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Alt 15-01-2007, 12:55   #3
romko
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Teil 3

Für Sklaven sind die Nachwuchsbanker zwar ausnehmend gut bezahlt. Ein Junior-Analyst verdient im Jahr mindestens 55 000 Dollar (42 000 Euro), dazu kommen ein Jahresendbonus zwischen 15 000 und 40 000 Dollar und eine Einmalzahlung von mindestens 10 000 Dollar bei der Vertragsunterzeichnung. Reich werden die so genannten Associates (Mitarbeiter) trotzdem nicht. Die meisten von ihnen haben während des Studiums, meist an teuren Eliteschulen wie Wharton in Pennsylvania oder Harvard, Studentendarlehen aufgenommen, die sie von ihren Antrittsgehältern abstottern müssen. Schuldenberge von 80 000 bis 100 000 Dollar sind nicht ungewöhnlich. Viele unterschreiben zudem im ersten Glücksrausch Kaufverträge für teure Appartements in Manhattan - und binden sich damit an ihre gut bezahlten, aber oft unerträglichen Jobs.

Viele Wall Street-Junioren werden sogar psychisch abhängig vom Geld, sagt Jonathan Foreman, ein ehemaliger Wall Street-Rechtsanwalt, der heute über seine Erfahrungen schreibt: "Nach einem zwölf Stunden-Tag oder einem Streit mit dem Chef hilft es ungemein, sich mit einer Seidenkrawatte für 80 Dollar zu belohnen. Doch dann braucht man mehr und mehr Krawatten oder Anzüge - und schon bald kann man sich das Leben ohne ein enormes Gehalt nicht mehr vorstellen."


Etliche der jungen Angestellten geben sich selbst das Versprechen, nur noch bis zur nächsten Bonusrunde abzuwarten und dann den Schlussstrich zu ziehen. Bei Goldman Sachs, der berühmtesten und erfolgreichsten aller Investmentbanken, sind die Bonuszahlungen am höchsten: 2006 zahlte sie 16,5 Milliarden Dollar Boni, das sind fast 625 000 Dollar pro Mitarbeiter. Jobanfänger kassieren allerdings weit weniger.

Auch der Druck von Familie, Freunden und Studienkollegen trage häufig dazu bei, den Job weiter zu ertragen. "Wer nicht durchhält und anstatt bei einer Investmentbank nur noch bei einer Geschäftsbank arbeitet, gilt als Versager", sagt Foreman. Das Büro von Berater Cass ist eine Mischung aus einer psychiatrischen Praxis, wie man sie aus amerikanischen Filmen kennt, und einem Banker-Büro: Neben der Ledercouch hängt ein Plakat des Films "Wall Street" an der Wand, auf seinem Schreibtisch steht die Miniatur eines Bronzebullen. Cass, der sich selbst den "Stockdoc" (Aktiendoktor) nennt, hat schon Fälle erlebt, in denen erfolgreiche Investmentbanker vor Verzweiflung ihre Karriere abbrachen, um Taxifahrer zu werden. Andere Banker schotten sich auf dem Weg an die Spitze immer mehr emotional ab: "Sie nehmen ihre Frau und Kinder nur noch als eine weitere Aufgabe wahr, die gemeistert werden muss." Solche Fälle nennt Cass "Ice Men", Männer aus Eis.

Auch Melanie Jones hat so einen Fall erlebt, eine ihrer Vorgesetzten bei Goldman Sachs. "Sie bekam nie ihre beiden Kinder zu Gesicht, und sprach von ihnen immer nur als Last", sagt sie. "Ein Glück, dass ich nicht so geworden bin!" Melanie arbeitet heute bei einem großen Finanzdienstleister. Auf einer niedrigeren Position und mit weniger Geld, dafür mit mehr Freizeit - und netten Kollegen.
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