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Alt 01-08-2003, 14:43   #278
Stefano
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hola,

Im Land der Riesen-Eintracht Frankfurt nimmt die Außenseiterrolle in der qualitativ bestens besetzten Ersten Bundesliga dankbar an

Wie ein Rohrspatz hatte Willi Reimann auf die arme Familie eingeschimpft. Sie saß aber auch denkbar ungeschickt, direkt an der Außenlinie, ganz nah dabei, als die Eintracht-Recken Flanken aus vollem Lauf übten, unlängst im Trainingslager am Wiesensee. Und mancher Kicker hatte große Mühe, Vater, Mutter und die beiden Kinder, allesamt korrekt im Eintracht-Dress gekleidet, nicht einfach umzurennen. Wie gesagt: Reimann war lautstark sauer.

Kaum war die Trainingseinheit beendet, ist Uwe Bindewald, erfahrenster Profi, zu der ausgeschimpften Familie gegangen und hat Wogen geglättet. Nichts für ungut, hat er gesagt, der Trainer meine das nicht so, und das müsse man doch verstehen, er wolle halt den optimalen Erfolg, und sie hätten nun wirklich ein bisschen dicht am Spielfeldrand gesessen.

Solche Töne hat man lange nicht gehört bei Eintracht Frankfurt. Doch sie zeigen vor allen Dingen eines: Die Frankfurter Mannschaft ist charakterlich in Ordnung, die Chemie stimmt (auch wenn es, wie gestern im Abschlusstraining, bisweilen handgreiflich zugeht). Die Mannschaft ist relativ pflegeleicht, sie wirkt kompakt und homogen, Spinner, Quertreiber und Grüppchenbilder gibt es keine (mehr). Dies ist unzweifelhaft ein Pfund, mit dem sich wuchern lässt bei Eintracht Frankfurt im heute Abend beginnenden Überlebenskampf in der Ersten Bundesliga: die mannschaftliche Geschlossenheit.

Spötter sagen: Das ist auch die einzige Stärke dieser Mannschaft.

Man wird sehen. Unstrittig ist, dass es sehr schwer werden wird, in diesem Jahr die Klasse zu halten. Unmöglich ist es nicht. "Eine reelle Chance, drin zu bleiben" hätten alle drei Aufsteiger, pflegt Reimann zu sagen, wenn er auf die Aussichten seiner Mannschaft angesprochen wird. Nicht zufällig sei man schließlich aufgestiegen. Dennoch ist es so, dass man lange zurückblicken muss, ehe man ein derart ausgeglichen bestücktes Klassement findet. Im Grunde sind alle Teams in der Liga, die man von Name, Tradition und Reputation auch gerne dort spielen sieht (nur der 1. FC Nürnberg fehlt). Es gibt außer der Eintracht keine Mannschaft, die einem spontan für einen Abstiegsplatz einfallen würde.

Neben der Klasse der anderen Teams spricht nicht unbedingt die Erfahrung für die Frankfurter: Außer Oka Nikolov, Jens Keller, Andree Wiedener, Alex Schur, Markus Beierle und Uwe Bindewald betreten fast alle Spieler Neuland in der Bundesliga. Sie werden, das hat Reimann auch schon gesagt, eine gewisse Zeit brauchen, um sich an das andere, höhere Niveau, das Tempo, den Rhythmus zu gewöhnen. Der Kader der Eintracht ist ideal besetzt - für die zweite Liga. Ob er wettbewerbsfähig ist im Oberhaus, wird sich zeigen.

Was die Sache für die Eintracht nicht einfacher macht, ist ein denkbar undankbares Auftaktprogramm, das schwerer kaum hätte kommen können. Bayern München (A), Bayer Leverkusen (H), Hansa Rostock (A), Hertha BSC Berlin (H), Borussia Mönchengladbach (A), 1. FC Kaiserslautern (H) sind Kaliber, an dem sich auch andere die Zähne ausbeißen können. Zudem wird die Stimmung im Waldstadion, wo abgerissen und neu gebaut wird, nicht gerade eine besonders gute sein. 20 000 Zuschauer fasst die Baustelle in den ersten Wochen nur, ein Hexenkessel wird sich anders anhören.

Dessen ungeachtet, und das ist ja das Schöne, wenn auch Phrasenschwein-Taugliche am Fußball: Jedes Spiel muss gespielt werden. Deswegen gibt der Trainer Willi Reimann natürlich keinen Pfifferling auf all die Vorhersagen, Prognosen und Kaffeesatzlesereien. Wenn es danach ginge, hat er kürzlich erst gesagt, "dann könnten wir jetzt schon für die zweite Liga planen". Er hält sein Team durchaus für stark genug, drei andere Clubs hinter sich zu lassen. "Wir sind hochmotiviert und wollen beweisen, dass wir in der Vorbereitung gut gearbeitet haben." Auch wenn anfangs noch nicht alles "hundertprozentig funktionieren kann".

Spielerisch, so viel steht fest, hat sich die Eintracht durch die Neuzugänge deutlich verbessert. Auch der Konkurrenzkampf ist stärker geworden, nahezu alle Positionen im Team sind doppelt besetzt. Reimann hat also die Qual der Wahl und damit taktisch mehrere Alternativen. Alex Schur, dauerlaufender Mittelfeldgrätscher, findet sogar, dass "wir spielerisch besser dastehen als im Aufstiegsjahr 1998." Damals, daran sei erinnert, rettete die Eintracht die Klasse dank Jörg Berger und Jan-Aage Fjörtoft in letzter Minute am letzten Spieltag. Ein solches Happy-End im Waldstadion wird es nächstes Jahr nicht geben: Das 34. und letzte Spiel wird beim Hamburger SV angepfiffen.
q: e-hp
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Ciao Stefano

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