur für ein schädliches, sondern auch für ein zutiefst unrussisches Getränk hält: �Man muss sich doch nur die Biertrinkernationen dieser Welt ansehen�, wetterte der Ultranationalist vor versammelter Duma, �Deutsche, Tschechen: alle hässlich!�
Damals war Schirinowskijs Vorstoß noch abgeschmettert worden, jetzt aber soll dem öffentlichen Bierkonsum endgültig ein Riegel vorgeschoben werden. Der Zeitpunkt sei gekommen, hieß es in der Duma, die nationale Sicherheit gehöre mit allen Mitteln verteidigt, auch und gerade und besonders nach Beslan!
Da lässt sich natürlich nichts mehr einwenden, denn wer will sich schon auf die Seite von Terroristen schlagen? Allein � die Frage sei erlaubt: Was hat Bier eigentlich mit Terror zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel. Vielleicht ungefähr so viel wie die Gouverneurswahlen, die ja mit der gleichen Argumentation abgeschafft wurden: nationale Sicherheit und so. Oder wie die Balkontür in meinem Redaktionszimmer, die unter keinen Umständen geöffnet werden darf, weder bei 35 Grad Hitze noch bei Knoblauchdünsten aus der angrenzenden Küche. Und zwar deshalb, weil der Balkon in eine Feuertreppe mündet, die hinunter auf das Grundstück des benachbarten Autobuslagers führt. Ein strategisches Objekt, versichert mir der Hauswart, der den Schlüssel nicht rausrückt, Sie verstehen schon: Terrorgefahr. Ich verstehe schon.
Neulich habe ich mich mit einer russischen Bekannten gestritten. �Ihr spinnt doch alle mit Eurer Terrorangst!�, rief ich aufgebracht, �Gouverneuere, Bier, Feuertreppen � was soll denn noch alles verboten werden?� Nastja fand meine Befürchtungen übertrieben: �Du hast gut reden, bei Euch in Deutschland gibt�s ja auch keine Terroristen.� Ich ignorierte ihren Einwand: �Als nächstes verbieten sie Miniröcke! Wegen der nationalen Sicherheit!� Plötzlich guckte Nastja doch etwas erschrocken, sie trägt gerne Kurzes. �Meinst Du, es ist wirklich schon so schlimm?�, fragte sie, und biss sich betreten auf die Unterlippe. Ich merkte, dass ich etwas übers Ziel hinausgeschossen war. �Weiß nicht. Nein. Vielleicht. Keine Ahnung.�
Die Diskussion wurde dann etwas versöhnlicher. In aller Sachlichkeit ließen wir uns noch einmal die Faktenlage durch den Kopf gehen, um uns schließlich auf folgenden Befund zu einigen: Wenn Gouverneure betrunken auf Feuertreppen klettern, um Mädchen unter die Röcke zu gucken, dann ist das kein schöner Anblick. In keinem Land dieser Erde. Also: Prost Russland!
