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Alt 27-12-2006, 23:23   #6
Auf Wunsch gelöscht
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2.Teil

Heinle spricht lieber von „Menschen mit besonderen Alleinstellungsmerkmalen". Etwa 60 Prozent seiner Klienten sind ungelernte Hilfsarbeiter, viele von ihnen Migranten mit bescheidenen Deutschkenntnissen, viele über 40 – Menschen also, deren Arbeitslosigkeit in den Jobcentern und Arbeitsagenturen in der Regel nur noch verwaltet wird. „Ich bekomme die Leute, bei denen die Jobcenter nicht wissen, was sie mit ihnen anfangen sollen", sagt Heinle.

Wer motiviert ist, findet leichter einen Arbeitsplatz

Seine Erfolgsquote ist beeindruckend. In den vergangenen fünf Jahren hat Heinles Institut mehr als 1000 Langzeitarbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt oder in die Selbstständigkeit vermittelt. Heinles Bilanz: „Zugewiesen wurden uns etwa 4000 Klienten. Rund ein Drittel ist erst gar nicht erschienen – damit akzeptieren sie die Streichung des Arbeitslosengeldes. Und ein weiteres Drittel fliegt wegen fehlender Mitwirkung raus: Coaching und Arbeitssuche ist ein Fulltime-Job, die haben hier eine 40-Stunden-Woche."

Allein dadurch, dass ein erheblicher Teil der Klienten lieber auf Arbeitslosengeld verzichtet, spart die Stadt München Millionen. Arbeiteten Vermittlungscoach-Unternehmen bundesweit nach Heinles Methode, wären Einsparungen im Milliardenbereich möglich – schon durch die Abschaffung der teuren Kontrollbürokratie.

Ein Nebeneffekt des Fulltime-Jobs im Coaching-Institut ist die soziale Integration. Wer während der Arbeitslosigkeit in Alkoholismus oder Depressionen abgerutscht ist, hat in der Coaching-Gruppe wieder ein soziales Echo und einen strukturierten Tagesablauf. Und muss sich entscheiden, ob er sich aufgeben oder selbst aktiv werden will. Heinles Coaching-Programm ist kein Kuschelzoo, die Spielregeln sind klar: Wer nicht jeden Tag im Institut in einer alten Textilfabrik im Münchener Osten erscheint und mitarbeitet, bekommt Ärger.

„Von denen, die arbeitsfähig sind und mitarbeiten, vermitteln wir etwa 80 Prozent in den ersten Arbeitsmarkt oder in die Selbstständigkeit. 70 Prozent sind nach einem Jahr noch in dem Job, in den wir sie vermittelt haben", sagt Heinle. Das Institut trägt sich selbst – und arbeitet bei einer schwierigen Klientel ungleich billiger als die Arbeitsagenturen.

Heinle: „Wir nehmen jeden Klienten, der uns zugewiesen wird. Und verdienen erst Geld, wenn die Leute kein Arbeitslosengeld II mehr beziehen. Dann zahlt uns die Münchener Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung (eine Kooperation von Arbeitsagentur und Sozialamt) 2600 Euro. Zum Vergleich: Die Arbeitsagenturen rechnen mit Eingliederungskosten von 8000 bis 32 000 Euro pro Fall. Wir betreuen die Leute, bis der Erfolg eintritt – wir werden sie nicht mehr los, außer wenn sie nicht mitarbeiten. Ich sitze mit dem Arbeitssuchenden in einem Boot. Ich bin dazu verdammt, an ihn zu glauben."

Das klingt nach einem Wunder. Oder wie eine Methode, von der man viel lernen kann. Heinle ist kein Scharlatan. Funktionierte seine Methode nicht, wäre er längst bankrott. Von Rose Langer, der für die Arbeitsvermittlung zuständigen Spitzenbeamtin im Bundesarbeitsministerium, bis zu Michael Baab, dem Geschäftsführer der Münchener Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung, die Heinle im Auftrag der Arbeitsagentur die Arbeitslosen zuweist, betonen die Verantwortlichen, wie sehr sie seine Arbeit schätzen. Im vergangenen Jahr bekam er den Innovationspreis der SPD.

