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Alt 14-08-2010, 22:54   #3
Benjamin
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Exclamation

Meiner Ansicht nach kann man die Fähigkeiten für eine berufliche Tätigkeit im Alter von 65/67 nur individuell bemessen. Manche Leute sind bereits mit 45 Jahren in ihren ganzen Einstellungen schon so verknöchert und unflexibel, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass die auch nur bis 60 brauchbar beschäftigt werden können - weil sie sich nicht weiterentwickeln.

Wir werden alle im Alter körperlich weniger leistungsfähig werden. Wir alle! Vermutlich werden wir auch risikoscheuer und ängstlicher werden, weniger neugierig sein und bequem werden. Darum sollten wir in dem Alter wohl i.d.R. auch keine Manager mehr sein. Aber wir können doch sehr wohl noch beruflich etwas sinnvolles tun. In der Landwirtschaft z. B. Produkte verarbeiten, soweit die Kräfte reichen und in altersgerechter Geschwindigkeit. Oder in der Stadt etwas tun, was einer Gemeinschaft von Leuten hilft. Ist zusammen mit guten Leuten um einen herum evtl. der beste Job, den man je hatte?


Wer an der Stelle sich traut, nicht sofort den Deckel zuzumachen, dem sei ein ganz tolles Buch empfohlen: "Pathfinders" von Gail Sheehy. Ich habe es in Englisch gelesen; die deutsche Buchversion lautet:
Neue Wege wagen. Ungewöhnliche Lösungen für gewöhnliche Krisen
http://www.amazon.de/wagen-Ungew%C3%...829195&sr=1-18

Die Autorin fragte als Recherche zu diesem Buch beliebig viele Menschen, welche/n Bekannte/n sie jeweils in ihrer Umgebung kennen, von der/dem sie subjektiv den Eindruck haben, er/sie sei eine besonders glückliche und mit sich im Reinen lebende gereifte (nicht im Sinne von "alte") Person. Und diese "empfohlenen" Personen hat sie aufgesucht und um ein Interview gebeten; dabei versuchte sie zu ergründen, was all diesen vielen "glücklichen" Leuten wohl gemeinsam ist. Und sie hat 2 Dinge gefunden, die ich mir gemerkt habe:
1. Es ist der Umstand, dass alle diese beneidenswerten Personen, die für sich glücklich zu sein schienen, eine oder mehrere Krisen hinter sich gebracht hatten - indem sie sich diesen Problemen jeweils stellten und konstruktiv und bewußt damit umgingen. Sie haben diese schwierigen Zeiten bewußt und konstruktiv durchlebt und gemeistert. Es gab nicht viel, was all diese "glücklichen Leute" gemeinsam hatten, aber sie alle hatten sich schon einmal selbst aus einem schlimmen Schlamassel gezogen.

2. Lautet noch eine wichtige Botschaft aus diesem Buch: Je älter diese so benannten Leute wurden, um so glücklicher schienen sie i.d.R. zu sein. Gerade die 80-jährigen äußerten, dass sie noch nie im Leben so glückliche Menschen waren wie gerade jetzt.

Das ist doch ein Anreiz, oder?

Homepage der Autorin: http://www.gailsheehy.com/pathfinders.php
Auszug aus amazon-Text:
"Die Lebenskrise als Chance - in ihrem zweiten großen Erfolgsbuch nach dem aufsehenerregenden Bestseller "In der Mitte des Lebens" erzählt Gail Sheehy von Menschen, die ihre Chance genutzt haben. Sie nennt sie "Pfadfinder", weil sie mit Mut und Phantasie neue Wege wagten, um ihr Schicksal zu meistern. Die Gesprächspartner, die ihr das Material zu diesem interessanten Thema lieferten, traf Gail Sheehy auf ihren vielen Reisen durch die ganze Welt. Es sind Menschen aus den verschiedensten sozialen Schichten, die eine entscheidende Lebenserfahrung miteinander teilen: Einmal befanden sic sich in einer scheinbar auswegslosen Situation - ihre Partnerschaft war zerbrochen, sie hatten Misserfolge im Beruf hinzunehmen oder sie standen vor dem finanziellen Ruin. Doch die Pfadfinder gaben sich nicht auf, sondern verstanden ihr Schicksal als Herausforderung. Heute sind sie glückliche Menschen, die in der Krise und durch die Krise zu sich selber gefunden haben. Gail Sheehys neues Buch will Mut machen, keine Angst vor einem Neubeginn zu haben - denn als 'Pfadfinder' wird man nicht geboren, 'Pfadfinder' muss man werden wollen. Die Chance dazu hat jeder. "


