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Alt 20-09-2004, 20:38   #1
Starlight
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Inside Wall Street -- Hintergründe und Analysen




Die Tabakbranche kämpft ihre schwierigste Schlacht

Dass die Wall Street vor den Präsidentschaftswahlen im November fast geschlossen hinter George W. Bush steht, hat gute Gründe: Drei Jahre lang durften Öl- und Automobilindustrie, Pharmakonzerne und Versicherungen weitgehend tun und lassen was sie wollten. Nur einer Branche geht es auch unter Bush an den Kragen: der Tabakindustrie.

Dass die Tabakbranche ab dem morgigen Dienstag erneut vor Gericht steht und diesmal die schwerste und gefährlichste Schlacht ihrer Geschichte fechten muss, hätte Bush gerne umgangen. Der Mann braucht schließlich alle Stimmen, die er bis November kriegen kann, und seine größten Fans hat er bei den Bossen. Allein, der öffentliche Aufschrei war allzu laut, nachdem die Regierung die unter Bill Clinton begonnene Klage hatte stoppen wollen.

Jetzt heißt es eben Bush, pardon: USA gegen die Tabakindustrie, und so scheint doch noch etwas für den kleinen Mann getan zu werden. Bush persönlich ist von den Tabaksorgen der kleinen Bürger ja nicht betroffen: Der Präsident ist nach früheren Eskapaden längst Nichtraucher, seine Ärzte weisen ihn als kerngesund und sogar sportlich aus.

Anders geht es Millionen von Amerikanern, die seit Jahren oder bereits Jahrzehnten rauchen und von denen viele schwer krank oder bereits gestorben sind. Sie bekommen hin und wieder Schadenersatz in Millionenhöhe zugesprochen, und doch sollen die nicht genug Buße getan haben. Denn: Laut eines Gesetzes aus den Siebzigerjahren, das eigentlich als juristische Waffe gegen die Mafia geplant war, hat die Industrie als verschwärerisches Komplott sämtliche Umsätze illegal getätigt – 280 Milliarden Dollar soll man nun abtreten.

Die Zahl hat es in sich: 280 Milliarden Dollar sind mehr als das Doppelte des Börsenwertes aller beteiligten Unternehmen – und darunter sind neben dem Branchengigant Philip Morris, a.k.a. Altria Group auch Konkurrenten wie Reynolds American und Loews, Carolina Group und British American Tobacco. Und auch ein anderer Vergleich zeigt zudem, dass eine Prozessniederlage durchaus das Ende der Industrie bringen könnte. 280 Milliarden Dollar sind auch mehr als das dreifache des aktuellen jahresumsatzes der Branche.

Doch ist die Industrie nicht nur aufgrund der unabschätzbaren Folgen eines Schuldspruchs entsetzt über die laufende Klage. Vielmehr geht es der Branche ums Prinzip. Erst 1998 hatte man sich schließlich mit der Regierung auf einen Vergleich geeinigt, der die Firmen damals schon 206 Milliarden Dollar kostete. Diesen Schock konnte man absorbieren, ein weiterer aber wäre zuviel.

Vor allem aber sei ein weiterer Schlag gegen die Industrie ungerecht – zumal unter dem Mafia-Paragraphen. Der sollte nämlich vor allem vorbeugen, dass sich sträfliches Verhalten wiederhole. Und das ist in der Tabakbranche so nun wirklich nicht passiert. Im Gegenteil: Die Industrie warnt auffällig wie nie zuvor vor den Risiken des Tabakkonsums. Die Warnschilder auf den Päckchen sind größer denn je, und die Firmen sponsern Millionen schwere Aufklärungskampagnen, die vor allem Jugendliche abschrecken sollen.

Zudem ist die Werbung für Tabakwaren deutlich zurückgegangen. Lediglich an den Verkaufsstellen in Läden und Tankstellen sowie in Magazinen wird für die Kippe geworben, im Kino und Fernsehen laufen längst keine Filme mehr.

Entsprechend siegessicher gibt sich die Industrie vor Prozessbeginn am morgigen Dienstag, zumal von vier Anklagepunkten auch nur noch zwei übrig geblieben sind. Man geht davon aus, auf der Basis der noch jungen Einigung zu triumphieren. Alles andere wäre wohl auch das Ende der Branche, aus der sich die größten Firmen nach einem Schuldspruch zunächst einmal verabschieden könnten.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.



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Geändert von Starlight (20-09-2004 um 21:01 Uhr)
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