Der Sozialpädagoge Heinle setzt auf das Eigenengagement seiner Klienten. Das will er freisetzen – und macht damit ziemlich genau das Gegenteil des traditionellen Sozialstaats, der Bedürftige entweder mit Transferzahlungen ruhig stellt oder in Maß-nahmen parkt, über die nicht der Betroffene, sondern der Sachbearbeiter entscheidet.

Die Frage ist: Was willst du tun? Unabhängig von Qualifikationen

Heinle nimmt etwas ernst, was die Mitarbeiter der Arbeitsagenturen in der Regel nicht besonders interessiert: die Wünsche der Menschen. „Am Anfang fragen wir die Leute: Was würdest du machen, wenn du alle Möglichkeiten hättest?", so Heinle. „Das ist zuerst mal völlig unabhängig von der beruflichen Qualifikation. Dadurch entsteht Motivation. Ich muss die Alleinstellungsmerkmale der Menschen herausarbeiten, das, was nur sie können, was ihre Leidenschaft ist, was sie wirklich machen wollen. Arbeitslos werden Leute, die eine Arbeit machen, zu der sie keine Lust haben. Die erste Frage ist: Was würden Sie in fünf Jahren gern machen? Das wird aufgemalt. Dann lasse ich sie das Bild erklären."

Und was, wenn die Traumberufe komplett illusionär sind, so wie bei dem ungelernten Hilfsarbeiter ohne Führerschein mit Alkoholproblem, der gern ein Rennfahrer wie Michael Schumacher wäre? Dann arbeitet Thomas Heinle aus dem irrealen Wunsch den realen Kern heraus. „Das Entscheidende für den Möchtegern-Rennfahrer war, mit einer gewaltigen Maschine rumzufahren und durch die Maschine ein Gefühl von Stärke zu haben", erinnert sich Heinle. „Dem geht es heute prächtig als Baggerfahrer auf einem Schrottplatz. Als Einstiegslohn verdient er weniger als früher mit Hartz IV, und trotzdem ist er glücklich mit seiner Arbeit. Bekommen hat er den Job, weil ihm der Arbeitgeber geglaubt hat, dass er genau diese Arbeit und keine andere will."

Was zuerst wie ein Hirngespinst klingt, der Traum von der Rennfahrerkarriere, wird geerdet. So wird ein Ideal zum Kapital des Arbeitssuchenden: Er hat entdeckt, dass es etwas gibt, was er wirklich gern machen will. „Das Thema Geld tritt dann in der Regel in den Hintergrund – wichtiger ist, dass die Arbeit Spaß macht", hat Heinle beobachtet. „Der O-Ton vieler Klienten ist: ,Hauptsache, das Sozialamt schikaniert mich nicht mehr, mit den Arschlöchern will ich nichts zu tun haben.‘ Die Arbeiten, die die Menschen durch ihre eigenen Visionen finden, sind vielleicht McJobs. Aber sie haben für jeden Einzelnen etwas Sinnstiftendes – und es ist kein blödsinniger Ein-Euro-Job, hinter dem so eine Arbeit-macht-frei-Ideologie steckt. Außerdem ist jeder Job eine Chance zum Aufstieg und zur Weiterqualifikation."

Wer eine Aufgabe interessant findet, lernt gern Neues

Auch wenn die Zukunftsvision Motivation freisetzt – sie ändert nichts an Qualifikationsdefiziten. Die Hürden, die die Leute von ihrem Ziel trennen, werden im Coaching systematisch zu lösbaren Problemen klein gearbeitet. „Nach der aufgemalten Vision benennen wir die Stolpersteine", sagt Heinle. „Das kann die fehlende Ausbildung sein, eine Leseschwäche, aber auch ein Alkoholproblem oder verfaulte Zähne. Aber einen Teil der Stolpersteine kann man aus dem Weg räumen. Bei Leuten, die sich aus Langeweile in der Arbeitslosigkeit ans Trinken gewöhnt haben, reicht oft schon das Coaching, damit das Trinken in den Hintergrund tritt. Oder es gibt den Impuls, eine Therapie zu machen."

