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Alt 03-12-2006, 23:59   #3
Auf Wunsch gelöscht
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VII. Der regionale Multi


Multis sehen anders aus. Man findet sie nicht in der Business Lounge, sondern zum Beispiel in Loßburg. Das ist eine Gemeinde in Baden-Württemberg mit rund 7000 Einwohnern, im nördlichen Schwarzwald, gleich um die Ecke zu Freudenstadt, 20 Kilometer abseits der Autobahn. In Loßburg arbeiten mehr als 1650 Menschen bei einem globalen Unternehmen, dem Maschinenbauer Arburg GmbH. Das Unternehmen ist in rund 70 Ländern auf allen Kontinenten dieser Welt mit Niederlassungen oder Vertretungen präsent. Arburg produziert Kunststoff-Spritzgussmaschinen, jene Dinger also, mit denen sich alle erdenklichen Formen für alle möglichen Produkte machen lassen, mit universellen Einsatzzwecken. Der Multi Arburg residiert in einer futuristisch anmutenden gläsernen Fabrik, und das ist vielleicht das Einzige, was dem Klischee eines globalen Unternehmens entspricht. Der Rest ist ganz anders.

Michael Hehl, geschäftsführender Gesellschafter der Arburg GmbH, und sein Vertriebschef Helmut Heinson sitzen in der perfekten Schwarzwaldidylle und erzählen, was Multis so machen: „Früher, in den fünfziger Jahren, haben wir Blitzlichtgeräte hergestellt – und ab Mitte dieses Jahrzehnts auch die ersten Spritzgussmaschinen. Da wurde schon klar, dass man nicht mehr nur auf dem einen nationalen Markt bleiben kann. So haben sich meine Vorgänger Anfang der sechziger Jahre ein wenig in der Welt umgesehen“, fängt Hehl launig an. Die Maschinen, die man baut, sind „erklärungsbedürftige Anlagen“, sagt er. Man kann sich nicht einfach so eine Spritzgussmaschine im Katalog bestellen und damit loslegen. Man braucht, vor Ort, die Erfahrung und den Service der Produzenten. Die wirkliche Globalisierung aber fing für die Loßburger in den achtziger Jahren an. Immer mehr ihrer deutschen Kunden begannen, im Ausland zu produzieren. „Wir sind mit denen mitgegangen“, sagt Vertriebschef Heinson. „Wenn die eine neue Produktion aufgebaut haben, mussten wir natürlich mit.“ In diesem Jahrzehnt des Aufbruchs gründet Arburg die erste von heute 20 Tochtergesellschaften in Frankreich. „Wir haben zunächst jahrelang mit Handelspartnern gearbeitet, eng zusammengearbeitet, auch, weil wir die Länder, die für uns völlig neu waren, genau kennenlernen wollten. Man kann nicht einfach nach Mexiko oder Ägypten gehen und loslegen, das wäre Wahnsinn“, erzählt Hehl. Wer die Welt verstehen will, muss sich Zeit nehmen.

Es reicht nicht, einfach die Gesetze und Vorschriften der Länder, die man mit neuen Produkten erobern will, anzunehmen. Es genügt nicht, seinen Mitarbeitern ein paar Sprachkurse zu verpassen und ihnen ein Flugticket zu kaufen. Globalisierung funktioniert nur dort, wo sich Unternehmen auf die Grundlage der Kultur und Tradition des Landes stellen, in das sie gehen. Es gibt Kulturen, nicht eine Kultur.

Es gibt Märkte, nicht einen Markt. Die Arburg-Missionen in fernen Ländern werden immer von Einheimischen geführt – so ist der Chef in Schanghai Chinese. „Ein Deutscher kann den Job nur dann machen, wenn er viele Jahre lang vor Ort gelebt hat und genau weiß, in welchem Umfeld er sich befindet“, ergänzt Heinson. Und wer neu bei Arburg eingestellt wird, muss gleichsam bereit sein, die Schwarzwaldidylle auf Jahre zu verlassen. „Wir stellen im Management niemanden mehr ein, der nicht bereit ist, ins Ausland zu gehen“, sagt Hehl.


