Vielen Dank Benjamin für den wirklich spannenden Beitrag .
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Der an Rumsfelds Stuhl sägt: Seymour Hersh
Von Carsten Schmiester, ARD-Hörfunkkorrespondent Washington
Der Mann steht im Ruf, einer der am besten informierten "Enthüller" zu sein mit sagenhaften Kontakten vor allem zu Militär- und Geheimdienstkreisen. Wenn die Kollegen zu Pressekonferenzen etwa im Verteidigungsministerium gehen, so heißt es hier in Washington, dann bleibt Hersh im Büro, greift zum Telefon und verabredet sich mit seinen Informanten. Die kennt er meist seit Jahrzehnten und genießt ihr Vertrauen.
Das macht ihn stark und schwach zugleich. Hersh schützt seine Quellen. Selten findet man in seinen Artikeln und Büchern wörtliche Zitate, so gut wie nie Namen. Seine Berichte gelten zwar als außergewöhnlich akkurat, doch es fehlen oft die Beweise und das gibt Hershs Gegnern die Chance, den Inhalt anzuzweifeln. Aber der heute 67-Jährige hat gelernt, damit zu leben.
Erste Berichte über Massaker von My LaiUnglaube und schroffe Ablehnung stehen schließlich auch am Beginn seiner bisher größten "Story": 16. März 1968, der Vietnamkrieg. In einem kleinen Dorf namens My Lai kommt es zum Exzess amerikanischer Gewalt. Soldaten massakrieren 503 Zivilisten. Zunächst bejubelt die Armee diese "Schlacht von My Lai", behauptet, dass mehr als 100 Vietcongsoldaten gefallen seien. Doch mehr als ein Jahr danach bringt Hersh die Wahrheit ans Licht. Nur vier Soldaten kommen vor ein amerikanisches Militärgericht. Ihr kommandierender Offizier Lieutenant William Calley wird zu lebenslanger Haft verurteilt, aber nach drei Jahren Hausarrest von Präsident Nixon begnadigt. Hersh erhält den renommierten Pulitzerpreis.
Er arbeitet anschließend für die "New York Times" und schreibt Bücher, immer auf der Suche nach kleinen und großen Gemeinheiten oder Rechtsbrüchen der Mächtigen: Angeblich nie passierte Bombenangriffe auf Ziele in Kambodscha, die Rolle der US-Geheimdienste beim Putsch in Chile… Irgendwann wird es ruhig um den Journalisten. Ein erster Comebackversuch mit einer Biografie von Präsident John F. Kennedy scheitert 1997 - aber nun ist er wieder da.
An der Spitze der "Muckraker"
Er spielt die Hauptrolle im Skandal um Gefangenenmisshandlungen in amerikanischen Lagern im Irak. Einzelfälle, sagt die Regierung. System, sagt Hersh. "Die Schuldigen für das, was in diesem Gefängnis passiert ist, sitzen höher", sagt er. "Das Ganze geht bis zum Verteidigungsminister." Donald Rumsfeld hat diese Behauptung längst dementiert und ist dennoch politisch angeschlagen, auch wenn Hersh ihm nicht unterstellt, die Misshandlungen direkt befohlen zu haben. "Das Ziel war, mit brutalen Mitteln, mit sexueller Demütigung, Gefangene gesprächig zu machen. Ich sage nicht, dass Rumsfeld dies abgenickt hat, aber er hat diese Leute in die Gefängnisse gelassen, um bessere Ergebnisse zu erzielen."
"Diese Leute", damit meint Hersh Geheimdienstler, gegen die er nun schon seit mehr als 30 Jahren anschreibt, wie auch gegen Militärs und Politiker. Jetzt wieder mit Erfolg: Der Mann hat die Bush-Regierung in arge Bedrängnis gebracht und sich selbst erneut an die Spitze der "Muckraker". Nestbeschmutzer - so nennt man hier Enthüllungsjournalisten und kritische Intellektuelle. Mit Verachtung, wie Bush und Rumsfeld, aber auch mit heimlichem Respekt, wie andere Amerikaner, die Hersh vertrauen und froh sind, dass es ihn und andere "Dreckschleudern" wie den Dokumentarfilmer Michael Moore oder den querköpfigen Präsidentschaftskandidaten Ralph Nader gibt.
Quelle:
http://www.tagesschau.de