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Alt 15-06-2007, 20:57   #691
Starlight
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Sommerzeit – Ferienzeit?

Die Ferienzeit hat begonnen – offiziell. Doch in den Büros an der Wall Street ändert sich das Bild nicht. Kaum Angestellte fehlen an ihren Schreibtischen, und im Laufe der Saison werden sich die Reihen wohl auch nicht dramatisch lichten. Amerikaner haben weniger Urlaub als ihre Kollegen in anderen Industrienationen.

Voller Neid schauen amerikanische Arbeiter nach Finnland. Dreißig Tage bezahlter Urlaub plus 14 bezahlte Feiertage, und das alles gesetzlich verankert. Davon kann man im Land der unbegrenzten Möglichkeiten nur träumen. Dabei braucht es ja gar nicht gleich wie beim Urlaubsweltmeister zuzugehen. Sämtliche EU-Mitgliedstaaten kommen auf mehr als 30 bezahlte Tage außerhalb der Arbeit.

In den USA werden Arbeiter und Angestellte gerade einmal für 25 Urlaubs- und Feiertage bezahlt – und auch das nur auf dem Papier. Denn während 15 Urlaubs- und 10 Feiertage zwar gängige Praxis in großen Unternehmen sind, von der zumindest langjährige Mitarbeiter profitieren, fällt eine Statistik des Center for Economic and Policy Research (CEPR) viel nüchterner aus. Danach kommt der durchschnittlicher Arbeiter auf 9 Urlaubs- und 6 Feiertage. 15 bezahlte freie Tage im Jahr – damit liegt Amerika im internationalen Vergleich ganz am Schluss der Tabelle, deutlich abgeschlagen selbst hinter Thailand und Vietnam.

Doch dem Ami scheint es nicht allzuviel auszumachen, wie das Urlaubsverhalten zeigt. Obwohl die freien Tage kostbar sind, werden sie immer seltener am Stück genommen. Und wenn, dann nicht unbedingt um weit weg zu fahren und Abstand zu gewinnen. Vielmehr bleiben auch Angestellte in mittleren Positionen nahe des Wohnortes und stehen regelmäßig mit dem Büro oder mit Arbeitskollegen in Kontakt.

Dass die Amerikaner offensichtlich zunehmend „leben um zu arbeiten“, macht Joe Robinson Sorgen. Er leitet die Kampagne „Arbeiten um zu leben“, die in Washington für eine verbesserte gesetzliche Regelung von Urlaub und Freizeit eintritt. Dabei wehrt sich Robinson vor allem gegen die gängige Praxis, die Urlaubszeit abhängig von der Anstellungszeit im Unternehmen zu machen. Denn viele Arbeitnehmer wechseln ihre Jobs regelmäßig und blieben für immer im Mindestbereich.

Zustände wie in Europa lobt Robinson, doch scheinen die auch langfristig nicht erreichbar. Den Grund kennt Mark Sullivan, Berater beim Arbeitsmarktexperten Mercer. Europäische Arbeitgeber hätten die hohen Kosten im Zusammenhang mit stressbedingten Krankheiten erkannt, meint er. Sie wissen, dass mehr bezahlter Urlaub für die Arbeitnehmer dem Unternehmen mehr Geld spart als kostet. In den USA habe sich diese Sicht noch nicht durchgesetzt.






Die Börse braucht keinen beliebten Präsidenten

In der Euphorie um ständig neue Rekordstände an den Börsen vergessen Anleger schnell einmal die Welt um sich herum. Doch nicht nur in New York werden Rekorde aufgestellt, auch ein paar Meilen südlich in Washington. Dort wurde die Beliebtheit von Präsident George W. Bush gerade mit 29 Prozent gemessen – so niedrig wie nie zuvor.

Die Wall Street scheint sich in ihrem Höhenrausch allerdings schon lange nicht mehr um Nachrichten aus dem politischen Umfeld oder gar die Stimmung im Volk zu scheren. Im Gegenteil: An dem Tag, an dem die Meinungsforscher das vernichtende Urteil über den Präsidenten bekannt gegeben haben, kletterte die Wall Street weiter.

Das war nicht immer so. Historisch gesehen hat das Urteil der Amerikaner über ihren obersten Führer durchaus Gewicht im New Yorker Finanzviertel. Den Bärenmarkt von 1973 und 1974 schob man zu einem großen Teil auf die miese Stimmung in Washington, wo sich gerade Präsident Richard Nixon durch katastrophale Umfragewerte schlagen musste.

Es ergibt durchaus Sinn, wenn sich die Einschätzung des Präsidenten durch die Bürger auf den Markt niederschlägt. Immerhin kann ein Staats- und Regierungschef ohne Mahrheit und Rückhalt – als „lahme Ente“, wie man in Amerika sagt – politisch und damit auch wirtschaftlich wenig bewegen. Reformstau droht, und damit Stagnation.

Und doch: Die Wall Street wird von derart vielen Einflüssen gelenkt, dass sich Umfragewerte aus Washington längst nur noch in Einzelfällen auf den Handel durchschlagen. Die Statistiker vom amerikanischen Finanz-Newsletter Hulpert haben sich einmal die Performance des Dow im Zusammenhang mit allen verfügbaren Umfragewerten über den jeweilen US-Präsidenten angesehen, und kommen zu genau diesem Ergebnis.

Dass der Markt wegen schlechter Umfragewerte nicht unbedingt einbrechen müsste, habe übrigens ausgerechnet George Bush senior zuletzt bewiesen. Dessen Beliebtheit beim Volk fiel 1992 ebenfalls auf 29 Prozent, doch ging es auf Sicht der nächsten Monate an den Börsen nach oben. Nur um 0,7 Prozent, wohlgemerkt, doch Verkäufe oder gar einen Bärenmarkt löste die Umfragepleite eben nicht aus.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc
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