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Alt 15-12-2004, 00:29   #101
Starlight
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Der Dow spiegelt die Börsenstimmung nicht wider

Dass die Indizes an den amerikanischen Börsen im Dienstagshandel nicht in die Gänge kommen, hat nichts zu bedeuten. Die Stimmung auf dem Parkett ist fantastisch, wozu vor allem die zahlreichen Übernahmen der letzten Wochen beitragen. Analysten jubeln, dass sich das Umfeld für Corporate America deutlich gebessert hat.

Die allgemein gute Laune ist angesichts weniger Zahlen recht einfach nachzuvollziehen. Die Mobilfunk-Spezialisten Sprint und Nextel wollen für 36 Milliarden Dollar zusammengehen, die lange Schlacht zwischen Oracle und PeopleSoft führte in einen 10,3 Milliarden Dollar schweren Merger. Johnson & Johnson will Guidant für 24 Milliarden Dollar übernehmen, und die Ehe von Symantec und Veritas im Software-Sektor soll für 13 Millionen Dollar geschlossen werden.

Unvergessen – weil auch in zahlreichen Jahresrückblicken erwähnt – sind zudem die 41 Milliarden Dollar schwere Übernahme von Cingular und AT&T Wireless im Mobilfunk-Sektor sowie die beiden großen Banken-Hochzeiten zwischen J.P. Morgan und Bank One für 58 Milliarden Dollar sowie Bank of America und Fleet Boston für 48 Milliarden Dollar.

Zusammen haben alleine diese sieben Übernahmen ein Volumen von fast einer viertel Billion Dollar. Dazu kommen zahlreiche kleinere Merger und unzählige IPOs – allein in dieser Woche gehen acht Unternehmen an der NYSE an den Start.

Erstaunlich simpel klingt die Begründung einiger Experten auf dem Parkett für den neuen Boom, der eine dreijährige Durststrecke zu einem Ende bringt. Eine Rezession und zwei Kriege waren nur der Anfang, eine allgemein schwache Börse, zahlreiche Bilanzskandale… wer mochte da groß investieren. Mit einer immer stabiler werdenden Konjunktur, höheren Aktienkursen und zuletzt sogar sinkenden Energiepreisen scheint für viele Manager der richtige Zeitpunkt zur Expansion gekommen zu sein.

Wie gut das Jahr wirklich lief – vor allem die letzten paar Wochen – wird in wenigen Tagen beleuchtet, wenn sich die Experten über die großen Indizes beugen und Jahresveränderungen ausrechnen. Sie werden eine Überraschung erleben. Denn statt der sechs oder sieben Prozent Wachstum, die der marktbreite S&P-500-Index oder auch die Hightech-lastige Nasdaq gemessen haben, weist gerade der Leitindex ein geradezu mickriges Plus auf: Lediglich um anderthalb Prozent hat sich der Dow in (fast) zwölf Monaten verbessert.

Das soll aber niemanden erschrecken, der Dow hatte im letzten Jahr wirklich Pech. Ein näherer Blick auf die Komponenten bestätigt das: Die größten Verlierer unter den Blue Chips litten nämlich nicht an struktureller Schwäche, sondern vielmehr am eigenen Management. Der Pharmazeut Merck belastet die Statistik mit einem Minus von 35 Prozent, nachdem man mit Vioxx gepatzt und sonst nicht viel entwickelt hat. Pfizer rutschte dem Kollegen auf ein Minus von 23 Prozent hinterher. Steil abwärts fährt der völlig fehlgeleitete Wagen von General Motors, der zurzeit ein Jahresminus von 27 Prozent ausweist und damit mit Intel auf einer Stufe steht. Um 18 Prozent verschlechterte sich Coca-Cola, wo ein zielloses Management kein Mittel findet, die Umsatzeinbußen der braunen Brause durch Innovation und Diversifikation wieder wett zu machen.

Durchweg konjunkturell bedingt sind unterdessen die Erfolge der Dow-Gewinner – abgesehen vielleicht von McDonald’s, wo ein starkes Management eine vor einem Jahr strauchelnde Marke auf den rechten Weg zurückbrachte. Doch Boeing, ExxonMobil, General Electric und Home Depot stehen mit Gewinnen von jeweils mehr als 20 Prozent da und haben eine marktbreite allgemeine Erholung angeführt.

So empfiehlt es sich zum Jahresschluss, einmal nicht so sehr auf den Standardindex zu achten, der sonst die US-Börsen so gerne vertritt. Der S&P-500-Index erklärt die Erholung besser, deren Auswirkungen – eben die Merger und IPOs der letzten Zeit – für gute Stimmung zum Jahresausklang sorgen.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc.
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