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Alt 22-05-2003, 10:17   #197
Stefano
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hola,

Der Mann und seine Mauer
Eintracht-Trainer Willi Reimann geht gerne auf Distanz / Kein Held der Stehränge / Das Team muss funktionieren

Manchmal möchte man zu gern schon einmal wissen, wie der Trainer Willi Reimann mit seinen Emotionen umgeht. Mit Wut etwa. Oder mit Enttäuschung. Etwa wie er mit der Tatsache fertig wird, sollte sein Club Eintracht Frankfurt am Sonntag den zum Greifen nahen Aufstieg in die Bundesliga verpassen. Wird er nach Hause gehen und unansprechbar sein, wird schlechte Laune haben, griesgrämig sein? Seinen Frust an einem Sandsack auslassen? Oder sich einen hinter die Binde gießen? Das alles ist, wie man Willi Reimann bislang kennen gelernt hat, nicht sehr wahrscheinlich. Solche Gefühlsausbrüche wird er sich nicht gestatten. Wahrscheinlich ist, dass man von ihm allenfalls in ein paar dürren Worten zu hören bekommt, dass es aus den und den Gründen nicht geklappt hat, er im übrigen aber keinesfalls enttäuscht ist, weil man doch, angesichts der Ausgangssituation im Sommer des vergangenen Jahres, eine glänzende Saison gespielt habe. Noch Fragen. Nein. Auf Wiedersehen.

Das Auf Wiedersehen spart sich Reimann meistens.

So leicht lässt sich der Fußball-Lehrer nicht in die Karten gucken. Der Mann, vor 53 Jahren an Heilig Abend in der Nähe von Osnabrück geboren, versteht es meisterhaft, eine Aura der Distanz zu verbreiten. Er hat eine Mauer aus leichtem Spott, milder Geringschätzung und veritabler Unabhängigkeit um sich errichtet, an der vieles abprallt. Man kommt nicht ran den Mann. Man soll es auch gar nicht. In den Zeitungen stehen dann gerne Attribute wie spröde, trocken, unaufgeregt, sachlich, mit denen diese Art des Umgangs miteinander bezeichnet wird. Man kommt, wie soll man es anders sagen, nicht leicht ins Gespräch mit dem Menschen Reimann. Seine wenigen Worte wählt er mit Bedacht, unnötige lässt er weg, er spricht sparsam und fast immer eine Spur zu leise, so, dass man ganz genau hinhören muss, um alles mitzubekommen. Anfangs hat man gedacht, er ist so distanziert nur zu den allenfalls geduldeten Medienvertretern, bis man gemerkt hat: Er ist zu allen so.

Daran hat man sich im geschwätzigen Frankfurt erst gewöhnen müssen. Vielen ist das nicht leicht gefallen.

Mit seinen Spielern spricht Reimann genau so wenig. Dann aber Klartext, "die Spieler akzeptieren das", sagt sein Co-Trainer Jan Kocian, deutlich umgänglicher. Die Distanz, auch zu den Spielern, ist Prinzip, ist gewollt, "das ist mein Arbeitsstil", hat Reimann einmal in einem FR-Interview gesagt, die Spieler merkten, dass "ich alle gleiche behandele und Respekt vor ihnen habe." Extrawürste werden keine gebraten, Reimann ist ein glühender Verfechter der mannschaftlichen Geschlossenheit. Wer ausschert, wie im Winter die Alkoholsünder Jones und Montero, darf nicht mit Nachsicht rechnen. "Die Spieler müssen wissen, was sie tun dürfen und was nicht", sagt er. "Meine Aufgabe ist es, dass die Gemeinschaft funktioniert." Er kontrolliert seine Spieler nicht, nur wenn sie ihr Potenzial nicht ausschöpfen, wird er "fuchsteufelswild", Nachlässigkeiten oder Unkonzentriertheiten hasst er wie Stürmer den Abseitspfiff, er ist auch immer bestens präpariert. "Wir sind auf alles vorbereitet", pflegt er da zu sagen. Überraschungen mag er nicht.

Wahrscheinlich ist es so, dass Willi Reimann ein Glücksfall für Eintracht Frankfurt ist. Wahrscheinlich ist er genau der Trainer, den diese Mannschaft, dieser gern zum Größenwahn neigende Club, brauchte: einen erdverbundenen, fast schmerzlich realistischen, unauffälligen Fleißarbeiter. Den Kopf in den Wolken sollen die anderen haben, einer wie Reimann träumt wahrscheinlich nicht mal im Schlaf. In vielen Dingen erinnert er auch an den ehemaligen Eintracht-Kulttrainer Horst Ehrmantraut, der der erste war, der den Frankfurtern ein wenig Demut nahe brachte. Dieses Eintracht-Team, das wider alle Erwartungen vor dem Bundesligaaufstieg steht, hat Reimann zusammengestellt, teilweise gegen den Widerstand der Club-Führung, es trägt seine Handschrift. Er hat es geschafft, dass diese Mannschaft praktisch ohne größeren Hänger konstant auf hohem Niveau spielte. Er hat es geschafft, dass diese Mannschaft ohne Druck von außen "ganz fleißig und ordentlich" an ihrem Ziel arbeiten konnte.

Er hat es geschafft, dass eine Euphorie, so widersprüchlich das klingen mag, in Frankfurt gar nicht aufkommen konnte. Bis auf das allerletzte Spiel am Sonntag gegen den SSV Reutlingen war kein einziges Heimspiel im Waldstadion ausverkauft. Er hat es geschafft, den Ball schön flach zu halten, zuweilen auch mit Methoden, über die manche den Kopf schüttelten: etwa, als er vier Wochen vor Ultimo sagte, er sei durchaus auch mit Tabellenplatz neun zufrieden. Oder jetzt, da er weiterhin steif und fest behauptet, der Aufstiegs-Dreikampf werde nicht durch das bessere Torverhältnis entschieden. Willi Reimann, Vater eines erwachsenen Sohnes, ehemaliger Steakhaus-Besitzer, Golfspieler und Kanada-Legionär, ist immer darauf bedacht, die Luft raus zu lassen aus dem Ballon. Sei es im aufgeregten Frankfurter Umfeld, sei es bei der Besetzung des nach wie vor verwaisten Managerpostens, sei es bei anstehenden Vertragsgesprächen mit Spielern. Reimann hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er sich unabhängig fühlt, sich keinesfalls von Spielerberatern erpressen lassen will: "Die Welt geht nicht unter, wenn einer den Verein verlässt. Reisende soll man nicht aufhalten", sagt er dann nur emotionslos. "Was glauben Sie, wie viel Spieler im Sommer auf dem Markt sind?" Mit so etwas wird man sicherlich kein Held der Stehterrassen, aber das will Reimann ja auch gar nicht. Er lässt seine Arbeit sprechen.

Einmal, es war nach einem Auswärtssieg in Duisburg, hat sich Reimann ein wenig aus der Deckung getraut. Da ist er dann, die Finger zum Victory-Zeichen gespreizt, in die Kurve gelaufen, hat die Fans abgeklatscht und in einer ersten Regung vor laufenden Kameras fast schon von so etwas ähnlichem wie einem möglichen Aufstieg geredet. Prompt gingen die nächsten beiden Heimspiele daneben. Der Mann weiß schon, was er tut. q: e.hp
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Ciao Stefano

Ich wurde nicht gefragt...ob ich geboren werden wollte...
Ich werde nicht gefragt...ob ich sterben will...
also lasst mich LEBEN...wie ich es will...!
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