letzter welterklärer
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wieviel öl gebiet es denn noch?
Quelle: NZZ FOLIO Nr. 9 September 2004
Sorry, leider beginnt schon die zweite Halbzeit!
Wie viel Öl es wirklich noch gibt, weiss keiner. Aber keiner weiss es so gut wie der englische Geologe Colin Campbell: zu wenig, um weiterzumachen wie bisher. Ein Gespräch über den <<grössten Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit>>.
Von Andereas Heller und Andreas Dietrich
Das Buch ist mindestens ein Kilo schwer, und es gibt nur ein Exemplar davon: <<Petrolero - die Memoiren eines Ölmanns>>. Colin Campbell, 73, lässt darin für sich und seine Nächsten sein aufregendes Leben Revue passieren, eine Biographie, die in einem dünnen Bändchen wahrlich nicht unterzubringen wäre: 1931 in Berlin geborener Engländer, Studium in Oxford, Doktor der Geologie, zeitlebens für Ölkonzerne wie BP, Texaco, Fina und Amoco unterwegs auf der ganzen Welt. Lebte unter anderem in Ecuador, Borneo, Australien, den USA, Kolumbien, Norwegen. Untersuchte Gesteinsformationen, endeckte Ölfelder, verhandelte mit Guerrilleros, erlebte den Flugzeugabsturz von Mitarbeitern. Anfangs war er als Wissenschaftler im Feld tätig, später übernahm er auch Managementaufgaben - ein leidenschaftliches Leben für das Öl. Die Aufzeichnungen, die auch eine Liste aller Autos enthalten, die er nacheinander je besessen hat (es waren 26), enden 2001 mit dem beneidenswerten Lebensfazit: <<Es war es wert.>>
Doch Campbell hat sich nur vermeintlich zur Ruhe gesetzt. Der Ölmann ist in eine neue Rolle geschlüpft: Er ist die Kassandra der Ölindustrie. Rastlos warnt er vor dem nahen Ende des Ölzeitalters und seine Konsequenzen, hauptsächlich über die von ihm gegründete Assocation for the Study of Peak Oil and Gas (Aspo), ein internationales Netzwerk von Wissenschaftlern und Geologen. Auch wenn ihm eine gewisse Altersradikalität eigen ist, zählt Colin Campbell heute zu den renommiertesten Erdölexperten - einer, der keinen Geschäftsinteressen mehr verpflichtet ist, was in dieser Branche selten vorkommt. Der ernüchternde Inhalt der Botschaft kontrastiert erfrischend mit den ungestüm munteren Wesen ihres Überbringers, der alles als ein rechthaberischer Griesgram ist. Der 73-Jährige ist Vater, Grossvater und seit seinem Heiratsantrag, den er 1959 per Telex aus Bogota sandte, mit Bobbins verheiratet. Seine Frau und er leben im kleinen Dorf Ballydehob in Irland, von wo aus der ruhelose Pensionär das globale Ölgeschäft kommentiert. In seinem von Büchern, Geschäftsberichten und Studien überquellenden Büro analysiert er die Daten, die er einst gesammelt hat und die ihm von Helfern weiter zugetragen werden; hier schreibt er seine Berichte und Bücher, die sich, im Gleichschritt mit dem steigenden Ölpreis, wachsener Nachfrage erfreuen.
Frage: Colin Campbell, Erdöl ist ein besonderer Saft. Was ist das Beste, was die Menschen aus ihm gemacht haben?
Antwort: Am sinnvollsten wird Erdöl verwendet, wenn es der Nahrungsmittelproduktion dient. Aus Erdöl lassen sich Dünger und aus Erdgas synthetische Nährstoffe für Pflanzen gewinnen. Vielerorts liefert Erdöl die Energie, um das Wasser in die Bewässerungssysteme zu pumpen, Erdöl treibt die Fischerboote an, die Traktoren, die Flugzeuge und die Lastwagen, die die Landwirtschaftsprodukte auf die Märkte transportieren. Nur dank dem Erdöl war das Bevölkerungswachstum der letzten 150 Jahre überhaupt möglich. 1850, als man das Erdöl als Energiequelle zu nutzen begann, lebten auf unserem Planeten rund eine Milliarde Menschen, seither haben wir uns versechsfacht. Da muss man sich natürlich fragen: Was geschieht, wenn das Öl zur Neige geht?
