Zurück   Traderboersenboard > Allgemeiner Talk > Tradercafe

Antwort
 
Themen-Optionen
Alt 15-01-2007, 12:54   #1
romko
TBB Family
 
Benutzerbild von romko
 
Registriert seit: Jan 2004
Ort: Bösi Ösi
Beiträge: 9.423
Jobhölle Wall Street

aus: www.welt.de

Das Ende von Melanie Jones Karriere kam in einer Freitagnacht. Nach einer fast schlaflosen Woche brach sie um zwei Uhr morgens mit einem Heulkrampf vor ihrem Computerbildschirm zusammen. "Ich konnte einfach nicht mehr aufhören zu weinen", sagt sie. In dieser Nacht vor gut einem Jahr wurde der heute 30-jährigen klar, dass sie so schnell wie möglich weg wollte von ihrem Arbeitgeber: Goldman Sachs, der größten Investmentbank der Welt. Dem Arbeitgeber, der ihr seit Monaten Panikattacken und Schlaflosigkeit beschert hatte. Auch wenn sie wusste, dass dies das Ende ihrer Karriereträume bedeutete.

Eine Erfahrung wie Jones (Name geändert), die ihre Geschichte der WELT erzählte, werden auch in diesem Jahr wieder viele Berufseinsteiger an der Wall Street machen. 300 bis 400 Universitätsabsolventen aus der ganzen Welt ergattern jährlich einen der begehrten Jobs bei Investmentbanken oder Hedgefonds in der Finanzmetropole. Die meisten von ihnen sind hoch qualifiziert, extrem motiviert, und träumen davon, eine steile Karriere wie aus dem Hollywoodfilm zu machen.


Doch anstatt in Reichtum und Glück endet die Wall-Street-Laufbahn für viele Nachwuchsbanker in Depressionen, Trinksucht oder Angstzuständen. "Der Anteil Stresskranker und Alkoholabhängiger ist an der Wall Street signifikant höher als im Bundesdurchschnitt", sagt Psychologe Alden Cass, der seine Doktorarbeit über Stresskrankheiten bei New Yorker Aktienhändlern geschrieben hat und heute New Yorker Manager psychologisch behandelt. Seine Forschungsergebnisse ließen sich auf die gesamte Wall Street übertragen, sagt Cass: Demnach leidet rund ein Fünftel aller 20- bis 30-jährigen der Berufsgruppe unter Depressionen oder Angstzuständen. Im US-Durchschnitt liegt die Zahl bei nur sieben Prozent. "Ich höre immer häufiger von Karriereabbrechern, die dem Druck nicht mehr standhalten."

Melanie Jones lebte lange unter dem Druck, eine steile Laufbahn hinlegen zu müssen. Goldman Sachs schien der perfekte Arbeitgeber. Schließlich sei das traditionsreiche Geldhaus der Wunschtraum der meisten Wirtschaftsstudenten, erzählt die Asiatin mit den langen dunklen Haaren. Um ihre Geschichte zu erzählen, hat sich Melanie zu einem Treffen in einem versteckten Teehaus in Chinatown überreden lassen. Während sie in Wharton an ihrem Master-Abschluss arbeitete, fuhr sie immer wieder für neue Vorstellungsrunden nach New York. "In den Vorstellungsgesprächen war immer vom Teamgeist bei Goldman Sachs die Rede, darauf wurde besonderen Wert gelegt", sagt sie.

Unmittelbar, nachdem sie den Vertrag unterschrieben hatte, war davon allerdings keine Rede mehr. "Wir fuhren mit einer Gruppe anderer Jobanfänger in ein Ausbildungscamp. Es war wie beim Militär. Der Trainer beschimpfte uns, ließ uns spüren: Wir interessieren uns nicht für Dein Leben, Du bist austauschbar." Im New Yorker Büro ging es im selben Ton weiter. Ihre Kollegen machten sich gegenseitig bei den Chefs schlecht, wo es nur ging, anstatt Teamgeist gab es unfaire Konkurrenz und Treten nach unten. "Mein Chef sagte mir vor dem Wochenende immer: Nehmen Sie sich nichts vor, ich werde Sie vielleicht brauchen." Schon da fühlte sich ihre Kehle immer häufiger wie zugeschnürt an, erzählt Melanie Jones.

