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Alt 19-10-2007, 21:25   #763
Starlight
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Black Monday: Als kein Mensch Aktien kaufen wollte

Am 19. Oktober 1987 brachen die amerikanischen Börsen so steil ein wie nie zuvor. Der Dow Jones verlor an einem einzigen Tag 22,6 Prozent seines Wertes und damit 500 Milliarden Dollar Anlagevermögen. Am 20. Jahrestag des "Black Monday" fragt sich die Wall Street: Kann ein solcher Crash wieder passieren?

Im Oktober fallen die Blätter, die Temperaturen… und manchmal auch die Börse. Auf den Tag genau vor zwanzig Jahren traf es die Wall Street besonders hart: Am 19. Oktober 1987 brach der Dow Jones auf einen Schlag um 22,6 Prozent ein, der Tag ging als „Black Monday“ in die Geschichte ein.

20 Jahre nach dem finstersten Tag in der amerikanischen Finanzgeschichte fragen sich Anleger: Kann ein Crash wie damals heute wieder passieren? Beim aktuellen Stand müssten Blue Chips mehr als 3000 Punkte abgeben. Unwahrscheinlich, sagen laut einer aktuellen Umfrage etwa 55 Prozent der Experten. 30 Prozent halten dagegen und einen Crash durchaus für möglich. Und alle stimmen überein: Ganz auszuschließen ist eine Neuauflage des „Black Monday“ nie.

An der Wall Street gibt es heute noch viele, die schon 1987 dabei waren. Jeder hat seine eigene Geschichte über den „Black Monday“. „So einen Tag vergisst Du dein ganzes Leben lang nicht“, meint Ted Weisberg, Chef des Brokerhauses Seaport Securities und ein alter Hase auf dem Parkett.

Wie dramatisch der Crash seinerzeit war, zeigt ein Blick auf das Börsenumfeld in den Tagen zuvor. Am Mittwoch vor dem „Black Monday“ verlor der Dow-Jones-Index 91 Zähler, so viel wie nie zuvor, und wurde zum Hauptthema in den Abendnachrichten. Zwei Tage später wurde erstmals in der Geschichte des Index ein dreistelliges Minus bilanziert. Ein Minus von 109 Punkte prangte bei der Schlussglocke auf den Anzeigetafeln – kaum nennenswert im Vergleich zu dem, was noch kommen sollte.

Als John Phelan, seinerzeit CEO der New York Strock Exchange, am Morgen ins Büro kam, wurde aus seinen schlimmsten Befürchtungen schnell Gewissheit: „Bei massiven Verkaufsorders lag keine einzige Kauforder vor“, erinnert er sich. „Kein Mensch wollte Aktien.“

Ein Griff zum Telefon bestätigte, dass die Situation an anderen amerikanischen Börsen dieselbe war. Das änderte sich auch nicht, als um 9.30 Uhr die Glocke läutete. Händler schrien, verkauften en masse, die Preise stürzten ins Bodenlose – am Ende des Handelstages hatte der Dow-Jones-Index 508 Zähler abgegenen, 22,6 Prozent seines Wertes. Satte 500 Milliarden Dollar Anlagevermögen waren binnen weniger Stunden vernichtet worden. Ob sich die Märkte von diesem Schock je erholen würden, war unklar.

Heute ist der Crash von 1987 nicht mehr als ein kleiner Riss in einem deutlich nach oben strebenden Langzeit-Chart. Vergessen ist er dennoch nicht, zumal – ausgerechnet zum Jubiläum – vieles in der globalen und nationalen Lage an die Umstände erinnert, die damals den „Black Monday“ eingeläutet oder zumindest begleitet hatten.

Die Parallelen sind geradezu unheimlich: Damals wie heute war der Markt von Inflationsangst geprägt, die vor allem auf einem rapide steigenden Ölpreis basierte. Der wiederum war eine direkte Folge der Krise in Nahost, vor allem in Irak und Iran. Amerika litt unter einer Kreditkrise. Der Häusermarkt in den USA war schwach, der Dollar wegen steigender Handelsbilanzdefizite mit Asien ebenso.

