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Alt 12-12-2008, 14:03   #15
PC-Oldie-Udo
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exakt vom 10.04.2007

Arm trotz Arbeit - Leiharbeiter
Manuskript des Beitrages

von Kristina Ehrlich, Manuela Eilers, Annett Glatz, Christine Nobereit-Siegel

Jeder achte Leiharbeiter verdient so wenig, dass er seinen Lebensunterhalt davon allein nicht bestreiten kann und zusätzlich auf staatliche Leistungen angewiesen ist.

O-Ton: Bernd Große, ehem. Leiharbeiter
"Das kann doch nicht wahr sein. Hier sollst Du schlafen, auf dem Fußboden! Da habe ich mir gedacht, das ist doch schlimmer wie ein Hund."

Jahrelang war Bernd Große einer im Heer der Zeitarbeiter. Immer wieder woanders hin - nicht gerade das, was er sich für sein Berufsleben vorgestellt hatte. Doch einen festen Job konnte er nicht finden. Und dann kam der Auftrag, der für ihn das Fass zum Überlaufen brachte. Eine Woche lang sollte er in München als Elektriker aushelfen. Die Unterkunft würde vor Ort gestellt, so die Auskunft der Zeitarbeitsfirma. Noch am gleichen Abend macht er sich auf den Weg.



O-Ton: Bernd Große, ehem. Leiharbeiter
"Ich habe dann noch einen Kollegen mitgenommen, und der kam dann und hatte zwei Schlafsäcke mit. Da habe ich mich schon ein bisschen gewundert. Ich sage, was soll denn das werden? Da sagt er: die brauchen wir. Ich sage: wollen wir überhaupt erst losfahren, wenn das schon so losgeht?"

Was ihn dann am Arbeitsort in München erwartet, das bewegt ihn bis heute.


O-Ton: Bernd Große, ehem. Leiharbeiter
"Haben dann ein Zimmer zugewiesen gekriegt, wo nichts drin war, weder Stuhl, Bett, Tisch, Schrank, gar nichts. Der blanke Fußboden. Und da hat man gesagt, hier könnt ihr euch hinhauen, schlafen morgen früh um sieben geht’s los."

Bernd Große beißt die Zähne zusammen und hält die Woche durch. Zurück in Leipzig beschwert er sich zwar bei der Zeitarbeitsfirma, doch die schiebt den schwarzen Peter dem Münchner Unternehmen zu.

Mittlerweile hat der 45-Jährige den Absprung geschafft. Er ist jetzt befristet als Haustechniker beim DRK angestellt und hofft, dass sein Vertrag verlängert wird. Mit Zeitarbeit hat er abgeschlossen.

"Also ich würde alles dran setzen, um nicht über eine Zeitarbeitsfirma in Beschäftigung zu kommen."

Während Bernd Große hofft, dass sein Abschied von der Zeitarbeit einer für immer ist, sucht Simone K. noch nach einem Ausweg - über den Stellenmarkt der Tageszeitung.


O-Ton: Simone K., Leiharbeiterin
"Morgen. Eine Zeitung bitte."
"Ein Euro bitte."

Aus Angst um ihren Arbeitsplatz möchte die 52-Jährige unerkannt bleiben. Simone K. ist Leiharbeiterin - ausgeliehen als Kassiererin an einen Supermarkt.

"Den Kunden ist nicht klar, wer vor ihnen sitzt. Die meisten denken, wir gehören zum Unternehmen. Die haben´s gut, die haben nen Job. Mensch, die müssen glücklich sein. Aber zu welchen Bedingungen."

4,60 Euro verdient sie pro Stunde. Schon die knapp 40 Euro für die Handtasche im Schaufenster sind da fast unerschwinglich.

"Die Tasche wären knapp acht Stunden, also ein voller Arbeitstag. Na, das rechnen Sie doch automatisch um."

Als Teilzeitkraft verdient Simone K. knapp 400 Euro im Monat. 86 Stunden arbeitet sie dafür - zumindest offiziell. Inoffiziell sind es regelmäßig mehr, denn Krankheit oder Urlaub muss sie reinarbeiten.


O-Ton: Simone K., Leiharbeiterin
"Krankheit, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld darüber reden wir nicht. Gibt’s nicht. Wenn wir Urlaub machen wollen, wir arbeiten ja meistens mehr wie 86 Stunden, die schreiben wir uns gut, die Stunden und schreiben dann wenn wir Urlaubszeit haben die Stunden ein, also wir arbeiten den Urlaub raus und Krankheit, das ist null Punkte. Ohne Krankenschein, Sie können den abgeben, aber da passiert nichts."

Innerhalb von vier Jahren war Simone K. eine einzige Woche krank. Bezahlt wurde nichts. Wir haben ihren Arbeitsvertrag, die Krankmeldung und die Lohnabrechnungen dem Arbeitsrechtler Bernhard Ulrici vorgelegt. Sein Fazit: Hier wird geltendes Recht verletzt.

O-Ton: Bernhard Ulrici, Universität Leipzig
"Eine Praxis, dass der Arbeitgeber erwartet, dass Arbeitnehmer ihre krankheitsbedingten Fehlzeiten nacharbeiten, verstößt gegen das Gesetz und Arbeitgeber, die so verfahren nutzen sicher die Angst der Arbeitnehmer um den Verlust ihres Arbeitsplatzes aus."

Die Sache mit dem Krankengeld, kein Hinweis auf Urlaubsanspruch und eine Menge anderer Punkte. Eigentlich ist der ganze Vertrag eine Zumutung. Bleibt die Frage, warum Simone K. so etwas überhaupt unterschrieben hat. Tatsächlich arbeiten die meisten wochenlang ohne etwas Schriftliches gesehen zu haben.