"Unsere Vorgesetzten bevorzugten nicht die Mitarbeiter mit den besten Leistungen, sondern diejenigen, die sich am meisten anbiederten", sagt Melanie. Und die abends am längsten im Büro blieben. Auch, wenn sie dabei gar nicht arbeiteten. "Face Time" wird das an der Wall Street genannt. Einige Angestellte versuchten, diese Zeitverschwendung zu umgehen, in dem sie abends vor dem Feierabend eine Jacke über den Stuhl hängten und auf dem Bildschirm eine Excel-Tabelle öffneten, um den Anschein zu erwecken, sie seien noch im Büro. So machte es auch Melanie. Doch eine missgünstige Kollegin bemerkte das und verpetzte sie beim Chef.
__________________
"Ein Spiel dauert 90 Minuten und am Ende gewinnt Deutschland!"
romko ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15-01-2007, 12:54   #2
romko
TBB Family
 
Benutzerbild von romko
 
Registriert seit: Jan 2004
Ort: Bösi Ösi
Beiträge: 9.423
Teil 2

Von da an machte der ihr Leben noch weitaus schwerer. Er gab ihr unangenehme Sonderaufgaben übers Wochenende, steckte sie in Teams mit den schlimmsten Cholerikern. Das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, kam immer häufiger. Irgendwann stellten sich auch Schlaflosigkeit und scheinbar grundlose Angstausbrüche ein. Als ein Vorgesetzter sie eines Abends fünf Minuten am Stück wegen eines unbedeutenden Fehlers anschrie, kam ihr Zusammenbruch vor dem Computerbildschirm. Und die Entscheidung: Ich muss hier weg, ohne Rücksicht auf Karriereaussichten. "Meine Gesundheit hat das einfach nicht mehr mitgemacht", sagt Melanie.

Psychologe Alden Cass kennt Melanie zwar nicht, hat aber täglich Fälle wie sie in Behandlung. In seinem Büro, das in einem Büroturm mitten in Manhattan liegt, betreuen er und die neun Mitarbeiter seiner Firma "Catalyst Strategies Group" Wall Street-Banker, die dem Druck der Finanzmetropole nicht mehr standhalten. "Viele kommen zu mir und fragen: Wie kann es sein, dass ich trotz meines ganzen Geldes so unglücklich bin?", sagt Cass.


Vor allem in den großen Investmentbanken würden Berufseinsteiger häufig gedemütigt und wie Verfügungsmasse behandelt - und das nicht nur in Einzelfällen, sondern regelmäßig. Tatsächlich hat fast jeder Berufseinsteiger, den man in der Stadt kennen lernt, haarsträubende Geschichten aus seinem Büro zu erzählen.

Die Mitarbeiterin eines Aktienanalysten bei der Investmentbank Morgan Stanley sagt, sie werde regelmäßig von ihrem Chef am Freitagnachmittag dazu verdonnert, bis Samstag Mittag einen ausführlichen Bericht über diese oder jene Aktie zu schreiben. Wenn sie nach der erzwungenen Extra-Schicht den Bericht fertig habe, bekomme sie vom Chef anstatt einem Lob meistens eine knappe Email in scharfem Ton: "Wie konnten Sie übersehen, dass auf Seite drei ein Tippfehler ist?"

Als besonders schlimm beschreibt ein junger Banker bei der Citigroup das Betriebsklima in seinem Büro. Fast täglich müssen er und seine beiden Kollegen sich vom Vorgesetzten anschreien lassen. Mit den Leidensgenossen im nächsten Bürokasten jenseits der Pappwand darüber zu sprechen, wagt er nicht. "Wir reden nie privat miteinander. Ich weiß schließlich nicht, ob ich den Kollegen trauen kann", sagt er. Manchmal sieht er einen anderen Mitarbeiter am anderen Ende des Großraumbüros, der gerade entlassen wurde und unter den neugierigen Blicken der Kollegen seine Kisten zusammenpacken muss. "Ich habe mich noch nie getraut, nach dem Grund für die Entlassung eines Kollegen zu fragen", sagt er, "das könnte als Aufsässigkeit ausgelegt werden."

