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Die nächste Zeitbombe
US-Budgetdefizit in drei Varianten – Hoher Goldpreis spiegelt Misstrauen – Umschichtung in Sachwerte und Edelmetalle setzt sich fort
Christoph Buchmann
Mit grosser Präzision weist die
amerikanische Administration
Jahr für Jahr das Budget des
Staatshaushalts aus. Genauer betrachtet
handelt es sich um
drei Budgets (vgl. Grafik):
Das erste basiert auf dem Bargeldfluss
(Cash),
das zweite ist nach den Buchhaltungsregeln
Gaap ausgelegt, und
das dritte
– es richtet sich ebenfalls nach Gaap – berücksichtigt
zudem den Gegenwartswert
der Verpflichtungen aus
Sozialversicherungen
(SV). Jede der drei Berechnungsmethoden
erlaubt eine spezifische Betrachtungsweise
des Bundeshaushalts.
Das Cash-Budget ermöglicht die kurzfristige
Liquiditätsplanung, weil es schlicht
die jährlichen Kapitalflüsse addiert. Das
Gaap-Budget ohne SV ist eine betriebswirtschaftliche
Betrachtung des Staatshaushalts
und berücksichtigt Rückstellungen
und Abschreibungen.
Das Gaap-Budget
mit SV stellt die Lage umfassend dar.
Das Ausmass der Verpflichtungen aus
den SV ist eine äusserst politische Grösse.
Das Total ist mit 55 000 Mrd. $ – das entspricht
knapp viermal dem Bruttoinlandprodukt
(BIP) der USA – zu gross, um je
ausgezahlt zu werden. Somit ist es wohl
eine Frage der Zeit, bis diese Verpflichtungen
im Rahmen einer Neuausrichtung der
Staatsfinanzen reduziert werden müssen.
Trotz hoher Transparenz führen die
drei Budgetberechnungen zu Verwirrung.
Dieses Problem wird durch den unglaublich
anmutenden Umstand verstärkt, dass
der interne Revisor der US-Administration,
der Comptroller General of the United
States, in seinem jährlichen Rechenschaftsbericht
2008 im zwölften Jahr in
Folge zur Aussage gelangt, er könne das
Budget aufgrund anhaltender Schwächen
(«Material Weaknesses») in der Rechnungslegung
nicht revidieren (vgl. Report
im Internet, Seite 25:
www.fms.treas.gov/
fr/08frusg/08frusg.pdf).
Vor die Wahl gestellt, welche der drei
Darstellungsformen des Budgets zur Analyse
des Staatshaushalts relevant ist, empfiehlt
sich folgende Kennzahl: das Wachstum
der ausstehenden Schulden (vgl. Tabelle).
Schliesslich muss sämtlicher Staatskonsum
finanziert werden, unabhängig
davon, wie er buchhalterisch erfasst wird.
Schulden: 130% des BIP?
Die Staatsschuld stieg in den letzten Jahren
stets mehr als das von den Medien diskutierte
Cash-Budget. Per Ende September
2008 beträgt die ausstehende Schuld
rund 70% des BIP. Der Anteil wird im Verlauf
der Wirtschaftskrise deutlich steigen.
Unter der Annahme, alle seit August 2008
gesprochenen Unterstützungszahlungen
und Garantien würden eingelöst, beträgt
das Total der Stimulierungsmassnahmen
rund 9500 Mrd. $, das sind 65% des BIP.
Dadurch steigt die Verschuldung in den
nächsten drei Jahren schätzungsweise auf
über 130% des BIP. Letztlich dürfte sie
wegen der zu befürchtenden sinkenden
Steuereinnahmen noch höher liegen.
Aus politischen Gründen nicht berücksichtigt
sind auch die markant steigenden
SV-Leistungen. Aber selbst ohne diese Verpflichtungen
ist das Ausmass der Schulden
enorm hoch. Es wird die höchste in der
amerikanischen Geschichte je registrierte
Verschuldung darstellen.
Der bisherige
Höchstwert lag 1946 als Folge des Zweiten
Weltkriegs auf 121% (vgl. Grafik).
