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Alt 22-12-2006, 23:12   #7
MANKOMANIA149
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Die schlesische "Fettlebe"


Schlesien war bekannt für seine deftige, aber auch feine Küche. Was mußten während der Weihnachtstage unsere Mägen nicht alles mehr oder weniger glimpflich überstehen?


Es war ja nicht so, daß die Leute der damaligen Zeit jeden Tag das "schlesische Himmelreich" auf Erden hatten! (Ein Gericht aus gekochtem, gedörrtem Backobst, Kasseler und Klößen


Zuerst das Heilig-Abend-Essen. Schlesische Weißwurst, die überwiegend aus Kalbfleisch und Wein hergestellt wurde. Dazu die braune Wurst, Kasseler und Sauerkraut. Mutter aß auch noch Karpfen in polnischer Soße. Sie versuchte es jedenfalls. Meist war sie aber von all der Kocherei so satt und müde. Sie stellte sich am späten Abend, wenn wir Kinder glücklich und zufrieden ins Bett huschten, einen Teller, gefüllt mit Weißwürsten und Karpfenstücken, auf den Nachttisch. Meistens, dann mitten in der Nacht, fing sie an zu schmausen. Wohl auch zu Vaters Ergötzen, und beide tauschten leise Worte aus. Schon halb im Schlaf hörte ich sie kauen und wispern. Damals schlief ich noch im Zimmer der Eltern. Später, als beide Jungen im Krieg waren, bekam ich mein eigenes kleines Kinderreich.


Die Feiertage waren Tage zum Essen, zum Besuchen, zum Erzählen, Streuselkuchen, hohe Mohnbaben, aber auch der Frankfurter Kranz, so wie er heute noch gebacken wird, standen auf dem Verwöhnprogramm. Das Wohnzimmer, dank des guten, wärmenden Kachelofens so heimelig und gemütlich, nahm all die Tanten und Onkel, die Omas, die Freunde der Eltern auf. Wir Kinder aßen natürlich in der Küche, wurden nur zum Knickschen oder Diener machen hereingeholt, nahmen artig die mitgebrachten Geschenke entgegen und trollten uns wieder in die Küche. Diese Art der Küchenenklave war sowieso besser für uns und die Kinder unserer Gäste. Verstanden wir doch nichts von den Gesprächen der Großen. Die Hauptsache, Kakao und Kuchen waren in Fülle vorhanden, die Weihnachtsteller noch voll.


Am Abend dann, wenn der Besuch sich nach vielen Verabschiedungen auf den Heimweg machte, schlich so manch einer von uns ins "Allerheiligste" und leckte verstohlen die klebrigen Reste von "Kroatzbeere" oder "Danziger Goldwasser" aus den Likörgläsern. Man durfte sich nur nicht erwischen lassen, sonst gab's gestoßenen Hühnermagen, Mutters Leibrezept, zur "Läuterung".


Am Jahresende, zu Silvester, gab's dann Punsch und vor allem die obligatorischen schlesischen Mohnklöße. Sie hatten ja beileibe nichts mit Klößen zu tun, man stach sie nur mit dem Löffel klößchenähnlich aus der Schüssel. gut gekühlt, waren sie ein himmlischer Kontrast zu Glühwein und Punsch. Wir bekamen heiße Zitrone oder Himbeersaft.


Dazu gab es wieder Karpfen. Dieser schwamm bis zum Dunkelwerden noch munter in der gefüllten Badewanne. Erst dann ging Mutter ins Badezimmer, ließ das Wasser aus dem Becken und kam wenig später, mit hochrotem Kopf, meist patschnaß, aber triumphierend, den glitschigen Karpfen in der Schüssel, wieder heraus.


Ich habe immer nur den armen Fisch bedauert und war nicht zu überreden, etwas von ihm zu probieren. Die anderen hatten weniger Skrupel, Kopf und Gerüst lagen schon nach kurzer Zeit einsam und traurig auf der Butterplatte.


Ich hielt mich lieber an den Kartoffelsalat. Heute noch mache ich ihn nach Mutters altem Rezept, manches Mal auch nach Großmutter Wieders Art, mit warmen, ausgelassenen Speckwürfeln. Egal auf welche Art, jeder langte dann zu. und Vater war zufrieden und Mutter glücklich.


So, oder ähnlich, verlief bei uns und bei anderen meiner schlesischen Landsleute das Weihnachtsfest. Alle Jahre, immer wieder bis zur Flucht 1945. Da war es dann für viele Jahre vorbei mit Schmaus und Freude.


Christel Brückner

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Hintergrundmusik:
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Alles was ich schreibe ist meine private Meinung.
Vegetarisches Essen schmeckt am Besten, wenn man es vor dem Servieren durch ein Steak ersetzt.
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