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Alt 18-08-2003, 08:23   #320
Stefano
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Unhappy

hola,

Frankfurter Offenbarungseid

Alexander Schur schleppt sich und seine Sporttasche die Treppe hinauf; oben angekommen sieht der Kapitän von Eintracht Frankfurt aus, als sei ihm unten im Bauch des Glaspalastes Ostseestadion der Leibhaftige persönlich über den Weg gelaufen. Das Gesicht kalkweiß, die Augen rotgeädert, zwischen den Bartstoppeln am Kinn baumelt ein hässlicher Faden, der, in die Haut eingenäht, eine klaffende Wunde zusammenhält. Das Gestolper und Gestoppel, das in ein 0:3-Desaster beim FC Hansa Rostock mündete, führt bei Schur, einem cleveren Bürschchen, das für gewöhnlich einen vollständigen Satz mit Subjekt, Objekt, Prädikat bilden kann, zu verbalem Ausfluss rudimentärer Art: "Grausam! Geschockt! Verarbeiten!" Der 32-Jährige atmet durch und stammelt verzweifelt: "So eine Leistung darf man einfach nicht abliefern, sonst holen wir gar keinen Punkt." Dann schleicht er Richtung Mannschaftsbus. Ob er jetzt Bammel habe, ruft ihm einer hinterher, Schur hält inne, dreht sich um, presst hervor: "Wenn man diese Leistung zum Maßstab nimmt, ja, dann kann man Bammel bekommen."

So wie am Samstag in Rostock muss es aussehen, wenn Mannschaften zwar in einer Liga spielen, aber doch Fußballwelten voneinander entfernt sind. Selbst die Spieler der Mecklenburger konnten sich, im Wissen, ihre eigene Leistung zu schmälern, nicht daran erinnern, wann jemals ein Opponent an der Ostseeküste aufgetaucht war und sich dergestalt ohne Gegenwehr in sein Schicksal ergab wie Eintracht Frankfurt. Jochen Kientz etwa, vor zehn Jahren einmal für Frankfurt in der Bundesliga am Ball und heute rustikaler Schienbeinpolierer in Rostock, resümierte: "Das wird ganz schwer für die Eintracht."

Der Klassenneuling, der schon nach 270 Minuten Bundesligafußball all jene Grantler befriedigt hat, die die Hessen schon vor dem ersten Anstoß als Absteiger verspotteten, ist von Hansa Rostock, einer Mannschaft, die zwischen Sylt und dem Bodensee selten für schlotternde Knie sorgt, der Lächerlichkeit preisgegeben worden. Die Eintracht, da waren sich hinterher alle einig, hatte kein Bundesliga-Niveau, indes: Mit dieser Leistung hätte sie auch nicht gegen viele Mannschaften aus der zweiten Klasse einen Blumentopf gewonnen. "Das war eine einzige Katastrophe", urteilte Uwe Bindewald. Die Profis fielen umher, als seien sie am Abend zuvor mit den Kumpels Jack Daniel's, Jonny Walker und Jim Beam in der Hotelbar versackt.

Trainer Willi Reimann setzte nach der Demontage eine Süßsauermiene auf und garnierte seine Ausführungen dann und wann mit einem spöttischen Lachen: "Wir waren nicht zweikampf- und nicht laufstark genug. Im Mittelfeld ideenlos und vorne ohne Durchschlagskraft. Es fehlte die Leidenschaft und die Kampfkraft, der Wille und die Einsatzbereitschaft." Da bleibt dann nicht mehr viel.

Insgesamt war das Eintracht-Spiel zu naiv, die Recken in den weißen Hemden ließen den Nordlichtern - und vor allem dem dreifachen Torschützen Martin Max - Zeit und Raum nach Belieben. Die Frankfurter stocherten die Kugel, kaum in Ballbesitz, tumb in die Beine des Gegners. Im Mittelfeld ließen sie sich einfach überrennen, spielten Fußball wie Hallenhalma - ohne Körperkontakt. "Das Tempo in der Bundesliga ist höher, deshalb haben die Spieler nicht mehr so viel Zeit und reagieren überhastet", erklärte Reimann. Er hätte auch sagen können: Es mangelt an fußballerischer Klasse. Der 53-Jährige denkt daher darüber nach, die Grundordnung zu ändern, seine Mannschaft defensiver spielen zu lassen, kompakter, mit zwei humorlosen Mittelfeldabräumern. "Wir haben ja in der zweiten Liga defensiver gespielt."

Frappierend fiel zudem die mangelhafte Spieleröffnung ins Gewicht. Keiner weit und breit, der das Spiel von hinten sauber aufbauen kann: Wiedener, Bindewald, Tsoumou-Madza, Cipi - allesamt fußballerisch limitiert. Jens Keller fehlt an allen Ecken und Enden, als Fußballer, besonders aber als Führungspersönlichkeit, der die Mitspieler "aufputscht, sie wachrüttelt" (Reimann). "Jens ist nicht zu ersetzen", sagt Ervin Skela, der - als wollte er das Gesamtbild abrunden - nicht mal einen Elfmeter im Kasten unterbrachte.

Jetzt nimmt in Frankfurt natürlich das Geschrei nach neuen Männern zu. Zwei bundesligaerprobte Spieler müssten es schon sein, will die Eintracht nicht nach nur einem Jahr wieder in den Fahrstuhl nach unten klettern. Peter Schuster, der neue Vorstandsboss, wiegelt jedoch ab. Es sei Geld für einen neuen Spieler vorhanden, aber das Preis-Leistungsverhältnis müsse stimmen. Auch Reimann warnt süffisant vor übertriebenen Erwartungen: "Wir bräuchten einen, der hinten den Ball raushaut, im Mittelfeld den entscheidenden Pass spielt und ihn vorne ins Tor schießt." Der, da muss man kein Prophet sein, wird schwer zu finden sein.
q: e-hp
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Ciao Stefano

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Ich werde nicht gefragt...ob ich sterben will...
also lasst mich LEBEN...wie ich es will...!
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