Kaum ist man einmal ein paar Tage außer Landes, schon spielen die Börsen verrückt. Interessant ist jetzt zu beobachten, wie den Daueroptimisten das Blut in den Adern zu gefrieren scheint. Kollegen, die noch vor wenigen Wochen im Brustton der Überzeugung zum Einstieg geraten haben, warnen jetzt kleinlaut, die Karten seien neu gemischt. Dabei hat der Dax seinen Aufwärtstrend gerade erst nach unten verlassen....
Aus antizyklischer Sicht sind die aktuellen Umfragen der Kollegen von boerse.de erneut sehr aufschlussreich: Fast 80 Prozent der befragten Leser sind der Ansicht, dass der Dax nicht noch einmal unter die Marke von 3000 Punkten fallen wird. Und die Frage, ob der japanische Nikkei nach mehr als 20 Jahren Baisse jetzt wieder in Feier-Laune ist, verneinen fast 90 Prozent.
Als Kontra-Stratege tut man daher sicher gut daran, japanische Aktien in Zukunft wieder stärker zu gewichten. Allerdings sollte man sich vorerst zurückhalten. Erstens war der jüngste Anstieg des Guten doch reichlich viel (Chart unten); außerdem ist derzeit in den Medien zu viel von Japan die Rede.
Dass sich ganz allgemein wieder bedenklicher Optimismus breit macht, bestätigt auch die Expertenanalyse der boerse.de-Redaktion: Während der vergangenen Woche gingen dort so viele Kaufempfehlungen ein wie noch nie in diesem Jahr. Das Verhältnis von Kauf- zu Verkaufsempfehlungen verbesserte sich deutlich zugunsten der positiven Analystenstimmen: Von 3,37 auf einen neuen Jahreshöchststand von 4,16. Antizykliker wissen natürlich, dass es an der Zeit ist, sich von den Märkten zu verabschieden, wenn die Analystengilde geschlossen zum Einstieg bläst.
Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommt man, berücksichtigt man jüngste Marktanalysen von Merrill Lynch-Chefstratege Richard Bernstein: Der Analyst stellt fest, dass die am meisten gehandelten Aktien im S&P500 derzeit mit einem Aufschlag zum Gesamtmarkt in Höhe von 15 Prozent gehandelt werden. In der Vergangenheit war das Verhalten der Anleger zu Beginn eines neuen Bullenmarktes jedoch genau umgekehrt: Beim Start eines neuen Börsenaufschwungs waren die am meisten gehandelten Aktien regelmäßig mit einem Abschlag zum breiten Markt versehen.
Weiterhin, so Bernstein, würden die Börsianer derzeit Unternehmen bevorzugen, bei denen Wachstum, Gewinne und Dividenden mit großen Unsicherheiten belastetet seien – die Rede ist von den sogenannten „Wachstumsaktien“ des Technologiesektors.
Die Feststellung lässt die Vermutung zu, dass riskante Spekulationsgeschäfte schon wieder groß in Mode sind (sieht man sich die jüngsten „Wahnsinnsmeldungen“ an, mit denen auch hierzulande neuerdings wieder angebliche „Kursraketen“ von einigen Börsenkommentatoren recht erfolgreich unters Volk gebracht werden, kann man diese Beobachtung nur bestätigen).
Leider muss man den Glücksrittern sagen, dass sie sich erneut die Finger verbrennen werden: Stünden wir heute am Anfang eines neuen Bullenmarktes, wäre das vorherrschende Verhalten der Anleger von extremer Vorsicht geprägt. Das derzeit zu beobachtende Phänomen der Jagd nach schnellen Kursgewinnen ist regelmäßig am Ende eines Bullenmarktes zu beobachten, nicht an dessen Anfang.
Um es auf den Punkt zu bringen: Das exorbitante Bewertungsniveau der breiten Märkte, das spekulative Verhalten der Kleinanleger sowie die Tatsache, dass sich die Insider nach wie vor stark auf der Verkäuferseite befinden - all dies spricht nicht dafür, dass wir heute am Anfang eines neuen Bullenmarktes stehen. Hinzu kommt, dass die jetzt teilweise übertroffenen Erwartungen in einigen Bereichen vor allem deshalb zustande gekommen sind, weil die Schätzungen im Vorfeld drastisch reduziert worden waren. Vom Trauerspiel am US-Arbeitsmarkt gar nicht zu reden.
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Möglicherweise ist ja auch auf uralte Kontraindikatoren immer noch Verlass. „Die Baisse an den Aktienmärkten ist vorüber“, so lautete der Aufmacher des Handelsblattes noch vor wenigen Tagen. Der Dax hatte da gerade sein bisheriges Jahreshoch erreicht. Und die von der Fachzeitung befragten Bankanalysten gaben sich durchweg positiv.
Übrigens hat auch die Bild-Zeitung, die schon im Frühjahr 2000 als exzellentes Warnsignal traurige Berühmtheit erlangte, pünktlich zum jüngsten Höchstkurs beim Dax mit einem Börsenspiel begonnen. Es soll einen Porsche zu gewinnen geben. Na dann ... !
Das gleiche "Bild" in den USA: Das Anlegermagazin Barron’s, stellte kürzlich fest, dass von zehn befragten Aktienstrategen in den kommenden Monaten ausnahmslos alle weitere Kurssteigerungen von fünf bis zehn Prozent erwarten.
Aktienkäufe auf Kredit
Ein Blick auf den unten aufgeführten Chart lässt bei jedem Antizykliker die Alarmglocken klingeln: Die Börsenaufsichtsbehörde NASD warnte kürzlich vor einer auffallenden Zunahme der kreditfinanzierten Wertpapierkäufe. Nicht einmal auf dem Höhepunkt der Aktieneuphorie im Frühjahr 2000 wurden an der Nasdaq derart viele Aktien auf Pump gekauft wie heute. Die folgende Darstellung spricht für sich:
Ergänzend muss man allerdings hinzufügen, dass zahlreiche Papiere an der Technologiebörse erst kürzlich wieder die Marke von 5,00 US-Dollar übersprungen haben und damit für Kreditkäufe überhaupt wieder in Frage kommen. Bezieht man die an der New York Stock Exchange registrierten Wertpapierkäufe in die Beobachtung mit ein, ergibt sich daher ein etwas anderes Bild:
Festhalten kann man wohl, dass sich die Gier derzeit wieder in den Köpfen der Anleger festzusetzen scheint. Eine Zunahme von Aktienkäufen auf Kredit ist keine gute Basis für einen nachhaltigen Börsenaufschwung. Auch erscheint es reichlich unwahrscheinlich, dass der Boden des größten Bärenmarktes seit 100 Jahren erreicht ist, während sich die Anleger für Aktienkäufe schon wieder verschulden.
Wie an dieser Stelle kürzlich einmal angemerkt, sind Sparen und Investieren die Säulen eines dauerhaften Aufschwungs. Neben einer hohen Sparquote der Konsumenten wäre daher die Vergabe von Investitionskrediten der großen Geschäftsbanken ein zentrales und notwendiges Element jedes tragfähigen Wirtschaftsaufschwungs. In der Realität gehen jedoch von beiden Faktoren deutliche Warnsignale aus, wie die beiden folgenden Grafiken belegen. Nach wie vor leben die US-Bürger über ihre Verhältnisse: Sie geben mehr aus als sie einnehmen (Chart unten):