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Alt 23-12-2003, 23:45   #86
cade
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Börse: Bye, Bye, Aktionäre - 22.12.2003
In den vergangenen Wochen häufen sich die Meldungen über Unternehmen, die von der Börse gehen. Das Nebenwerte-Segment schrumpft – smartcaps hat die Ausstiegskandidaten und die Gründe für Delisting oder Squeeze-Out unter die Lupe genommen





Die Nachricht kam für die meisten Akteure am Kapitalmarkt überraschend. Der Aktienkurs schoss daraufhin in lange nicht mehr gesehene Höhen. Die Düsseldorfer Wedeco AG kündigte Anfang November ihren Abschied von der Deutschen Börse an. Zwar hatte es schon länger Übernahmegerüchte gegeben. Doch erst vor wenigen Wochen wurde amtlich, dass der Hersteller von chemikalienfreien Wasseraufbereitungs-Systemen unter einem neuen Eigentümer künftig nicht mehr börsennotiert sein würde. Der amerikanische Multikonzern ITT Industries hat den Wedeco-Aktionären über seine deutsche Tochtergesellschaft ein Barabfindungsangebot von 18 Euro geboten - eine Prämie von mehr als 30 Prozent im Vergleich zum Kurs der vergangenen drei Monate. Sobald die Annahmequote von 95 Prozent eingesammelt ist, wird Wedeco von der Börse genommen: " Noch vor Weihnachten fällt eine Entscheidung über den weiteren Zeitablauf" , erläutert Wedeco-Sprecher Ralf König im Gespräch mit smartcaps. Je länger sich die Verhandlungen in die Länge ziehen, umso besser dürfte sich der Aktienkurs entwickeln. Denn Übernahmefantasien und die Hoffnung auf ordentliche Prämien bei einem Squeeze-Out gelten gemeinhin als Kursmotor.


Töchter gehen aus Kostengründen von der Börse

Es geht aber auch anders. Der IT-Dienstleister Bechtle AG hat seine börsennotierte Konkurrentin PSB AG gekauft - doch warum sollen sich Mutter und Tochter gleichzeitig auf dem Parkett präsentieren? Anfang November meldete die PSB, dass der Handel ihrer Aktie im elektronischen Xetra-System sowie in allen deutschen Regionalbörsen eingestellt wird. Wer nun noch PSB-Anteilsscheine verkaufen oder kaufen will, muss es auf dem Frankfurter Parkett tun. Großaktionär Bechtle, der 97 Prozent an PSB hält, hatte zuvor noch ein Squeeze-Out-Verlangen widerrufen. Zu teuer und zu langwierig? Darüber lässt sich trefflich spekulieren. " Auf lange Sicht gibt es hierfür keine Planungen" ist das Einzige, was Unternehmenssprecher Rudi Schmidt zum Thema Squeeze-Out gegenüber smartcaps zu sagen hat. Warum auch - die Entscheidung über den Ausschluss der PSB vom elektronischen Handel kommt faktisch ja schon einem Delisting gleich. Das will die Muttergesellschaft allerdings nicht gelten lassen: " Die PSB-Papiere bleiben handelbar, wenn sie es auf dem Parkett auch schwer haben dürften" , räumt Schmidt ein. Haupt-Beweggrund für das Delisting sind die mit der Entscheidung verbundenen Kosteneinsparungen.


