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Alt 26-05-2003, 09:08   #204
Stefano
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Die Rache der Verdammten

Die Frankfurter Eintracht hat ihr ramponiertes Image aufpoliert - mit Tugenden, die lange verschütt gegangen waren in diesem manchmal sonderbaren Club

Unlängst, ohne besonderen Anlass, hat Willi Reimann eine auf den ersten Blick seltsam anmutende Diskussion vom Zaun gebrochen. Irgendwie fühlte er sich bemüßigt, noch einmal und in aller Deutlichkeit festzustellen, wie gut diese aus vielerlei Gründen nicht ganz einfache Saison doch gelaufen sei. Dann fiel der sicherlich bald Kult-Status erlangende Satz vom Tabellenplatz neun, mit dem er, der Eintracht-Trainer, schon zufrieden gewesen wäre. "Schauen Sie sich doch mal an, was Sie im Sommer geschrieben haben", hatte Reimann den Journalisten noch eine Hausaufgabe mit auf den Weg gegeben. Er jedenfalls werde ins Archiv steigen und mal nachlesen, was so im Juli, August des vergangenen Jahres die veröffentlichte Meinung gewesen sei.

Tatsächlich ist der Trainer einen Tag später in die obligatorische Pressekonferenz gegangen, und zwar mit einem Stapel Papieren unterm Arm, mit Zeitungsartikeln, um genau zu sein. Einige Voraussagen hat der 53 Jahre alte Mann genüsslich zitiert, da war öfters die Rede von "nicht zu viel verlangen", von einem "einstelligen Mittelfeldplatz", der angestrebt werde, und auch in der Frankfurter Rundschau hatte gestanden, dass man der Eintracht durchaus Platz sechs zutraute - "wenn es gut läuft."

Die Erwartungen an diese Saison waren also nicht allzu hoch gesteckt. Im Grunde waren Verantwortlichen, Fans, Umfeld angesichts des sich hinziehenden Lizenzierungsverfahrens gottfroh, überhaupt in der zweiten Klasse weiter mitkicken zu dürfen. Und wenn es selbst in dieser abgespeckten Form war; 13 Millionen Euro nur noch der Etat, dabei ein Trainer, der aus dem Geschäft schien, dabei eine anscheinend bunt zusammengewürfelte Truppe ohne besondere Zukunft, dafür günstig eingekauft. Und als dann Willi Reimann gar noch einen handfesten Streit mit dem Frankfurter Sparkommissar, Finanzvorstand Thomas Pröckl, anzettelte wegen der gewünschten, allenfalls ein paar zehntausend Euro teuren Verpflichtung eines gewissen Jean-Clotaire Tsoumou-Madza, der beim VfR Ogersdorf in der Oberliga fußballerte, schien endgültig klar, dass das eine arg desillusionierende Saison werden würde. Ohne große Erwartungen, ohne große Hoffnungen, ohne große Ansprüche.

Natürlich sind in den letzten aufregenden Tagen, da es dann doch ein wenig anders gekommen war, Spieler wie Trainer immer wieder gefragt worden, ob es denn irgendwann in dieser Runde dieses besondere "Knackpunktspiel" gegeben habe, dieser Moment, da man gespürt habe, da wächst etwas heran, dieser Augenblick, da klar wird, dass es so funktionieren könnte. Etwa der glatte 4:0-Sieg im allerersten Spiel gegen den Bundesliga-Absteiger FC St. Pauli? Nein, heißt es unisono, irgend ein Schlüsselerlebnis habe es nicht gegeben. Reimann sagt, wie immer staubtrocken, so etwas "kann man nicht fühlen". Mittelfeldspieler Alexander Schur, mit Uwe Bindewald und Torwart Oka Nikolov dienstältester Frankfurter, hat lapidar festgestellt, dass es "einfach gepasst" habe, "von Beginn an: Wenn man 31 Jahre alt ist, dann merkt man, ob eine Mannschaft will oder nicht", hat der Abräumer erzählt.

Und der, der es passend gemacht hat, ist Willi Reimann, der Trainer.