Frage: Sie sagen, das wird schneller der Fall sein, als viele denken. Was werden die Menschen mit dem letzten Tropfen Erdöl anstellen?
Antwort: Ich glaube nicht, dass es einen letzten Tropfen geben wird. Die geförderte Menge Erdöl wird einfach immer kleiner werden, und schliesslich wird nur noch so wenig vorhanden sein, dass der Stoff keine Relevanz mehr hat. Man wird somit auch nichts Besonderes mit ihm anstellen wollen.
Frage: Sie haben den Begriff <<Peak of Oil>> geprägt. Gemäss dieser Theorie wird die globale Erdölproduktion nach jahrzehntelangem Anstieg bald ihr Maximum erreichen und dann gleichmässig zurückgehen - ein Szenario, das allen voran die Erdölgesellschaften heftig bestreiten. Diese halten ein <<Plateau>> für wahrscheinlicher, sie sagen: Wir sind in der Lage, über mindestens 40 Jahre das heutige Produktionsniveau aufrechtzuerhalten. Was spricht dagegen?
Antwort: Das behauptet der CEO von BP, Lord John Browne, und er sollte deshalb wegen Betrugs und Irreführung der Öffentlichkeit aus dem Verkehr gezogen werden. Die Theorie eines Produktionsplateaus ist falsch, weil die Natur nicht so funktioniert, wie Ökonomen sich das vorstellen. Die denken: Öl zu fördern, sei primär eine Frage des Geldes, der Investitionen in Bohrungen, Plattformen und Pipelines. Der Haken ist, dass die Ressourcen, die sie fördern wollen, ganz einfach nicht mehr da sind. Neue grosse Vorkommen sind seit Beginn der 80er Jahre kaum mehr entdeckt worden. Gleichzeitig stehen die grossen Ölfelder, die heute ausgebeutet werden, im Zenit ihres Produktionszyklus, oder ihr Ausstoss ist gar rückläufig. Ein Ölfeld geht sehr langsam zur Neige, und langsam wird auch die globale Produktion zurückgehen, wenn das Maximum, der Peak, erreicht worden ist.
Frage: Wann werden wir nach Ihren Berechnungen diesen Gipfel erreichen?
Antwort: Gemäss meiner Definition ist der Peal erreicht, wenn die Hälfte des vorhandenen Öls verbraucht ist. Zu seiner Bestimmung sind somit drei Grössen wesentlich: die bereits produzierte Menge und die noch vorhandenen Reserven sowie der künftige Konsum. Ersteres ist relativ einfach zu bestimmen und auch wenig umstritten - man kann von rund 950 Milliarden Barrel ausgehen. Bei den Reserven herrscht grosse Verwirrung. Die einen sprechen bloss vom konventionellen Öl, also vom dünnflüssigen leichten Öl; andere schliessen auch klebriges Schweröl ein, Teersand, Tiefseeöl und Polaröl. Spricht man nur vom konventioellem, vom billigen, mit Abstand am häufigsten geförderten Öl, so kann man sagen, dass nochmals rund 950 Milliarden Barrel vorhanden sind; dieses Öl dürfte den Peak mehr oder weniger erreicht haben. Zählt man das nichtkonventionelle Öl hinzu, verschiebt sich der Produktionshöhepunkt um ein paar Jahre. Bei einem weiteren Anstieg des Konsums wird dies voraussichtlich im Jahr 2010 der Fall sein.
Frage: Zu den noch vorhandenen Reserven gibt es auch ganz andere Zahlen. Das World Petroleum Assessment z. B. beziffert sie auf drei Billionen Barrel. Das ist gut dreimal mehr, als Sie sagen. Sehr verlässlich scheinen die Zahlen in dieser Branche nicht zu sein.