Hot oder cold - Hauptsache Delisting

In Zeiten von Konjunkturkrise, Unsicherheit über wirtschaftspolitische Entwicklungen und Euroschwäche sparen die Unternehmen, wo es nur geht. Und sei es an der Börsennotiz ihrer Tochtergesellschaften. Das Beispiel der Bechtle AG und ihrer Tochter PSB lässt sich auch auf die Immobilienbranche ausweiten. Dort meldete die TAG Tegernsee AG Mitte November, dass die Tochtergesellschaft Bau-Verein zu Hamburg AG im kommenden Jahr von der Börse genommen wird. Fast 90 Prozent der Aktien sind in TAG-Hand. " Die Börsennotiz verursacht Kosten, deren Notwendigkeit aufgrund der Anteilsverhältnisse in Frage zu stellen sind" , erläutert TAG-Vorstandsmitglied Olaf Borkers im Gespräch mit smartcaps. " Außerdem ergeben sich seit längerer Zeit aufgrund des geringen Streubesitzes und der damit verbundenen geringen Umsätze in Bau-Verein-Aktien deutliche Unterschiede zwischen dem inneren Wert und dem Börsenkurs." Entweder wird der Bau-Verein in eine andere Rechtsform umgewandelt (sogenanntes cold delisting), oder die Aktionäre erhalten im Rahmen des " hot delisting" ein Abfindungsangebot. " Wir prüfen beide Möglichkeiten, eine Entscheidung wird im ersten Halbjahr 2004 fallen" , so Vorstandsmitglied Olaf Borkers.


Standhafte Anleger wehren sich gegen den zwangsweisen Ausschluss

Auf das Squeeze-Out zu verzichten ist eine weise Entscheidung von Bechtle und der Immobilienfirma TAG. Denn der zwangsweise Ausschluss von Minderheitsaktionären birgt seine Tücken. Der Automobilzulieferer Edscha kämpft seit Monaten mit Anfechtungsklagen von sechs standhaften Anlegern, die sich gegen ihren Ausschluss wehren. US-Investor Carlyle hat mittlerweile 99 Prozent der Edscha-Papiere in der Hand. Wann die Beteiligungsgesellschaft ihre Neuerwerbung aber von der Börse nehmen kann, liegt in den Händen der Richter. Noch vor Ende des Jahres sollte allerdings eine Entscheidung gefallen sein.


Präsenz am Kapitalmarkt hat seinen Charme

Andere Investoren wissen hingegen noch nicht, wie sie nach der Übernahme mit dem börsennotierten Unternehmen weiter verfahren sollen. " Beide Szenarien - ein Verbleib an der Börse oder ein Squeeze-Out - sind durchaus reizvoll" sagt Ralf Weber, Vorstandsmitglied der Autania AG, zu smartcaps. Die Holding für mittelständische Maschinenbau-Unternehmen wurde im September von der Darmstädter Industriellenfamilie Ströher übernommen. Derzeit läuft ein Barabfindungsangebot von 13 Euro je Anteilsschein. Nur wenige Wochen nach Eröffnung des Verfahrens hält Familie Ströher bereits 90 Prozent der Autania-Aktien. Wie es weitergeht, ist allerdings unklar. " Bleibt Autania an der Börse, ergibt sich bei dem geringen Streubesitz ein relativ enger Markt" , so Vorstandsmitglied Weber, " dort lassen sich dann gute Kursgewinne realisieren. Außerdem hat die Präsenz am Kapitalmarkt auch ihren Charme." Die zweite Variante des Squeeze-Out sei allerdings auch denkbar: " Familie Ströher könnte dann still und leise ihr Geld verdienen."


Wie auch immer sich die superreiche Industriellenfamilie entscheidet, bereits jetzt sind die Umsätze mit Autania-Aktien minimal. Das gilt für die meisten Übernahmekandidaten, wo nur noch ein paar Zocker auf ein lukratives Squeeze-Out hoffen. In den meisten Fällen gehen die Aktionäre auf das Abfindungsgebot ein und kassieren die damit verbundene Prämie. Für die an Small- und Midcaps interessierten Anleger ist der Trend zum Abschied von der Börse allerdings problematisch. Denn oft sind es besonders aussichtsreiche und substanzhaltige Unternehmen, die übernommen werden oder aus Kostengründen die Segel streichen. Dadurch verliert das Segment einige seiner Perlen. Bleibt zu hoffen, dass im kommenden Jahr bei verbessertem Börsenklima wieder neue Unternehmen den Schritt an die Börse wagen. Nur dann kann das Nebenwerte-Segment die Vielfalt der deutschen Unternehmenslandschaft auf Dauer auch richtig abbilden.
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viele grüsse

cade
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