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Alt 16-10-2006, 20:18   #1800
Benjamin
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Interview
„Die Börsianer sind zu optimistisch“



Nouriel Roubini, New York University
09. Oktober 2006

Unbeirrt von allen nur denkbaren Turbulenzen und kritischen Nachrichten streben die internationalen Börsen nach oben. Der Dow Jones Industrial Index erreichte in den vergangenen Tagen sogar neue Rekordhochs.

Auf dieser Basis dürfte es kaum verwundern, daß sich die Analysten und Strategen der internationalen Banken mehrheitlich optimistisch geben und weitere Kursgewinne prognostizieren. Die Frage ist, ob man solchen Einschätzungen glauben kann, immerhin haben diese Personen etwas zu verkaufen.

Unabhängige Stimmen dagegen geben sich skeptischer. Zum Beispiel Nouriel Roubini, Professor of Economics an der Stern School at New York University und Chairman von Roubini Global Economics. Im FAZ.NET-Interview meint er, die amerikanische Wirtschaft werde schon im ersten Quartal des kommenden Jahres negative Wachstumsraten zeigen und die Börsen nach unten ziehen.

Wir sehen an den Finanzmärkten gegenwärtig eine interessante Konstellation: Die Anleiherenditen sind sehr tief und der Dow Jones Index befindet sich auf einem Rekordhoch. Gleichzeitig werden jedoch die amerikanischen Konjunkturdaten sehr schnell sehr schwach. Wie paßt das zusammen?

Der Anleger am Rentenmarkt gehen von einer abflauenden Konjunktur in Amerika aus und davon, daß die amerikanische Zentralbank bald die Leitzinsen senken wird. Die Börsianer dagegen scheinen von einer anhaltend starken Wirtschaft oder zumindest einem so genannten „soft landing“ auszugehen. In Realität befindet sich die Börse jedoch nach meiner Meinung in der sogenannten „suckers rally“, also einer „Rally der Trottel“.


Was heißt das?

Die Märkte wissen, daß die konjunkturelle Dynamik abflauen wird. Allerdings hat das Gewinnwachstum bisher noch nicht oder kaum nachgelassen, und das führt zusammen mit der Vermutung, die Zentralbank werde der Börse zu Hilfe kommen und die Geldpolitik bald wieder lockern, zu optimistischen Aktienkurserwartungen - im Gegensatz zu den Rentenmärkten.

Wer hat recht?

In meinen Augen liegen die Börsianer falsch. Ich denke die Lage ist vergleichbar mit dem Jahr 2001: Während die amerikanische Wirtschaft damals im März in eine Rezession geriet, stritten noch 95 Prozent der professionellen Prognostiker die Möglichkeit einer Rezession ab. Die Börse boomte zunächst, obwohl die inverse Zinskurve eine schwache Wirtschaft andeutete. Im Juni dann, als die Rezession durch die Daten bestätigt wurde, begann die Börse schließlich rasch zu fallen, was durch die Ereignisse im September des Jahres noch verstärkt wurde.

Das heißt, Sie haben kein Vertrauen in die Börse im Moment?

Nein, ich denke, die Signale des Rentenmarktes sind verläßlicher. Auch die anderen Märkte senden kritische Signale: Die Hauspreise fallen, die Aktien der Bauwerte fallen, die Rohstoffpreise fallen und der Ölpreis geht zurück. Die Börsianer sagen zwar, fallende Ölpreise seien positiv. Dabei scheinen sie allerdings Ursache und Wirkung zu verwechseln. Denn in einer Rezession fallen Energie- und Rohstoffpreise immer - und wird befinden uns in einer Phase, in der die Weltwirtschaft abflaut.

Sie erwarten in den Vereinigten Staaten also eine Rezession?

Ja, ich denke, die amerikanische Wirtschaft wird sich im ersten Quartal des Jahres 2007 in einer Rezession befinden. Ich gehe für das dritte Quartal des laufenden Jahres von einem Wachstum zwischen einem und eineinhalb Prozent aus, nach 2,6 Prozent Wachstum im zweiten und nach 5,6 Prozent im ersten Quartal auf Jahresbasis. Wir sehen eine scharfe Verlangsamung der amerikanischen Konjunktur. Die am Freitag veröffentlichte Zahl neu geschaffener Stellen von 50.000 war die schlechteste seit Jahren. Alle Zeichen deuten konsistent auf eine Rezession hin.

Der Dollar jedoch hat auf die Arbeitsmarktzahlen positiv reagiert!

Das mag sein. Sobald jedoch die konjunkturelle Entwicklung in Amerika klarer werden wird und das Wachstum in Europa und Japan höher sein wird als in Amerika - mit entsprechenden geldpolitischen Konsequenzen - kann der Dollar nur in eine Richtung gehen: nach unten.

Die amerikanische Zentralbank sagt, der Häusermarkt korrigiere zwar, die restliche Wirtschaft sei jedoch sehr stark. Glauben Sie das nicht?

Die jüngsten Zahlen von August und September zeigen etwas anderes, sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der Angebotsseite.

Was bedeutet das für die globale Wirtschaft? Werden sich Europa und Asien von dieser Entwicklung abkoppeln können?

Grundsätzlich nicht. Wenn man sich entsprechende Argumente von Goldman Sachs, JP Morgan oder auch anderen anschaut, so gehen sie alle von einem „soft landing“ in den Vereinigten Staaten aus. Allerdings sind die Handels- und Finanzbeziehungen weltweit so eng, daß sich niemand wird abkoppeln können von einer rezessiven Entwicklung in Amerika.

Wie sollten sich Anleger vor diesem Hintergrund künftig positionieren?

Ich bin sehr optimistisch für Anleihen. Dagegen bin ich sehr pessimistisch für amerikanische und indirekt auch für internationale Aktien. Grundsätzlich blicke ich ebenfalls sehr skeptisch auf die Entwicklung der Energie- und Rohstoffpreise. Denn eine Rezession in den Vereinigten Staaten wird zu langsamerem Wachstum in China führen. Aus diesen Gründen wird die Nachfrage nach Rohstoffen und Energie nachlassen. Der Ölpreis dürfte jedoch aufgrund von geopolitischen Schocks trotzdem jederzeit deutlich anziehen können, wenn die Angebotsseite gestört werden sollte.

Wo sehen sie das größte Risiko?

Das deutlichste „Opfer“ des skizzierten Szenarios kann der Dollar werden, der rasch und deutlich fallen kann, insbesondere gegen die asiatischen Währungen. Insgesamt würde ich im Moment „Cash“ in „Nicht-Dollar-Währungen“ halten.
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