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Alt 15-01-2007, 12:54   #1
romko
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Jobhölle Wall Street

aus: www.welt.de

Das Ende von Melanie Jones Karriere kam in einer Freitagnacht. Nach einer fast schlaflosen Woche brach sie um zwei Uhr morgens mit einem Heulkrampf vor ihrem Computerbildschirm zusammen. "Ich konnte einfach nicht mehr aufhören zu weinen", sagt sie. In dieser Nacht vor gut einem Jahr wurde der heute 30-jährigen klar, dass sie so schnell wie möglich weg wollte von ihrem Arbeitgeber: Goldman Sachs, der größten Investmentbank der Welt. Dem Arbeitgeber, der ihr seit Monaten Panikattacken und Schlaflosigkeit beschert hatte. Auch wenn sie wusste, dass dies das Ende ihrer Karriereträume bedeutete.

Eine Erfahrung wie Jones (Name geändert), die ihre Geschichte der WELT erzählte, werden auch in diesem Jahr wieder viele Berufseinsteiger an der Wall Street machen. 300 bis 400 Universitätsabsolventen aus der ganzen Welt ergattern jährlich einen der begehrten Jobs bei Investmentbanken oder Hedgefonds in der Finanzmetropole. Die meisten von ihnen sind hoch qualifiziert, extrem motiviert, und träumen davon, eine steile Karriere wie aus dem Hollywoodfilm zu machen.


Doch anstatt in Reichtum und Glück endet die Wall-Street-Laufbahn für viele Nachwuchsbanker in Depressionen, Trinksucht oder Angstzuständen. "Der Anteil Stresskranker und Alkoholabhängiger ist an der Wall Street signifikant höher als im Bundesdurchschnitt", sagt Psychologe Alden Cass, der seine Doktorarbeit über Stresskrankheiten bei New Yorker Aktienhändlern geschrieben hat und heute New Yorker Manager psychologisch behandelt. Seine Forschungsergebnisse ließen sich auf die gesamte Wall Street übertragen, sagt Cass: Demnach leidet rund ein Fünftel aller 20- bis 30-jährigen der Berufsgruppe unter Depressionen oder Angstzuständen. Im US-Durchschnitt liegt die Zahl bei nur sieben Prozent. "Ich höre immer häufiger von Karriereabbrechern, die dem Druck nicht mehr standhalten."

Melanie Jones lebte lange unter dem Druck, eine steile Laufbahn hinlegen zu müssen. Goldman Sachs schien der perfekte Arbeitgeber. Schließlich sei das traditionsreiche Geldhaus der Wunschtraum der meisten Wirtschaftsstudenten, erzählt die Asiatin mit den langen dunklen Haaren. Um ihre Geschichte zu erzählen, hat sich Melanie zu einem Treffen in einem versteckten Teehaus in Chinatown überreden lassen. Während sie in Wharton an ihrem Master-Abschluss arbeitete, fuhr sie immer wieder für neue Vorstellungsrunden nach New York. "In den Vorstellungsgesprächen war immer vom Teamgeist bei Goldman Sachs die Rede, darauf wurde besonderen Wert gelegt", sagt sie.

Unmittelbar, nachdem sie den Vertrag unterschrieben hatte, war davon allerdings keine Rede mehr. "Wir fuhren mit einer Gruppe anderer Jobanfänger in ein Ausbildungscamp. Es war wie beim Militär. Der Trainer beschimpfte uns, ließ uns spüren: Wir interessieren uns nicht für Dein Leben, Du bist austauschbar." Im New Yorker Büro ging es im selben Ton weiter. Ihre Kollegen machten sich gegenseitig bei den Chefs schlecht, wo es nur ging, anstatt Teamgeist gab es unfaire Konkurrenz und Treten nach unten. "Mein Chef sagte mir vor dem Wochenende immer: Nehmen Sie sich nichts vor, ich werde Sie vielleicht brauchen." Schon da fühlte sich ihre Kehle immer häufiger wie zugeschnürt an, erzählt Melanie Jones.

"Unsere Vorgesetzten bevorzugten nicht die Mitarbeiter mit den besten Leistungen, sondern diejenigen, die sich am meisten anbiederten", sagt Melanie. Und die abends am längsten im Büro blieben. Auch, wenn sie dabei gar nicht arbeiteten. "Face Time" wird das an der Wall Street genannt. Einige Angestellte versuchten, diese Zeitverschwendung zu umgehen, in dem sie abends vor dem Feierabend eine Jacke über den Stuhl hängten und auf dem Bildschirm eine Excel-Tabelle öffneten, um den Anschein zu erwecken, sie seien noch im Büro. So machte es auch Melanie. Doch eine missgünstige Kollegin bemerkte das und verpetzte sie beim Chef.
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