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Alt 04-06-2007, 20:20   #684
Starlight
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Homer Simpson und das Wall Street Journal

Zum Ende der jüngsten Staffel lief in Amerika gerade die 400. Folge der „Simpsons“. Seit 18 Jahren unterhalten Homer, Marge, Bart, Lisa und Maggie die Fans, viele kennen die Charaktere besser als ihre eigene Familie. Sie kennen Barts Telefonstreiche, Lisas Sorgen und Nöte und Homers Interessen: Er isst Donuts, trinkt Duff und glotzt fern – das Wall Street Journal würde er eher nicht lesen.

Und dennoch kann ausgerechnet Homer Simpson der Wall Street einiges über die Zukunft der Branchenbibel erzählen. Denn die wird bekanntlich gerade von Rupert Murdoch umgarnt, der den ganzen Verlag Dow Jones mit samt dem Parade-Erzeugnis und dem Anlegermagazin Barron´s kaufen will.

Dass Murdoch das wichtigste Finanzmedium der Welt gerne mit seiner Senderfamilie Fox kombinieren und einen Finanzsender „Fox Business“ aufbauen will, ist ein offenes Geheimnis. Der Wall Street an sich dürfte das auf den ersten Blick recht sein, schließlich ist das aktuelle Angebot an Finanzsendern mit der GE-Tochter CNBC und Bloomberg eher überschaubar.

Doch denkt man in Insiderkreisen mit Grausen an „Fox Business“. Weder die eigentlichen Fox-Sender noch Hausherr Murdoch haben einen guten Ruf, wenn es um Journalismus geht. Gosse, das können sie, Klatsch und Tratsch, und dazu linientreu republikanisch aus Washington berichten. In blinder Loyalität zu Bush & Co. hat Fox die journalistische Sorgfaltspflicht ebenso in den Wind geschlagen wie jeden Versuch irgendeiner Ausgewogenheit in der Berichterstattung.

Die Wall Street ist allerdings nicht von Meinungen, sondern von ehrlichen Fakten abhängig, denn sie baut ihr ganzes Investment auf die Zukunft und die richtige Einschätzung der Zukunft von Unternehmen und Konjunktur. Panikmache und eine politische Agenda sind in diesem Umfeld nicht gerne gesehen, und so drängen zahlreiche Seiten die Bancroft-Familie, die Mehrheitseigner des Verlages, auf keinen Fall mit Murdoch zu paktieren.

Doch genau diese Gefahr droht, immerhin sitzen die Bancrofts und Murdoch am Montagmittag in New York an einem Tisch und führen Verhandlungen. Grund zur Panik an der Wall Street? Wohl kaum, obwohl Murdoch bereits im Vorfeld signalisiert hatte, er wolle den Bancrofts im Falle einer Übernahme keinesfalls die redaktionelle Übersicht lassen.

Vielleicht wäre das auch gar nicht nötig. Denn Murdoch ist nicht dumm, wie der New Yorker Medien-Experte Paul LaMonica erläutert. Wichtiger als politischer Einfluss sei Murdoch vor allem eines: Geld. Dies lässt sich aber nur mit einer Zeitung und einem Finanzsender verdienen, die höchste Glaubwürdigkeit haben. Würde Murdoch den Journalisten beim Journal ins Handwerk pfuschen um seine Agenda zu verfolgen, würde er im Handumdrehen den guten Ruf der Zeitung und damit deren eigentlichen Wert verderben – seine 5 Milliarden Dollar, die er den Bancrofts bietet, wären dahin.

Dass Murdoch diesen Zusammenhang versteht, hat er in den letzten Jahren mehrfach bewiesen – zum Beispiel bei den „Simpsons“. Die gelbe Familie aus Springfield macht sich seit Jahren über George W. Bush lustig, ebenso über Fox und Fox News und sogar über Rupert Murdoch selbst. Der lässt es geschehen, denn der erfolgreichsten Fernsehserie aller Zeiten ändert man nicht die Drehbücher, da schluckt man lieber so manches herunter.

Auch auf der Videoseite Youtube.com haben Murdochs Mannen bisher keine Zensur verübt. Mit dem Verkauf an die News Corp. hatten viele Fans und Blogger befürchtet, dass Youtube zu einem politischen Instrument verkommen könnte. Doch das ist nicht der Fall. Im Gegenteil: Linke und liberale Politker, Wahlkampfer und Aktivisten nutzen die Seite viel effektiver als ihre rechten Konterparts.

Die sehen auch in anderem Bereichen des Murdoch-Imperiums alt aus. Beim Buchverlag HarperCollins, zum Beispiel, in dem in den letzten Monaten einige kritische Werke erschienen sind. Die Biographie des früheren FBI-Chef George Tenet ist etwa eine scharfe Abrechnung mit dem Irakkrieg und US-Vize Dick Cheney, und hinter dem Titel „Brainless: Lügen und Wahsinn der Ann Coulter“ verbirgt sich eine zerreißende Kritik an der prominentesten Rechtsaußen-Kommentatorin in den USA.

All das hat Murdoch veröffentlicht ohne mit der Wimper zu zucken – weil es Geld bringt. Und Bares steht auch im Vordergrund, wenn der Medienzar Dow Jones übernehmen will. Dem Wall Street Journal droht also auch unter Murdoch keine nackte Frau auf dem Titel, die Meinungsseite dürfte weiter unabhängig und offen kritisieren.

Was nun nicht heißen soll, dass ein Deal wünschenswert wäre. Zahlreiche Bürgerrechtler weisen darauf hin, dass angesichts der eingeschränkten Zahl landesweiter Medien in den USA – vier Fernsehsender (ABC, CBS, NBC, Fox) und drei Zeitungen (New York Times, Wall Street Journal, USA Today) – kein Unternehmen zwei oder mehr besitzen sollte.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc
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