Im politischen Umfeld fällt zudem auf, dass auch 1987 ein relativ unerfahrener Chairman an der Spitze der Fed stand. Alan Greenspan war erst zwei Monate im Amt und hatte noch nicht das uneingeschränkte Vertrauen des Marktes, das er sich später erwerben würde. Im Weißen Haus saß derweil ein republikanischer Präsident am Ende seiner Amtszeit – eine weitere Parallele.

Viel wichtiger: Bei allen negativen Rahmenbedingungen war der Aktienmarkt ausgesprochen stark, manche kritisierten bereits die zu hohe Bewertung vieler Papiere. Zudem waren komplexe Computerprogramme für den größten Teil des Handelsvolumens verantwortlich, die den Verkaufsdruck verstärkten und den Rekordsturz erst möglich machten.

Auf der anderen Seite hat der Markt in zwei Jahrzehnten natürlich auch dazugelernt. Mancher auf dem Parkett schmunzelt heute darüber, dass Anleger damals bei den steil fallenden Kursen panisch immer mehr verkauft haben – obwohl sich doch rückblickend eine tolle Kaufgelegenheit ergeben hatte. Immerhin: Nach dem Crash hatte der Dow Jones schon zwei Monate später um 11 Prozent zugelegt und anderthalb Jahre später sämtliche Verluste wettgemacht.

Zudem haben Anleger heute gelernt, dass die Mächtigen auf ihrer Seite stehen. Die Fed, auf die man seinerzeit nicht zu setzen wagte, hat sich in den letzten Jahren regelmäßig als Retter in der Not erwiesen. Unmittelbar nach dem „Black Monday“ hatte sich sogar der Kongress eingeschaltet – mit Erfolg: Eine Gesetzänderung, die Unternehmen den Rückkauf eigener Aktien erleichterte, brachte Käufer in den Markt. Rückkäufe in Milliardenhöhe brachten wieder Schwung auf’s Parkett.

Analysten weisen zudem darauf hin, dass die Wall Street trotz des jüngsten Bullenmarktes lange nicht derart hoch bewertet ist wie in den späten Achtzigern. Damals hatte der steilste Bullenmarkt der Geschichte den Wert der Blue Chips in fünf Jahren verdreifacht. Der Index hatte ein KGV von 22 gegenüber 18 heute. „Der Markt war nie mehr so überbewertet wie 1987“, meint Tom McManus, der Aktienstratege der Bank of America.

Zudem erinnern Insider an zahlreiche technische Barrieren, die einen kompletten Verfall des Marktes heutzutage aufhalten würden. Ein Verlust von 5 Prozent im Dow schaltet bereits die automatischen Verkaufsorders aus und bremst den Markt. Ein Einbruch um 20 Prozent würde den Handel sofort stoppen.

Und doch: Es gibt durchaus Szenarien, unter denen ein Crash vorstellbar wäre, der dem „Black Monday“ gleich kommen oder sogar schlimmer sein könnte. Das US-Anlegermagazin Barron’s nennt eines. „Ein Angriff der USA auf Iran könnte den Ölpreis sofort über 100 Dollar treiben, gleichzeitig die Nahost-Staaten dazu bewegen, ihre Dollar-Anlagen abzustoßen und zudem die ganze Region destabilisieren. Das könnte eine Verkaufswelle bei Hedgefonds auslösen…“ – Bingo, da wäre der Crash.

Unrealistisch ist ein solches Szenario nicht. Im Gegenteil: In Washington wird bereits seit Wochen laut über einen Angriff gegen Iran nachgedacht, Bushs Vize-Präsident Dick Cheney wirbt nach Kräften dafür.

So bleibt die Frage: Wie würde der Markt einen zweiten „Black Monday“ wegstecken. Hier zumindest sind sich die Experten einig. In ein paar Jahren wäre auch ein heutiger Sturz um 22,6 Prozent nicht mehr als er damals war: ein kleiner Riss in einem ansonsten steil aufwärts strebenden Langzeit-Chart.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc
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