VIII. Die Flucht ins Globale


Bisher ist die Geschichte eine, die wir vielleicht schon kennen. Ein traditionelles Unternehmen bricht auf zu neuen Märkten und erkennt, dass sich gute Geschäfte nur durch das Verstehen und Eingehen auf andere Kulturen machen lassen. Aber bei Arburg steckt mehr dahinter. Produziert wird nämlich nur in Loßburg, sonst nirgendwo. Als die Arburg-Kunden in die Welt gingen und ihnen die Maschinenbauer folgten, gab es natürlich auch Diskussionen, ob der Produktionsstandort in ein Billiglohnland verlegt werden sollte: „Wir haben uns in China umgesehen, wir haben uns in Indien umgesehen und so weiter. Und immer war die Antwort klar: Das macht keinen Sinn. Lieber investieren wir in eine wirklich moderne Fabrik, die wir immer weiterentwickeln können. Deshalb haben wir heute in Loßburg relativ geringe Lohnkosten, einfach, weil die Produktivität sehr gut ist. Und die Leute kriegen wir anderswo einfach nicht“, erzählt Michael Hehl.

Das Arburg-Management hat noch etwas anderes gelernt: „Vielfach sind die Produktionsverlagerungen in Billiglohnländer einfach die Folge von zu geringem Nachdenken, eine Art Flucht in die geringeren Kosten. Das ist nahe liegend, aber wenn man genau hinschaut, ersparen sich die, die leichtfertig ihre Läden hier schließen und nach Asien oder Osteuropa gehen, vor allem Innovationsarbeit. Man macht seine Hausaufgaben nicht, und weil man kurzfristig weniger Personalkosten hat, sieht es kurzfristig so aus, als ob sich das lohnt. Aber die einzige Chance ist Innovation, und wer in Deutschland darauf verzichtet, wird das in der Regel auch an anderen Standorten tun“, weiß Heinson.

Globalisierung als Flucht vor der Wirklichkeit – auch das gibt es. So wie einige in den engen Grenzen ihres Staates bleiben, damit sich nichts verändert, ziehen andere aus, damit alles bleibt, wie es ist. Illusionen machen sie sich beide.



IX. Die exzellente Region


Wer die glänzenden Augen deutscher Industriekapitäne bei offiziellen Besuchen in straff geführten Produktionsbetrieben in China gesehen hat, weiß, wovon die Rede ist: Hier leben scheinbar die guten alten Zeiten auf. Keiner widerspricht, keiner fordert, alles geht seinen Gang, was am Schreibtisch vereinbart wurde, wird in der Fabrik erledigt. Aber Globalisierung ist nicht gestern. Sie funktioniert nach einem einfachen Prinzip: Tu, was du kannst. Was in der Region gilt, ist auch für die Welt richtig. Wer sich vor Ort, zu Hause, nützlich macht, sollte das auch woanders tun. Der Berater Ralf Stokar von Neuforn weiß, wovon die Rede ist. Er ist Aufsichtsrat der von ihm begründeten Staufen Akademie in Bad Boll, die sich auf regionale mittelständische Betriebe spezialisiert hat. Unter anderem gehören zur Staufen Akademie 14 Berater in China, die vor allem schwäbischen Mittelständlern vor Ort helfen, die wichtigsten Hürden zu nehmen. Im Grunde gilt für Schanghai, was auch in Stuttgart richtig ist, sagt Stokar: „Zusammenarbeiten, kooperieren, Nutzen stiften. Die Region, aus der man kommt, ist die Wiege und das Zentrum der Exzellenz, und je weiter wir in der Welt kommen, desto klarer wird es: Was wir hier gelernt haben, nützt uns überall enorm.“ Herkunft hat eine eigene Qualität, die unverwechselbar ist. Der Unterschied, sagt Stokar, macht überall auf der Welt Eindruck: „Große Konzerne lernen meistens nur mehr durch sich selbst – und das reicht nicht mehr. Die Kleineren aber reden noch miteinander, fragen einen, der bereits aufgebrochen ist, welche Erfahrungen er gemacht hat, und sie geben ihr Wissen, das sie selbst gewonnen haben, wieder zurück.“

So empfahl der chinesische Partner der Staufen Akademie, Kang Gang Hu, einem schwäbischen Mittelständler, der ins Reich der Mitte aufbrach, die Einrichtung vorbildlicher sanitärer Anlagen am Standort. „Die Klos und Duschen sind so klasse geworden, dass die Mitarbeiter ihre Nachbarn und Freunde, ihre Kollegen und Verwandten in den Betrieb mitnehmen.“ Das Unternehmen mit den tollen Toiletten gilt in der ganzen Region als Vorbild.


X. Der Big Mäc der Gemeinde


Der Maßstab erfolgreicher Wirtschaft liegt vor Ort. Die Identität ist eben nicht beliebig, nicht global im Sinne von allgemein, sondern setzt auf den Unterschied, der sich durch persönliche Beziehungen ausdrückt. Das gilt für kleine, für mittlere, für riesige globale Unternehmen in gleichem Maß.