Zurück zum Anfangsthema: Diskussion um Rente mit 67, Arbeit im Alter:

Wir werden alle (!) später im Alter arbeiten müssen - weil das Geld nicht reichen wird (Überschuldung, steigende Zinsen, Altersstruktur der Bevölkerung immer alarmierender, sich verschlechternde wirtschaftliche Lage). Der Staat wird in einigen Jahren noch unglaubliche Steuern und Abgaben erfinden, um sich in seiner Finanzierungsnot irgendwie über den Tag zu retten - und das Geld wird er letztlich da wegnehmen, wo es noch liegt. Das wird dann kurz vor dem Kollaps der staatlichen Ordnung "Europa" und "Bundesrepublik Deutschland" sein.

Erst danach wird es wohl echt unangenehm für "die Alten".

Aber so weit sind wir noch nicht, das wird noch Jahre bis dahin brauchen, und heute hält das natürlich jeder für absoluten Unsinn. Ist mir völlig klar.

Und doch wird es so kommen. Warum? Weil Bäume eben nicht in den Himmel wachsen. Das scheint heute zwar (fast) jeder zu glauben - oder jedenfalls glauben zu wollen - es ist aber eben nur absoluter Unsinn.




Ich finde, wir alle (!) fühlen so wie die Siedler unmittelbar hinter einer uralten Staudamm-Mauer. Wir haben - so machen wir uns glauben - nämlich überhaupt keine Angst davor, dass der Staudamm jemals brechen könnte. Weil wir dann sofort tot wären! Unsere Verdrängung dieses Umstands ist total.

Die Angst nimmt dagegen bei denjenigen Siedlern zu, die immer weiter weg vom Staudamm flussabwärts wohnen - selbst wenn die nur riskieren würden, dass der Keller vollläuft. Das sind diejenigen, die protestieren und sich empören - und die viel weniger verdrängen.

Wir alle direkt unterhalb der uralten Staudamm-Mauer blenden diese unglaublichen Widersprüche in unserer Zeit aber einfach aus. Wir denken dann, wir sind Realisten. Weil wir nur auf die Staumauer blicken mit ihren teilweise bereits bröckeligen Stellen. Die ist noch nicht kollabiert, also gibt es keine Gefahr. So einfach ist das. Darüber denken wir gar nicht nach! Die Zeitungen sagen, dass jetzt sogar der Wasserspiegel um einige Zentimeter gefallen ist. Also erst recht keine Gefahr.

Aber irgendwann bricht er doch - oder? Und dann sind wir tot.

Schlau wäre doch, wenn der Staudamm schon so alt ist, ihn zu reparieren oder das Wasser abzulassen oder woanders zu siedeln oder sonst eine gute Lösung. Aber nichts da. Wir bleiben da hocken wo wir sind. Die Mauer ist da - und also wird nichts passieren. Basta!

Im Spiegel gibt's einen schönen Artikel dazu:
09. August 2010
SPIEGEL-Gespräch
"In dieser Gesellschaft brodelt es"
Der Philosoph Oskar Negt über die Risse in der Sozialordnung, die Notwendigkeit politischer Bildung und die Spannung zwischen Wirklichkeit und Utopie
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,710880,00.html

Aber schlauer wäre es, sich diesen Widersprüchen individuell - jeder für sich - konstruktiv zu stellen und für sich eine Lösung zu finden, wie die Glücklichen in "Neue Wege wagen. Ungewöhnliche Lösungen für gewöhnliche Krisen".

Am Ende hat man mehr davon. Diese Staudamm-Guckerei der Millionen um uns herum ist jedenfalls kein Vorbild!

Geändert von Benjamin (15-08-2010 um 01:24 Uhr)
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