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Alt 17-04-2007, 17:21   #652
Starlight
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Die große Inflations-Lüge
Selbst gut trainierte Bergsteiger könnten die Kletterpartie nicht durchhalten, die der amerikanische Aktienmarkt seit geraumer Zeit durchzieht. Erinnert sich noch jemand an den 400-Punkte-Sturz der Blue Chips vor sechs Wochen? Nun, der ist Geschichte, die Verluste sind aufgeholt, die Börsen klettern weiter als wäre nichts geschehen.

Von seinem Allzeit-Hoch bei 12 786 Punkten ist der Dow-Jones-Index am Dienstagmittag nur einen Wimpernschlag entfernt. Alles deutet darauf hin, dass die Marke in kürzester Zeit fällt und die Blue Chips neue Rekorde aufstellen.

Dabei ist es völlig unsinnig, anzunehmen, dass der Markt keine Korrektur braucht. Das Fundament der jüngsten Gewinne ist dünn. Der größte Teil der Rallye baut auf der Annahme, dass die US-Wirtschaft weiter wächst, ohne die Notenbank auf den Plan zu rufen. Von der erwarten Anleger, dass sie die Zinsen niedrig hält, weshalb zahme Inflationsdaten bejubelt werden – auch wenn sie gar nicht zahm sind.

Die Preisdaten von Dienstagmorgen zeigen erneut, wie sich der Markt die konjunkturelle Lage schön redet. Man blickt auf eine Verbraucherinflation von 0,1 Prozent im März – abzüglich Energie und Lebensmittel. Diese beiden Bereiche mit einbezogen, steht allerdings ein Plus von 0,6 Prozent zu Buche. Auch die Jahresrate von 2,8 Prozent liegt deutlich über der Inflationsspanne, die die Notenbank als komfortabel bezeichnet: Die endet bei 2,0 Prozent.

Eine Zinsanhebung in nächster Zeit ist also auf keinen Fall auszuschließen, sondern wahrscheinlicher als eine Zinssenkung. Dass sich der Markt ständig auf die Kernrate bezieht, um die künftige Fed-Politik vorherzusagen, ist grob fahrlässig, denn die Kernrate ist nicht mehr, was sie einmal war:

Dass die Verbraucherpreise ausschließlich Energie und Lebensmittel berechnet werden, hat nämlich einerseits einen Grund. Beide Sektoren sind in ihrer Preisentwicklung nicht nur vom konjunkturellen Umfeld abhängig, sondern auch vom Wetter oder der geopolitischen Lage. Solche Faktoren sind nicht zinspolitisch zu steuern, weshalb die Statistiker der Fed eine bereinigte Zahl als Wegweiser zur Verfügung stellen.

Andererseits aber hat sich in den letzten Jahren die Korrelation von bereinigter und nicht bereinigter Rate geändert. Die Preise für Energie und Lebensmittel schwanken nicht stärker, sondern sie legen nur stärker zu. Beispiel gefällig? Binnen der letzten zwölf Monate ist der Preis für Cornflakes um 4,5 Prozent gestiegen, der Preis für Brot um 7 Prozent. Eier kosten 29 Prozent mehr als vor einem Jahr. Die Gründe dafür sind vielfältig: Massive Umstrukturierungen in der Landwirtschaft, wo auf Kosten von Weizen immer mehr Mais für die Ethanol-Gewinnung angebaut wird, lassen die Rohstoffpreise ebenso steigen wie die höhere Nachfrage aus Asien. Zudem fallen auch in der Landwirtschaft und in der Belieferung von Supermärkten und Restaurants Transportkosten an, die wegen der steigenden Sprit-Preise zunehmen – ebenfalls ein Faktor, der aus der Kernrate ausgerechnet ist.

Die vom Verbraucher gefühlte Inflation ist eher mit der Kernrate zu beschreiben als mit der bereinigten Rate. Energie und Lebensmittel machen immerhin 25 Prozent der Konsumausgaben aus. Zudem fallen sie fast täglich an, was dem Verbraucher die tatsächliche Inflation noch stärker vor Augen führt – und sich auf Verbrauchervertrauen und Verbraucherausgaben niederschlägt.

Mit denen dürften auch die Lohn- und Gehaltsforderungen der Amerikaner steigen, was dann wiederum – verzögert – in die Infaltionsstatistik einfließt. Die Notenbank weiß das und wird dem Markt in seinem Zins-Optimismus langfristig nicht folgen. Solange kann die Rallye wohlgemerkt weitergehen, das Eis wird aber dünner.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc
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