Das Berliner U-Bahn Gespenst wiegt nur 27 Kilo und fühlt sich pudelwohl
aus wdr.de
Sein Anblick erschreckt, nur Haut und Knochen, so gut wie keine Fettschicht. Stephan wirkt auf den ersten Blick wie ein todkrankes Geschöpf. Die Berliner kennen ihn, die lokale Boulevardpresse bezeichnete ihn als "U-Bahn-Gespenst". Genau dort, im Berliner Untergrund, taucht er regelmäßig auf: Erscheint, blitzt auf mit seinem Wortwitz und verschwindet genauso schnell wieder. Dabei verkauft Stephan philosophische, selbst verfasste Texte und bettelt um zehn Cent "fürs Nichtsingen".
Mindestens drei Tage wöchentlich dieselbe Tour. Er gehört seit 20 Jahren zum Bild der Berliner U-Bahn. Von allen, die ihn so kennen, weiß kaum einer, wer Stephan wirklich ist. Spekulationen gibt es viele: "Das ist eine alte reiche Frau, die nur zum Vergnügen bettelt." Oder: "Ein todkranker Junge, der nicht mehr lange leben wird." Stephan hat da seine eigene Definition. Sein ausgezehrter Körper sieht krank aus. Selbst für Stephans Hausarzt grenzt es an ein Wunder, dass sein Patient seit über 20 Jahren im "kachektischen Zustand" überleben konnte - ein Zustand, in dem der Körper sich selbst verbrennt. Die Ursachen können vielfältig sein: von Magersucht bis zu anderen Formen der Fehl- oder Mangelernährung. Die Folgen sind meist fatal. Theoretisch ist die Krankheit auch umkehrbar - man kann wieder ganz "normal" werden. Den wenigsten jedoch gelingt es. Stephan hat eine Art "Gleichgewicht" erreicht. Er isst genug - zumindest so viel, dass sein Körper sich nicht weiter selbst verbraucht. 3.500 Kalorien pro Tag. Und ist damit etwas Besonderes: Der Hausarzt kennt niemanden, der mit seiner Krankheit so schonungslos und wissend umgeht wie Stephan. Und dabei so agil, so lebendig, so lebensfroh sein kann.
Hormonell ist Stephan - aufgrund seiner Auszehrung - auf dem körperlichen Entwicklungsstand eines Jugendlichen. Er hat die hohe Stimme eines 14-Jährigen vor dem Stimmbruch. Mit der unermüdlichen Neugier eines Teenagers betrachtet er die Welt und erklärt sie dann oft überraschend mit den Augen eines weisen alten Mannes.
Claudia Puzik und Fabian Sabo haben Stephan ein halbes Jahr lang begleitet. Ihr Film porträtiert einen jungen Mann, der die narzisstische Frechheit eines Jugendlichen kultiviert hat, um sich in der Großstadtwelt zu behaupten: als Bettler, als Physikbegeisterter und als Alltagspoet. Schonungslos ehrlich und hautnah!