Teil 2
Von da an machte der ihr Leben noch weitaus schwerer. Er gab ihr unangenehme Sonderaufgaben übers Wochenende, steckte sie in Teams mit den schlimmsten Cholerikern. Das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, kam immer häufiger. Irgendwann stellten sich auch Schlaflosigkeit und scheinbar grundlose Angstausbrüche ein. Als ein Vorgesetzter sie eines Abends fünf Minuten am Stück wegen eines unbedeutenden Fehlers anschrie, kam ihr Zusammenbruch vor dem Computerbildschirm. Und die Entscheidung: Ich muss hier weg, ohne Rücksicht auf Karriereaussichten. "Meine Gesundheit hat das einfach nicht mehr mitgemacht", sagt Melanie.
Psychologe Alden Cass kennt Melanie zwar nicht, hat aber täglich Fälle wie sie in Behandlung. In seinem Büro, das in einem Büroturm mitten in Manhattan liegt, betreuen er und die neun Mitarbeiter seiner Firma "Catalyst Strategies Group" Wall Street-Banker, die dem Druck der Finanzmetropole nicht mehr standhalten. "Viele kommen zu mir und fragen: Wie kann es sein, dass ich trotz meines ganzen Geldes so unglücklich bin?", sagt Cass.
Vor allem in den großen Investmentbanken würden Berufseinsteiger häufig gedemütigt und wie Verfügungsmasse behandelt - und das nicht nur in Einzelfällen, sondern regelmäßig. Tatsächlich hat fast jeder Berufseinsteiger, den man in der Stadt kennen lernt, haarsträubende Geschichten aus seinem Büro zu erzählen.
Die Mitarbeiterin eines Aktienanalysten bei der Investmentbank Morgan Stanley sagt, sie werde regelmäßig von ihrem Chef am Freitagnachmittag dazu verdonnert, bis Samstag Mittag einen ausführlichen Bericht über diese oder jene Aktie zu schreiben. Wenn sie nach der erzwungenen Extra-Schicht den Bericht fertig habe, bekomme sie vom Chef anstatt einem Lob meistens eine knappe Email in scharfem Ton: "Wie konnten Sie übersehen, dass auf Seite drei ein Tippfehler ist?"
Als besonders schlimm beschreibt ein junger Banker bei der Citigroup das Betriebsklima in seinem Büro. Fast täglich müssen er und seine beiden Kollegen sich vom Vorgesetzten anschreien lassen. Mit den Leidensgenossen im nächsten Bürokasten jenseits der Pappwand darüber zu sprechen, wagt er nicht. "Wir reden nie privat miteinander. Ich weiß schließlich nicht, ob ich den Kollegen trauen kann", sagt er. Manchmal sieht er einen anderen Mitarbeiter am anderen Ende des Großraumbüros, der gerade entlassen wurde und unter den neugierigen Blicken der Kollegen seine Kisten zusammenpacken muss. "Ich habe mich noch nie getraut, nach dem Grund für die Entlassung eines Kollegen zu fragen", sagt er, "das könnte als Aufsässigkeit ausgelegt werden."
Nur in anonymen Internetportalen wie der Seite
www.vault.com trauen sich die verschüchterten Banker, ihre Anklagen deutlich zu formulieren. Dort kommen teilweise heftige aufgestaute Gefühle an die Oberfläche. "Die Vorgesetzten lassen Dich ständig spüren, dass sie Dich für inkompetent halten und lassen Dein Selbstwertgefühl immer kleiner werden", schreibt etwa der Mitarbeiter eines Goldman Sachs-Analysten. "Die Chefs sind extrem arrogant, und unter den Mitarbeitern herrscht Angst", beschreibt ein Angestellter der Investmentbank Bear Stearns verbittert seine Arbeit, und meint resigniert: "Wir sind nicht mehr als Lohnsklaven."