Ein Konzern, der mehr als alle anderen als Symbol für die Globalisierung steht, die McDonald’s Corporation, handelt genau so. McDonald’s-Deutschland-Chef Bane Knezevic, auch für die Region Western Europe verantwortlich, nennt das so: „Wir arbeiten nach globalen Standards, aber eindeutig regional und lokal, wenn wir unsere Kunden zufrieden stellen wollen.“ In den weltweiten Niederlassungen suchen die meisten Kunden zunächst Vertrautes: den Burger, der weltweit ähnlich schmeckt. Aber: In Indien wird Rindfleisch durch Lamm ersetzt, in Israel und anderswo gibt es koschere McDonald’s, in Spanien eine Gazpacho und in Italien einen Schinken-Käse-Toast. Und in jedem Land, sagt Knezevic, gibt es unterschiedliche Regeln und Vorschriften, welches Nahrungsmittel wie beschaffen sein muss. Wer etwa Salat und Obst verkauft oder Milchprodukte, lernt schnell, was Vielfalt bedeutet: Alles ist überall anders. Schon dieser Aspekt allein verbietet einem globalen Unternehmen eine Kultur, bei der alles auf Einheitlichkeit und Standardisierung hinausläuft. Was den vermeintlichen Food-Standard am Leben erhält und McDonald’s erfolgreich, ist gerade das Gegenteil von Uniformität.

Dies ist kein Zufall, sondern Methode. Der Konzerngründer Ray Kroc, zuvor gewiefter Vertreter für Küchenmaschinen, wusste genau, dass das beste Geschäft dort gemacht wird, wo Verkäufer und Kunde einander persönlich kennen. Deshalb bestand er immer darauf, dass Franchise-Nehmer der Marke zu „Mr. und Mrs. McDonald’s in the community“ werden, zu einem „integrierten Teil der regionalen und lokalen Wirtschaft. Das ist das eigentliche Erfolgsrezept von McDonald’s, das Fundament, auf dem wir gebaut sind“, sagt Knezevic. Wer sich um eine der bis heute begehrten McDonald’s-Franchise-Lizenzen bemüht, sollte nicht zur mobilen globalen Superklasse gehören: „Wir suchen Partner, die dort, wo sie den Laden eröffnen wollen, aufgewachsen sind oder den Ort wenigstens sehr gut kennen. Außerdem müssen sie dort bleiben wollen. Das ist eine der unabdingbaren Voraussetzungen dafür, dass wir überhaupt ins Geschäft kommen“, sagt Knezevic. „Wir nehmen keine anonymen Investoren, die irgendwo anders leben als dort, wo sie arbeiten: Wir suchen Unternehmer. Das sind nach unseren Vorstellungen Leute, die sich regional und lokal engagieren und in einer klar überschaubaren Gemeinschaft leben.“

Eine konsequent regionale Strategie, was die Lieferanten angeht, war ebenfalls fester Bestandteil der Globalisierungsstrategie Ray Krocs: Lieferanten mussten und müssen bis heute auf den regionalen und lokalen Märkten gesucht werden, wo immer es möglich ist. Das schafft eine intensive Beziehung und stiftet gegenseitigen Nutzen. Für Knezevic ist die Regionalisierung des Geschäfts im globalen Kontext eine der wichtigsten Leitlinien für alle Unternehmen, die ihren Weg in die Welt suchen: „Ich glaube, dass die regionalen Unterschiede heute noch bei weitem nicht gut genug ausgeschöpft werden. Jedes globale Unternehmen wird hier viel dazulernen müssen. Wer das nicht tut, wird zusehen, dass Wettbewerber die Nase vorn haben.“

So schwer sei das Prinzip Welt nun nicht zu verstehen, so Knezevic: „Bei aller Globalisierung geht es für die meisten Kunden darum, dass ihre Erwartungen erfüllt werden. Und die bauen nun mal auf sehr unterschiedlichen lokalen Traditionen. Das macht das Wichtigste im Geschäft aus: persönliche Beziehungen, denen man vertrauen kann.“

Das ist das Gegenteil dessen, was das Wort global auch bedeuten kann: allgemein. Doch dagegen wehrt sich die Welt. So einfach ist sie nicht zu kriegen. Aber: Wer das Große will, muss

Von:Wolf Lotter
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"Mittagessen? Nur Flaschen essen zu Mittag!"
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