Indem Heinle bei den Wünschen der Menschen ansetzt, macht er etwas Ähnliches wie die Innsbrucker Kompetenzenbilanz: Seine Klienten entdecken Fähigkeiten, die ihnen nicht bewusst waren. Heinle erzählt eine Fallgeschichte: „Ein griechischer Produktionshelfer, knapp 30, antwortet auf die Frage, was er am liebsten machen würde: ,mit dem Fahrrad nach China fahren‘. Es kommt raus, dass er ein begeisterter Fahrradfahrer ist, der mit dem Rad schon in Indien war. Seine erste Aufgabe: eine Powerpoint-Präsentation über seine Indien-Reise. Der saß noch nie am Computer und hat für diese Präsentation in zwei Wochen gelernt, mit dem Computer zu arbeiten. Was meinen Sie, wie der uns genervt hat, damit wir ihm den PC erklären. Aber die Energie kam von ihm, nicht von uns. Der Mann ist heute für ein deutsches Touristik-Unternehmen Fremdenführer auf Kreta."

Ein anderer Fall, der viel über den Zusammenhang zwischen Motivation, Selbstbild und Lernprozessen erzählt, ist der einer arbeitslosen Supermarkt-Mitarbeiterin. Heinle: „Eine Filialleiterin wollte unbedingt im Büro arbeiten. Ihre Leiden-schaft waren Autos, und über ein Praktikum kam sie in ein Internet-Autohaus. Innerhalb von drei Monaten hat sie dort das Büro organisiert. Klar war, dass sie Schreibmaschine lernen muss, ein Volkshochschulkurs war aber zu teuer. Also hat sie sich einen Lehrgang übers Internet runtergeladen, und wir haben ihr zum Üben einen alten PC gegeben. Hätte ich ihr gesagt, sie solle einen Schreibmaschinenkurs machen, ohne dass sie eine Idee gehabt hätte, die sie antreibt, hätte das nichts gebracht. Aber genau das machen die Arbeitsagenturen: Die Sachbearbeiter drücken den Leuten irgendwelche teuren Kurse rein, die dann ohne jede Motivation abgesessen werden."

Wer seine Fähigkeiten kennt, kann flexibel sein

Was Heinle seit fünf Jahren tut, ist genau das, was eine aktuelle OECD-Studie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit empfiehlt: Eine „Strategie der gegenseitigen Verpflichtung", bei der die Erwerbslosen gezielt Hilfe bei der Ausbildung und Jobsuche erhalten und sich im Gegenzug zur aktiven Jobsuche verpflichten. So kann aus dem verwaltenden und entmündigenden Sozialstaat, der Problemfälle aussortiert und mit Transferzahlungen abspeist, eine Hilfe zur Selbsthilfe werden – im besten Sinne ein Diener des Volkes.

Wolfgang Heise war 47 Jahre alt, als er die Kündigung bekam. Der Berliner Ingenieur für Nachrichten- und Regelungstechnik war 28 Jahre fest angestellt, erst bei Siemens, dann bei der deutschen Tochter des US-Unternehmens Tektronix. Als sein Bereich bei einer Umstrukturierung abgespeckt wurde, kam für Heise das Aus. Schon davor war er mit seiner Arbeitssituation unzufrieden gewesen. Die starke Betonung der Hierarchie im Unternehmen ließ ihm kaum Raum für Eigeninitiative. Heises Glück: Der Betriebsrat hatte in den Sozialplan hineinverhandelt, dass der Arbeitgeber den Entlassenen eine Beratung bei den Outplacement-Profis von Rundstedt HR Partners bezahlt.

Noch heute, zwei Jahre nach seinem Coaching, spricht Thomas Heise voller Euphorie über diese Erfahrung. Es klingt, als hätte er sich selbst neu kennen gelernt. „Durch das Coaching hatte ich beste Chancen, mich neu zu orientieren und noch einmal bei null anzufangen. Ich habe gelernt, meine eigenen Erfolge zu entdecken, und sah plötzlich Fähigkeiten, die in mir schlummerten. Die wurden im Arbeitsleben davor eher zugeschüttet, mein Selbstvertrauen war nicht mehr besonders groß. Beim Coaching ging es vor allem um mein Selbstverständnis. Dass ich gelernt habe, mit mir selbst gut umzugehen und authentisch zu sein, war letztlich ausschlaggebend für den Erfolg bei der Jobsuche."