Im Sommer des vergangenen Jahres war es doch so, dass sich da auf dem Vorfeld des Waldstadions eher Verlierer-Typen getroffen hatten. Der Club: Er lag am Boden, finanziell (aus eigener Schuld) nahezu ruiniert, mit einem Image, das schlimmer kaum sein konnte, irgendwie und nach allerlei juristischen Spitzfindigkeiten in der Klasse geblieben, verschmäht von den Fans, die einfach keine Lust mehr hatten auf diese offenbar nie enden wollende Reihe von Skandalen, Intrigen, Inkompetenzen, Mauscheleien und Querelen. Die Mannschaft: Sie bestand zunächst aus einer Handvoll tief gefrusteter Kicker, die anderswo keinen Kontrakt mehr erhalten hatten und wurde nach und nach aufgefüllt mit neuen Kräften, die entweder blutjung (Bakary Diakité, Daniyel Cimen, Lars Weißenfeldt, Franciel Hengemühle, Matheus Vivian, Dino Toppmöller) waren oder bei ihren alten Vereinen nicht mehr gewollt wurden (Jens Keller, Sven Günther, Henning Bürger, David Montero). Der Trainer: Er stand, nach einer zweijährigen privaten Auszeit, auch nicht mehr ganz oben auf der Liste jener Fußball-Lehrer, die einem sofort einfallen, wenn ein Trainer gesucht wurde. Dazu wurde, welch passendes Bild, das traditionsreiche Waldstadion gerade Stück für Stück abgerissen. Überall nur Baustellen.

Es trafen also Menschen zusammen, die dieses einte: Sie hatten keine sonderlich rosigen Perspektiven mehr, brannten aber darauf zu zeigen, dass sie es noch können. Und die zufrieden, vielleicht sogar dankbar waren, überhaupt noch einmal eine solche Chance bekommen zu haben. Jens Keller etwa, der alles überragende Mann dieser Saison, über den der Mainzer Trainer Jürgen Klopp voller Hochachtung kürzlich sagte, Keller halte nicht nur die Abwehr der ersten Mannschaft zusammen, sondern gleichzeitig "auch noch die der Amateure und der A-Jugend", dieser Jens Keller etwa war im Sommer sechs Wochen arbeitslos. "Da macht man sich schon seine Gedanken, wenn keiner anruft", hat er gesagt. Und seine Chance bei Eintracht Frankfurt auf beeindruckende Art und Weise genutzt.

Es "passte" auch deswegen, weil Reimann bei der Zusammensetzung des Teams großen Wert auf die charakterliche Eigenschaften der Spieler gelegt hat. Die meisten neuen Spieler kannte er, er wusste, dass sie die richtigen sind für seine Philosophie von Fußball: "Man kommt nur über die Gemeinschaft zum Erfolg." Reimann legt Wert auf mannschaftliche Geschlossenheit, auf die Teamleistung, auf die Tatsache, dass die Gruppe alles, der einzelne nichts ist. Erst kürzlich, als es um den Torschützen Dino Toppmöller einen regelrechten Hype gegeben hatte, ist er wieder fuchsteufelswild geworden. Der den Ball ins Tor geschossen habe, sei jetzt der Held, hat er gesagt, alle "anderen die Arschlöcher". Er findet so etwas grotesk. Deshalb behandelt er alle Spieler gleich, den Führungsspieler Keller nicht viel anders als den fünften Ergänzungsspieler. Dass er mit beiden nicht viel redet, ändert nichts daran, dass er beide respektiert. "Der Trainer", sagt Co-Trainer Jan Kocian, "genießt eine hohe Akzeptanz in der Mannschaft." Sie wissen, was sie an ihm haben, und sie wissen auch, was zu tun ist.

Und sie können stolz sein, stolz auf eine Saison, die viel besser verlaufen ist als die meisten erwartet haben. Man kann den Hut ziehen vor der Leistung dieser Mannschaft ohne echten Star, die vom ersten Spieltag an immer ganz oben mitgemischt hat. Sie hat eine rechtschaffen respektable Saison gespielt. Und sie hat, und das ist das Verdienst des Trainers Reimann, durch engagierte, ehrliche Arbeit, nahezu immer bis ans Limit gehend, Vertrauen bei den Fans, beim Umfeld zurückgewonnen. Die Eintracht hat schließlich ihr ramponiertes Image aufpoliert, und zwar mit Tugenden, die lange verschütt gegangen waren in diesem Club: mit Bescheidenheit und Demut. Sowohl auf der Wiese als auch hinter den Kulissen. Und zu einem Happyend, zu einem der unglaublichsten Art, hat es sogar auch noch gereicht. q: e-hp
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Ciao Stefano

Ich wurde nicht gefragt...ob ich geboren werden wollte...
Ich werde nicht gefragt...ob ich sterben will...
also lasst mich LEBEN...wie ich es will...!
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