O-Ton: Simone K., Leiharbeiterin
"Sie kriegen einen Vertrag - irgendwann nach Wochen. Eigentlich wissen Sie gar nicht wochenlang zu was für Konditionen und was im Vertrag steht, und dann kommt der Vertrag und da zeigen Sie mir jemanden, der sagt, das unterschreib ich nicht."

Sicherlich drastische Beispiele. Doch was die meisten Leiharbeiter eint - sie sind häufig wesentlich schlechter gestellt als die Stammbelegschaft. Ein Schicksal, das in Deutschland immer mehr Menschen teilen, quer durch alle Branchen. In den vergangenen sechs Jahren hat sich die Zahl der Leiharbeiter fast verdoppelt - auf knapp 600.000.

Selbst Konzerne mit Rekordgewinnen wie BMW und deren Zulieferer setzen auf Leiharbeit und das sogar im ganz normalen Regelbetrieb. Laut Gewerkschaft arbeitet bei BMW in Leipzig in der Produktion jeder zweite als Leiharbeiter und verdient aufs Jahr gerechnet durchschnittlich nur halb soviel wie ein Stamm-Mitarbeiter. Eine gefährliche Entwicklung, sagt der Sozialwissenschaftler Professor Klaus Dörre.


O-Ton: Prof. Dr. Klaus Dörre, Friedrich-Schiller-Universität Jena
"Reguläre Vollzeitbeschäftigung wird ersetzt durch Leiharbeit. Das halte ich für eine problematische Entwicklung auch mit Blick auf die Innovationsfähigkeit von Betrieben. Die Loyalität der Belegschaften gegenüber ihren Betrieben. Das wird langfristig, denke ich, problematische Auswirkungen haben und es verfestigt einen Trend zur Herausbildung von Arbeitnehmern zweiter Klasse."

Als Arbeitnehmer zweiter Klasse, so fühlen sich auch Leiharbeiter von BMW und dessen Zulieferer, mit denen wir uns treffen. Offen reden wollen nur wenige, aus Angst, den Job zu verlieren. Doch der Frust bei Rene und seinen Kollegen ist groß.

In der Automobilindustrie verdienen Leiharbeiter weniger für gleiche ArbeitO-Töne: Zeitarbeiter bei BMW
"Also ich kriege so raus zwischen 700 und 800 Euro, das schwankt immer mal ein bisschen und die Festangestellten die kriegen dann schon raus 1.100, 1.200. Das ist schon ein ganz dickes Ding. Was da fehlt und für die gleiche Arbeit und ja."
"Ich bin als Helfer eingestellt gewesen und hab gefragt, warum bin ich hier als Helfer eingestellt. Ich hab meinen Facharbeiter in der Fachrichtung."
"Wenn ich den Sprit abziehe, die 200 Euro im Monat, dann komme ich auf das Hartz IV, was ich dann kriegen würde. Damit könnt ich mich zu Hause noch mal in Ruhe rum legen."
"Es ist sinnlos. Aber ich bin nicht der Typ der heeme sitzt. Die drei Monate, in denen ich arbeitslos war, bin ich durchgedreht."
"Und man geht auf Arbeit, um zu hoffen, dass sie einen einstellen."
"Man will och auch mal weiter kommen im Leben."

Zwischen 750 und 900 Euro netto pro Monat. Möglich, weil die Zeitarbeitsunternehmen eigene Tarifverträge haben, mit viel geringeren Stundenlöhnen als beispielsweise die Tarife der IG Metall. Und wie gesagt, so arbeitet mitunter ein Arbeiter neben dem anderen am Band - für die Hälfte. Für BMW-Betriebsrat Jens Köhler unhaltbare Zustände.

O-Ton: Jens Köhler, Betriebsrat BMW Leipzig
"Auf Dauer ist das bei uns ein Zündstoff in der Belegschaft. Das stellen wir jetzt schon fest. Dass es da in den Gruppen immer wieder Diskussionen gibt. Insbesondere dann, wenn Zahltag ist. Und der eine sagt, ich hab das gekriegt, nämlich das wenige und der andere sagt, ich hab das gekriegt, was mir ja auch zusteht. Dass da immer wieder drüber gesprochen wird, ich kann mir das leisten am Wochenende. Ich kann mir nichts leisten am Wochenende."

BMW ist das durchaus bewusst. Doch der Stundenlohn sei eben Sache der Entleihbetriebe. Dass der Automobilhersteller einfach mehr Arbeiter fest einstellt, ist laut BMW-Sprecher Michael Janssen nicht geplant - im Gegenteil.


O-Ton: Michael Janssen, Pressesprecher BMW Leipzig
"Ich glaube, wir werden nicht nur bei BMW, sondern insgesamt in Deutschland die Branche Zeitarbeit eher sich weiter entwickeln sehen und es kommt jetzt darauf an, die dort geltenden Bedingungen weiter zu entwickeln, so dass sie allgemein sozial akzeptabel sind und die entsprechende Akzeptanz dann auch finden."

Als die jungen Männer die Zusage in der Hand hielten, für BMW arbeiten zu dürfen, glaubten sie noch an einen Sechser im Lotto. Von dieser Euphorie ist nichts mehr übrig. Im Gegenteil.

O-Ton: Zeitarbeiter
"Moderne Sklaverei - was anderes ist nicht."


Zuletzt aktualisiert: 11. April 2007, 00:33 Uhr

http://www.mdr.de/exakt/4344708.html
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Es grüßt euch
Udo

Sei immer ehrlich zu deinem Nächsten, auch wenn er es nicht gerne hört

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