Heise wagte einen Neuanfang und arbeitet heute als EDV- und Systemadministrator bei einem Berliner Mittelständler. Seine Bilanz: „Ohne das Coaching hätte ich sicher nicht den Mut gehabt, als Berufseinsteiger in der EDV noch einmal von vorne anzufangen. Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, aus der privaten Passion einen Beruf zu machen. Heute verdiene ich erheblich weniger und arbeite mehr als früher, trotzdem bin ich 100 Prozent glücklicher als vorher. Ich mache die Arbeit, die mir Spaß macht, und ich bekomme bei der Arbeit von den Kollegen und dem Chef Anerkennung." So klingt ein zufriedener Mensch.

Beatrix Bauckhage ist bei von Rundstedt HR Partners für Menschen wie Wolfgang Heise zuständig. Die geschäftsführende Gesellschafterin bringt die Arbeit der Berater auf eine einfache Formel: „Wir möchten Menschen helfen, sich am Markt neu zu positionieren. Das Thema heißt Flexibilität. Was sind meine Potenziale? Wir halten den Spiegel vor und bieten die Möglichkeit zur Selbstreflexion. Der Weg führt vor allem über positive Bestätigung. Gerade bei Angestellten und Fachkräften, die wenig Feedback von ihren Vorgesetzten bekommen, entsteht in den Gruppen eine große Dynamik. Kollegen erinnern dann jemanden, der sich selbst nicht viel zutraut, daran, was er alles im Arbeitsalltag geleistet hat."

Wäre die Vermittlungsquote so mies wie bei den Arbeitsagenturen, könnte sich von Rundstedt kaum auf dem Markt halten. Beatrix Bauckhage: „Bei größeren Projekten können wir Vermittlungsquoten von bis zu 65 Prozent erreichen, wobei wir auch die mitzählen, die sich selbstständig machen, ein Studium beginnen oder sich bewusst und gewollt aus dem Berufsleben zurückziehen. Das gehört zum Thema Perspektivenwechsel, zur Frage: Bietet die Situation für mich Chancen?"

Wer in einem Job kompetent ist, ist es vermutlich auch in anderen

Das wichtigste Instrument neben dem Coaching heißt Marktbeobachtung. Eine Abteilung beobachtet systematisch den Arbeitsmarkt, und das weit differenzierter, als es Jobcenter tun – zum Beispiel mit der Suche nach verdeckten Vakanzen in Unternehmen. Die können auch für Klienten interessant sein, die mit dem jeweiligen Berufsfeld eigentlich nichts zu tun haben.

Beatrix Bauckhage: „In der Beratung geht es nicht nur um Berufsbilder, sondern auch um Erfahrungen, Kenntnisse, Potenziale. Wir suchen nach Analogien, also nach Fähigkeiten, die auch in einem völlig anderen Berufsumfeld produktiv sind. Da entdecken wir zum Teil Jobs, die selbst für den Klienten überraschend sind, in Tätigkeitsfeldern, von denen er oft nicht wusste, dass es sie gibt, und schon gar nicht, dass sie für ihn interessant sein könnten. Wir sagen den Klienten, in welchen Gebieten mit verwandter Qualifikation Arbeitskräfte gesucht werden. Das kann zu der Entscheidung führen, über Fortbildungen den Beruf zu wechseln. Ich schätze, dass sich etwa ein Drittel der Klienten zu einschneidenden Veränderungen entschließen und den Beruf wechseln, sich selbstständig machen oder umziehen."

So wird, mit etwas Glück, die Krise zur Neuorientierung genutzt und nicht als brutal erzwungene Spielregel des Arbeitsmarktes, sondern als eigene Entscheidung erlebt. Und am Ende hat man nicht nur eine neue, interessantere Arbeit, sondern auch jemanden kennen gelernt, auf den man sich fortan in jeder Lebenslage verlassen kann: sich selbst. --
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"Mittagessen? Nur Flaschen essen zu Mittag!"
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