Auch im Vergleich zu anderen Ländern
ist das Ausmass beachtlich. Europa wird
nach den Stimulierungsbemühungen unter
dieser Marke liegen. Japan
allerdings
meldet nach fünfzehn Jahren mit Stimulierungsprogrammen
170% des BIP. Das
zeigt deutlich, welchen Trend die USStaatsfinanzen
haben werden, sofern die bisherigen Bemühungen nicht ausreichen, um das Wachstum anzukurbeln.
Zwischen Japan und den USA besteht
jedoch ein gewichtiger Unterschied: Japan
refinanziert seine Staatsschulden dank
hoher Sparrate im eigenen Land. In den
USA aber liegen über 50% der emittierten
Staatsanleihen (Treasury Bonds) im Ausland,
die Hälfte davon in Asien.
Der Appetit
Asiens auf den Kauf weiterer Treasury
Bonds nimmt ab, parallel zum fallenden
Erlös aus Exporten in die USA. Ähnlich ergeht
es den Mitgliedländern des Ölkartells
Opec, die Petrodollars in Treasuries anlegten.
Da der Ölpreis tiefer liegt, reduziert
sich ihre Nachfrage nach Treasuries.
Wer kauft also die neu zu emittierenden
Staatsanleihen? Da das Ausland etwas
kürzertreten wird, rückt das Inland in den
Mittelpunkt des Interesses. Der US-Sparer
ist jedoch mit einer Sparrate von 3,5% zu
klein.
Bereits beobachtbar ist der Markteintritt
der US-Notenbank Fed. Ihre Bilanz
hat sich seit September 2008 verdoppelt.
Mindestens ein Drittel dieses Wachstums
ist auf den Kauf von US-Staatspapieren
zurückzuführen. Mutiert das Fed zum Financier
der US-Staatsschuld? Die Frage
kann noch nicht beantwortet werden. Die
Fortsetzung dieser Tendenz wäre jedoch
ein deutlich inflationäres Zeichen, zumal
die Kaufkraft des Fed unbegrenzt ist.
Inflation nagt an Versprechen
Was bedeutet nun die zu befürchtende
Steigerung des US-Budgetdefizits? Vorerst
gilt es, die Sozialversicherungsleistungen
zu beobachten. Sie sind derart hoch, dass
der Staat einen grossen Anreiz hat, diese
nominalen Versprechungen über eine
sanft steigende Inflationsrate graduell zu
reduzieren. Parallel hierzu versucht der
Staat, mit seinem Konsum die Konjunktur
in Fahrt zu bringen, und letztlich drängt
sich die Finanzierung dieser Massnahmen
über die Zentralbank auf.
Die Kombination
dieser Faktoren lässt trotz einem derzeit
deflationären Umfeld die Befürchtung
aufkommen, Inflation stehe vor der Tür.
Das dürfte den Marktteilnehmern nicht
verborgen geblieben sein. Ein Hinweis darauf
ist der Anstieg des Goldpreises, der
auf nachhaltige Käufe der Finanzinvestoren
von kotierten Fonds (Exchange Traded
Funds, ETF) und von physischem Gold
zurückzuführen ist. Interessant ist auch
die überaus grosse Nachfrage nach Münzen
und Barren sowohl in Gold wie auch
in Silber, Platin und selbst Palladium.
Damit gewinnt die Entwicklung – weg
von Nominalwertanlagen und hin zu
Sachwerten – eine breitere Basis, wenn
auch das bisherige Volumen an Edelmetallkäufen
im Vergleich zu anderen Finanzmarktanlagen
noch sehr klein ist.
Die weltweite Kapitalisierung aller ETF auf
Gold beträgt weniger als 50 Mrd. $, das
entspricht z. B. nur einem Zehntel der
Kapitalisierung des Swiss Market Index.
Die Verschiebung zu Anlagen in Edelmetallen,
besonders in Gold, hat erst angefangen.
Die zu erwartenden graduellen
und lang anhaltenden ökonomischen
Korrekturprozesse rund um die Finanzkrise
werden den Trend zu Sachwerten
und Edelmetallen verstärken. Aufgrund
der Marktpsychologie werden die Preise,
wie diese Woche, immer wieder korrigieren.
Für Anleger sind das Kaufchancen.
Christoph Buchmann, InCentive Asset
Management, Zürich.