Nur in anonymen Internetportalen wie der Seite www.vault.com trauen sich die verschüchterten Banker, ihre Anklagen deutlich zu formulieren. Dort kommen teilweise heftige aufgestaute Gefühle an die Oberfläche. "Die Vorgesetzten lassen Dich ständig spüren, dass sie Dich für inkompetent halten und lassen Dein Selbstwertgefühl immer kleiner werden", schreibt etwa der Mitarbeiter eines Goldman Sachs-Analysten. "Die Chefs sind extrem arrogant, und unter den Mitarbeitern herrscht Angst", beschreibt ein Angestellter der Investmentbank Bear Stearns verbittert seine Arbeit, und meint resigniert: "Wir sind nicht mehr als Lohnsklaven."
__________________
"Ein Spiel dauert 90 Minuten und am Ende gewinnt Deutschland!"
romko ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15-01-2007, 12:55   #3
romko
TBB Family
 
Benutzerbild von romko
 
Registriert seit: Jan 2004
Ort: Bösi Ösi
Beiträge: 9.423
Teil 3

Für Sklaven sind die Nachwuchsbanker zwar ausnehmend gut bezahlt. Ein Junior-Analyst verdient im Jahr mindestens 55 000 Dollar (42 000 Euro), dazu kommen ein Jahresendbonus zwischen 15 000 und 40 000 Dollar und eine Einmalzahlung von mindestens 10 000 Dollar bei der Vertragsunterzeichnung. Reich werden die so genannten Associates (Mitarbeiter) trotzdem nicht. Die meisten von ihnen haben während des Studiums, meist an teuren Eliteschulen wie Wharton in Pennsylvania oder Harvard, Studentendarlehen aufgenommen, die sie von ihren Antrittsgehältern abstottern müssen. Schuldenberge von 80 000 bis 100 000 Dollar sind nicht ungewöhnlich. Viele unterschreiben zudem im ersten Glücksrausch Kaufverträge für teure Appartements in Manhattan - und binden sich damit an ihre gut bezahlten, aber oft unerträglichen Jobs.

Viele Wall Street-Junioren werden sogar psychisch abhängig vom Geld, sagt Jonathan Foreman, ein ehemaliger Wall Street-Rechtsanwalt, der heute über seine Erfahrungen schreibt: "Nach einem zwölf Stunden-Tag oder einem Streit mit dem Chef hilft es ungemein, sich mit einer Seidenkrawatte für 80 Dollar zu belohnen. Doch dann braucht man mehr und mehr Krawatten oder Anzüge - und schon bald kann man sich das Leben ohne ein enormes Gehalt nicht mehr vorstellen."


Etliche der jungen Angestellten geben sich selbst das Versprechen, nur noch bis zur nächsten Bonusrunde abzuwarten und dann den Schlussstrich zu ziehen. Bei Goldman Sachs, der berühmtesten und erfolgreichsten aller Investmentbanken, sind die Bonuszahlungen am höchsten: 2006 zahlte sie 16,5 Milliarden Dollar Boni, das sind fast 625 000 Dollar pro Mitarbeiter. Jobanfänger kassieren allerdings weit weniger.

Auch der Druck von Familie, Freunden und Studienkollegen trage häufig dazu bei, den Job weiter zu ertragen. "Wer nicht durchhält und anstatt bei einer Investmentbank nur noch bei einer Geschäftsbank arbeitet, gilt als Versager", sagt Foreman. Das Büro von Berater Cass ist eine Mischung aus einer psychiatrischen Praxis, wie man sie aus amerikanischen Filmen kennt, und einem Banker-Büro: Neben der Ledercouch hängt ein Plakat des Films "Wall Street" an der Wand, auf seinem Schreibtisch steht die Miniatur eines Bronzebullen. Cass, der sich selbst den "Stockdoc" (Aktiendoktor) nennt, hat schon Fälle erlebt, in denen erfolgreiche Investmentbanker vor Verzweiflung ihre Karriere abbrachen, um Taxifahrer zu werden. Andere Banker schotten sich auf dem Weg an die Spitze immer mehr emotional ab: "Sie nehmen ihre Frau und Kinder nur noch als eine weitere Aufgabe wahr, die gemeistert werden muss." Solche Fälle nennt Cass "Ice Men", Männer aus Eis.

