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Alt 27-10-2006, 14:56   #3
Dessi
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Da beim Thema Feminismus offenbar jeder schnell wegsieht, diskutiere ich einfahc mit mir selbst weiter...irgendwann schaltet sich ja vielleicht noch jemand ein?

Meine Meinung zur aktuellen Diskussion um die Bücher von Eva Herrmann oder Frank Schirrmacher ("Minimum"):

Viele Menschen haben leider noch nicht begriffen, dass wir Frauen in unserer westlichen Gesellschaft heutzutage selbst bestimmen können, welche Ziele wir im Leben haben. Stattdessen werden uns diese Ziele immer und in jedem Fall zum Vorwurf gemacht:

Bekommen wir keine Kinder und entscheiden uns für die Karriere, sind wir angeblich egoisitische, ehrgeizzerfressene Karrierefrauen, eiskalt und gefühlsarm.

Versuchen wir den Spagat "Kinder und Beruf", haben wir ein permanent schlechtes Gewissen, weil uns die Zeit für PEKIP-Gruppen und Kinderyoga etc. fehlt, und wir im Job auch mal Termine absagen müssen, weil das Kind krank ist.

Und wählen wir ide Variante, uns ein paar Jahre lang ausschließlich dem Nachwuchs und dem Haushalt zu widmen (für mich persönlich eine Horrorvorstellung, aber wie gesagt: Je nach Geschmack!), machen uns die "emanzipierten" Frauen Vorwürfe, wir hätten unsere Geschlechtsgenossinnen und Vorkämpferinnen verraten und verkauft. (Dass ich für mich selbst entscheiden kann, heißt schließlich auch, dass mir keine andere Frau reinquatschen darf!)

Leider ist, wie auch die Ergebnisse der letzten Shell-Jugendstudie zeigen, der männliche Teil der Bevölkerung noch nicht bereit, den gesellschaftlichen Wertewandel eigenverantwortlich mitzugestalten. Da die Gleichberechtigungsbestrebungen aber mittlerweile an einem Punkt sind, wo sie die aktive Mitarbeit der Männer erfordern, werden dann gerne die demographische und die emotionale Keule aus dem Sack geholt.

Die demographische Keule hat am Eindrucksvollsten Frank Schirrmacher mit seinem Buch "Minimum" geschwungen. Auf einmal sollen wir Frauen, die wir jahrhundertelang als Höchstmaß an Mitbestimmung allenfalls die Tapeten im Wohnzimmer aussuchen durften, die alleinige gesellschaftliche Verantwortung für den Geburtenrückgang tragen? Wohl kaum. Jetzt seid ihr gefragt, Männer. Wir haben bewiesen, dass wir Firmen leiten, Häuser bauen und Geld verdienen können. Könnt Ihr Windeln wechseln, Kindergeburtstage organisieren und Schulbrote schmieren? Jeden Tag? 7 Tage die Woche? Ohne Geld und Anerkennung? Dann bekommen wir Frauen gerne Knider. Mit Euch zusammen.

Die emotionale Keule wirkt leider effektiver und nachhaltiger: Uns Frauen wird, wenn wir EIGENE Pläne für unser Leben machen, gerne vorgeworfen, unseren Geschlechtscharakter zu verleugnen. Diese Taktik ist nicht ganz neu, denn schon im 18.Jahrhundert mussten sich die damals zahlreich in Erscheinung tretenden Schriftstellerinnen gegen solche Vorwürfe verteidigen. Welche Frau will schon ein "Mannsweib" sein? Diese emotionale Keule schwingt z.B. Eva Hermann. Aber auch all die Menschen, die Flaschenbabynahrung als Kindesmisshandlung interpretieren, oder die bei Beförderungen Frauen übergehen mit dem verschwörerischen Satz: "Na, ist ihr Kind nicht gerade eingeschult worden? Da braucht es sicherlich ihre volle Aufmerksamkeit..."

Und eins darf man ebenfalls nicht vergessen: Diese Diskussionen um Kind oder Karriere sind auch nur für eine privilegierte Schicht relevant. Wie zynisch müssen die Thesen von Frau Hermann in den Ohren all der alleinerziehenden Mütter am Existenzminimum klingen, die dreimal die Woche nachts putzen gehen MÜSSEN, um sich und ihre Kinder über die Runden zu kriegen? Und mit welchen Vorwürfen müssen sich die dazugehörigen Väter auseinandersetzen? Ganz sicher nicht mit der Infragestellung ihrer Männlichkeit.

Alleinerziehende Mütter, die versuchen, mit 400-Euro-Job, Kindergeld und gelegentlichen Unterhaltszahlungen über die Runden zu kommen, sind sicherlich nicht daran interessiert, ihre Weiblichkeit beim Kuchenbacken wiederzuentdecken. und auch das mögliche schlechte Gewissen einer Familienministerin, die ihre Kinder tagsüber beim Au-Pair-Mädchen lassen muss, wird diesen Frauen wie ein Luxusproblem vorkommen.
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