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Alt 06-06-2005, 17:30   #4
Graf Zahl
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STIMMT DAS?
Tatort Stadion?
VON FRANK HELLMANN

Nicht einmal zehn Jahre ist es her, da genoss der Fan, der an der Tageskasse für einen Zehnmarkschein das günstige Papierticket mit Aufdruck "Kurve Stehplatz West" erstand, im Stadien die große Freiheit. Sich nämlich dorthin zu stellen, wo es ihm genehm ist. Entweder ganz vorne am Stahlgitter oder ganz oben im Wind an der Kante, seitlich oder mittig. Ein besonderes Anrecht für einen bestimmten Standplatz gab es nicht. Kinder und Kleinwüchsige bevölkerten meist weit vor Spielbeginn die Steintreppen - aus gutem Grund. Nur so ließ sich nämlich der beliebte Platz an einem der Wellenbrecher ergattern; jenen Eisenstangen, die irgendwie garantierten, dass man nicht just mit Anpfiff in der Masse beiseite geschoben oder hinter einen die Sicht versperrenden Mann von riesengroßem Wuchs gepresst wurde. Die weitläufige Stehtribüne hatte noch einen anderen Vorteil: Man schwatzte jedesmal mit einem anderen Nebenmann und nicht wie Dauerkarteninhaber Onkel Karl auf der Sitzplatz-Südtribüne immer mit seinem nervigen Nachbarn Günter neben sich. Was für Sicherheitsexperten der Nachteil dieser von vielen Fans sehr geschätzten Stehplatzordnung war: Der Bereich war nur schwer zu kontrollieren und separieren. Und weil immer mal wieder Prügelhorden quer durch die Kurve türmten, ging man alsbald dazu über, auch die Stehplatzbereiche in Sektoren und Sektionen zu unterteilen. Um mit Argusaugen darauf zu achten, dass im kleinteilig umzäunten Teil West C 3 auch nur steht, wer West C 3 auf der Karte stehen hat. Als in den vergangenen Jahren die Sitzschalen anstelle der Stehplätze rückten, abgetrennte Zugangs- und Zufahrtswege geschaffen wurden, wähnten sich die Kontrollettis am Ziel.

Doch: Die neuen Stadien sind zwar garantiert gewaltfreier als früher, aber treten verhasste Fans, schlagwütige Hooligans oder angetrunkene Randalierer - gemessen an der Zahl ihrer Straftaten - damals wie heute auf den Plan. Nur halt anderswo. "Der Ort ist nicht mehr derselbe wie vor 14, 15 Jahren", bestätigt der DFB-Sicherheitsbeauftragte Alfred Sengle. "Statt im Stadion finden die Ausschreitungen jetzt in der Fußgängerzone, in der Innenstadt, auf Raststätten oder einfach auf der grünen Wiese statt." Die Polizei berichtet voller Sorge von "vollkommen ohne Fußballbezug" getroffenen Verabredungen, für die Gewalttäter "äußerst konspirativ und zielgerichtet abgelegene, jedoch mit Pkw günstig zu erreichende Orte wie in Außenbezirken liegende Parkanlagen, Industriegebiete oder Parkplätze an Waldrändern auswählen". Diese Gruppen verabreden sich nicht im Internet zur Schlägerei, sondern kurzfristig via Mobiltelefon. Nur mit Mühe erlangt die Polizei hiervon Kenntnis, umso schwieriger ist der Zugriff. Gerade bei Auswärtsspielen, so schreibt die Behörde in ihrem Lagebericht zum Verhalten der gewaltbereiten Fans, sei es Usus, sich mittlerweile weit entfernt vom Stadion oder gar von der Stadt zur verabredeten Auseinandersetzung zu treffen. Insofern gilt: Das Problem ist nicht gelöst, sondern nur verlagert.

Frankfurter Rundschau
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