Antwort: Alle offiziellen Zahlen sind falsch, das ist der Kern des Problems. Denn es sind sehr viele Eigeninteressen im Spiel, wenn es um´s Beziffern von Reserven geht. Nehmen wir die Ölfirmen: Jahrzehntelang haben sie, vor allem aus steuerlichen Gründen, ihre Reserven sehr konservativ bewertet. Man gab nur an, was für eine solide Bilanz nötig war. Als die Entdeckung neuer Vorkommen ins Stocken geriet, änderte man die Praxis: Um die Aktionäre zufriedenzustellen, aktivierte man die versteckten Reserven und bewertete sie neu. Neue Vorkommen wurden höher eingestuft, als sie waren. In Ländern wie Nigeria etwa ist es ziemlich einfach, sich die gewünschten Zahlen zu beschaffen - man muss nur den zuständigen Minister anrufen, schon hat man die Bescheinigung, dass ein Ölfeld einige Millionen Barrel mehr enthält. Irgendwann, so hofften die Konzerne, würden sie dann schon wieder neue grosse Vorkommen finden. Bloss: Dieses Öl ist nicht mehr da. Und so ist die ganze Sache aufgeflogen. Anfang des Jahres sah sich selbst eine so vornehme Gesellschaft wie Shell gezwungen, die Bewertung ihrer Reserven um 20 Prozent zu reduzieren. Andere Konzerne wie Chevron Texaco oder Total Fina haben fusioniert und können so die wahren Gegebenheiten vielleicht kaschieren; doch auch hier werden Anpassungen nötig sein. Die Fakten sind klar: Seit den 80er Jahren wird weniger Öl gefunden als konsumiert. Mittlerweile verbrauchen wir viermal mehr, als wir neu finden. Das kann auf Dauer nicht gutgehen.
Frage: Noch aber sprechen die von den Ölproduzenten publizierten Zahlen eine andere Sprache. Gemäss ihren Statistiken sind die Reserven stabil.
Antwort: Auch diese Zahlen dürfen nicht zum Nennwert genommen werden, vor allem nicht die aus dem Mittleren Osten. Die Zahlen waren eher zu tief, als die ausländischen Ölkonzerne für die Förderung zuständig waren und die Reserven mehr oder weniger nach dem alten System rapportiert wurden. Dies änderte sich nach der Verstaatlichung des Ölgeschäfts in diesen Ländern. 1985 erhöhte Kuwait seine Reserven um 50 Prozent. Es folgten die Vereinigten Arabischen Emirate, Iran und Saudiarabien. Alle erhöhten massiv ihre ausgewiesenen Reserven - nicht etwa, weil man neue Vorkommen gefunden oder neue Fördertechniken entwickelt hätte. Ziel der Neubewertung war einzig, eine höhere Förderquote innerhalb der Opec zu erhalten. Denn dort gilt: Je höher die Reserven eines Landes, desto mehr Öl darf es fördern. Auch Venezuela hat so seine Reserven verdoppelt, indem es kurzerhand alles Schweröl in seine Angaben einschloss. Das alles ist bald 20 Jahre her, und die heute publizierten Reserven sind angeblich noch immer gleich hoch wie damals, obwohl seither insgesamt rund 300 Millionen Barrel gefördert wurden sind. Die offiziell publizierten Zahlen weisen also nicht die noch vorhandenen Reserven aus, sondern bestenfalls die Gesamtheit aller entdeckten Vorkommen.
Frage: Also weiss niemand genau, wieviel Öl es noch gibt?
Antwort: Die Industrie weiss es schon, aber sie scheut sich, die Wahrheit zu sagen.
Frage: Und wie kommen Sie zu Ihren Zahlen?
Antwort: Mit den heutigen Techniken der Geologie kann die Grösse eines Ölfelds recht präzis berechnet werden. Das war mein Job, als ich als Manager für Fina in Norwegen arbeitete: Ich erforschte die Ölvorkommen in der Nordsee, und ich quantifizierte die sicheren Reserven und die wahrscheinlichen, die übrigens immer als viel zu gross angenommen werden. 1994 verfasste ich mit anderen Autoren die Studie <<World Oil Supply 1930-2050>> der Genfer Beratungsfirma Petroconsultants. Dabei hatte ich Zugang zu den Daten von 24000 Ölfeldern auf der ganzen Welt. Die Studie hat den bisher umfassendsten Überblick über die bestehenden Ölreserven geboten, sie wurde für 32000 Dollar pro Exemplar an Regierungen und an die Industrie verkauft.
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Der ideale Bürger: händefalten, köpfchensenken und immer an Frau Merkel denken
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