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Alt 08-11-2007, 17:52   #1
Auf Wunsch gelöscht
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Kickt Koks die Sportelite?

Von Kathrin Zinkant
Nach dem Fall Hingis gibt sich die Tenniswelt geschockt - dabei ist Kokain eines der ältesten Dopingmittel im Leistungssport. Über die beflügelnde Wirkung einer vermeintlichen Partydroge.
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Da war doch schon mal was? Genau: Diego Maradona, das argentinische Fußballgenie schlechthin, wurde vor mehr als 15 Jahren positiv auf Kokain getestet. Und wenig später wegen Kokainbesitzes verurteilt. Im Jahr 2000 erlitt das Idol zudem einen Herzinfarkt - weil es zu viel gekokst hatte. Auch Mats Wilander, 1988 noch Weltranglistenerster im Tennis, musste nach einem positiven Kokaintest 1995 den Schläger abgeben. Und erst im vergangenen Jahr empörte sich ganz Schweden über den ehemaligen Hochsprung-Weltmeister Patrick Sjöberg, der gemeinsam mit dem Hürdenläufer Sven Nylander beim Koksen erwischt wurde. Der Weltrekord-Halter im Hochsprung, Javier Sotomayor, stolperte seinerseits vor acht Jahren über eine positive Kokainprobe.

Eine illustre Reihe internationaler Topathleten, zu der sich nun auch die Weltranglisten-Erste im Damentennis von 1997 bis 2001 gesellt. Dass Martina Hingis während des diesjährigen Turniers in Wimbledon Kokain im Urin hatte, ist kaum mehr zu bestreiten: Sowohl die A- als auch die B-Probe waren positiv. Wie viele andere Sportler mit positivem Test auf Kokain behauptet Martina Hingis aber, man habe ihr die Droge unbemerkt untergejubelt, sie ihr ins Essen gemischt. Andere Verdächtige hatten immerhin gestanden, sie hätten den Stoff zwar illegal, aber nicht zu Dopingzwecken, sondern zum Privatvergnügen auf Partys konsumiert. Gezieltes Doping mit dem weißen Stoff indes hat bisher noch keiner der Kandidaten zugegeben.

Sollte man den Erklärungen der verdächtigen Sportlern in diesem Fall vielleicht einmal glauben? Kokain gilt als ähnlich harte Droge wie Heroin, das Suchtpotenzial ist groß. Was sollte ein hochgefährliches und dazu noch verruchtes Rauschmittel den Sportlern überhaupt bringen? Dies zu beantworten ist leider nicht so einfach wie im Fall Epo. Während das blutbildende Erythropoietin allein auf den Körper wirkt und für einen Sportler deshalb klar nur einen Zweck erfüllen kann, die verbotene Leistungssteigerung nämlich, liegen die Dinge beim Kokain etwas komplizierter. Denn dies ist eben eine Psychodroge.

Zwar hat Kokain neben seiner rein berauschenden Effekte auch eine recht gute schmerzstillende Wirkung, und ist deshalb im Einzelfall auch als Arzneimittel zulässig. Herausragend ist aber die Wirkung auf das vegetative Nervensystem und die psychische Verfassung der Konsumenten. Cocain, ein ziemlich kompliziert gebautes Alkaloid aus der Coca-Pflanze, greift direkt in die Signalübertragung bestimmter Nervenzelltypen ein. Es verhindert, dass die Botenstoffe dieser Zellen, Neurotransmitter genannt, nach einer Erregungsleitung wieder aus dem Verkehr gezogen werden. Die Botenstoffe können ihr Signal deshalb dauerhaft und mit Nachdruck vermitteln - ein Prinzip, das auch moderne Antidrepressiva nutzen.

Diese biochemische Blockade äußert sich rein körperlich folgendermaßen: Der Konsument kann sich vollkommen konzentrieren, er wird partout nicht müde und verspürt zudem auch keinen Hunger - selbst wenn er sich anstrengt und ein Energiedefizit aufbaut. Andere, positive Sinneswahrnehmungen dagegen werden intensiver, das Wohlbefinden wächst und jede Hemmung geht verloren. Kokain ist deshalb vor allem eine Selbstwert-Droge: Der Kick löscht Versagensängste vorübergehend völlig aus, und das ist vermutlich einer der Gründe, warum das Rauschmittel in Stressberufen so beliebt ist - eben auch im Spitzensport.

Der Verlust jeglicher Selbstzweifel durch Kokain spielt dabei die herausragende Rolle. Im Fall Hingis wird darüber spekuliert, ob die einstige Tenniskönigin womöglich versuchte, ihre körperliche Unterlegenheit gegenüber den neuen Amazonen des weißen Sports zu vergessen. Und welchem Topathleten würde es nicht nützen, sich so toll zu fühlen, dass keiner der Konkurrenten auch nur die geringste Chance hätte?

Doping per Kokain ist trotzdem relativ selten, und das hat gute Gründe. Da ist zum einen die Wirkungsdauer. Kokain lässt sich zwar auch spritzen, schlucken oder - als sogenanntes Crack - rauchen. Den längsten Rausch aber erzeugt die Schnupfvariante. Das Säuresalz des eigentlichen Wirkstoffs löst sich in den Schleimhäuten der Nase und entfaltet nach rund 30 Minuten seine volle Wirkung. Der Rausch selbst dauert dann maximal eine Stunde, bisweilen aber auch nur eine halbe. Crack oder gespritztes Kokain wirken schneller, innerhalb von Sekunden sogar, dafür verfliegt die Wirkung auch recht schnell wieder: binnen zehn Minuten ist alles vorbei.

Für den Hochspringer mag die eine oder halbe Stunde reichen. Was aber macht die Tennisspielerin im dritten Satz, wenn die Wirkung des Kokains verfliegt - und jener schlechten Stimmung Platz macht, die nahezu sicher auf einen Koksrausch folgt? Im Saft gelöstes Kokain kann da kaum helfen, die Bioverfügbarkeit über den Magen-Darmtrakt ist zu gering, das Risiko aufzufliegen dafür viel zu hoch. Und wer den Drogenschrank der Dopingärzte kennt, weiß ohnehin: Kokain mag Vorteile bieten, im Zweifelsfall aber gibt es eine Menge anregender Alternativen.
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"Mittagessen? Nur Flaschen essen zu Mittag!"
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