Auch Melanie Jones hat so einen Fall erlebt, eine ihrer Vorgesetzten bei Goldman Sachs. "Sie bekam nie ihre beiden Kinder zu Gesicht, und sprach von ihnen immer nur als Last", sagt sie. "Ein Glück, dass ich nicht so geworden bin!" Melanie arbeitet heute bei einem großen Finanzdienstleister. Auf einer niedrigeren Position und mit weniger Geld, dafür mit mehr Freizeit - und netten Kollegen.
__________________
"Ein Spiel dauert 90 Minuten und am Ende gewinnt Deutschland!"
romko ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15-01-2007, 13:25   #4
OMI
Gründungsmitglied
 
Benutzerbild von OMI
 
Registriert seit: Sep 2000
Ort: Bayern
Beiträge: 82.693
Guter Artikel!
__________________
Schöne Grüße
OMI
OMI ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15-01-2007, 14:27   #5
Auf Wunsch gelöscht
TBB Family
 
Benutzerbild von Auf Wunsch gelöscht
 
Registriert seit: Jul 2004
Beiträge: 3.211
Ja finde ich auch.
Wobei ich auch einige gute Kontakte in diese Branche habe und diese Horror Geschichten so nicht bestätigen kann.
Mein Cousin arbeitet als Beispiel auch bei einer grossen Investment Bank in New York aber ihm scheint es sehr viel Spass zu machen und er sagt das es eigentlich ganz okay ist vom Umgang.

Damit ist natürlich schon gemeint, das es etwas rauher zugeht und die Leistung wirklioch zu 100% stimmen muss und natürlich auch der Einsatz, aber so wie in dem Artikel beschrieben hört sich das ja eher an wie ein Bootcamp.
__________________
"Mittagessen? Nur Flaschen essen zu Mittag!"
Auf Wunsch gelöscht ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15-01-2007, 14:44   #6
romko
TBB Family
 
Benutzerbild von romko
 
Registriert seit: Jan 2004
Ort: Bösi Ösi
Beiträge: 9.423
Ich glaub auch nicht dass der beschriebene Fall die Regel ist, kommt sicher auch vor. Das Leben in der Finanzbranche ist eben hart.
__________________
"Ein Spiel dauert 90 Minuten und am Ende gewinnt Deutschland!"
romko ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20-01-2007, 11:00   #7
Auf Wunsch gelöscht
TBB Family
 
Benutzerbild von Auf Wunsch gelöscht
 
Registriert seit: Jul 2004
Beiträge: 3.211
Ein ganz ähnlicher Artikel steht auch in der WE ausgabe der Financial Times Deutschland.
Habe ihn gerade unter den "Finanzen" gefunden....
__________________
"Mittagessen? Nur Flaschen essen zu Mittag!"
Auf Wunsch gelöscht ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20-01-2007, 12:24   #8
william hill
TBB Family
 
Benutzerbild von william hill
 
Registriert seit: Mar 2003
Ort: NRW und Spanien
Beiträge: 2.689
Naja, die Leute könnten sich ja auch einen Job bei der Volksbank in
Arschbackenwerda suchen, aber es hat ja immer auch pekuniäre Gründe.
Man kann natürlich nicht verlangen, dass man Millionen im Jahr verdient
und dabei eine ruhige Kugel schieben kann.

Ausnahmen (wie bei mir) bestätigen natürlich die Regel...
__________________
have a nice day

wh
william hill ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19-03-2007, 08:37   #9
20:15
TBB Starmember
 
Registriert seit: Oct 2004
Beiträge: 189
Das ist sicherlich kein Zuckerschlecken, aber für diesen Artikel wurde auch sicherlich einer der krasseren Fälle rausgesucht...Felix

Geändert von 20:15 (19-03-2007 um 08:55 Uhr)
20:15 ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen


Forumregeln
Es ist Ihnen nicht erlaubt, neue Themen zu verfassen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, auf Beiträge zu antworten.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Anhänge hochzuladen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Ihre Beiträge zu bearbeiten.

BB-Code ist an.
Smileys sind an.
[IMG] Code ist an.
HTML-Code ist aus.

Gehe zu


Es ist jetzt 23:16 Uhr.


Powered by vBulletin® Version 3.8.4 (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2024, Jelsoft Enterprises Ltd.