Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 10-10-2007, 07:22   #757
Starlight
TBB Family
 
Benutzerbild von Starlight
 
Registriert seit: May 2002
Beiträge: 34.578
Altria geht, die Kulturszene weint

Seit in New York das Rauchverbot an öffentlichen Plätzen etabliert ist, trauert keiner dem Qualm hinterher – schon gar nicht im kulturellen Sektor, wo sich manch Theaterstück in reiner Luft besser genießen lässt. Anders sieht es aus, wenn der Tabakriese Altria die Stadt verlässt, denn den wird man vermissen.

Wenn die Altria Group, der Dow-notierte Nachfolger des einstigen Zigaretten-Multis Philip Morris, in einigen Monaten im Rahmen seiner Umstrukturierung sein Hauptquartier in Midtown Manhattan aufgibt und ganz ins schweizerische Lausanne zieht, dann wird es für manchen Veranstalter in dem von Spenden und Sponsorships abhängigen Kulturbetrieb der Stadt ein böses Erwachen geben.

Denn Altria mag sein Geld auf Kosten der Volksgesundheit machen, seine Kunden belügen und den Krebs fördern – als finanzstarken Partner schätzte man den Konzern aber doch. Pecuniam non olet, auch wenn von Karzinomen gesättigte Rauchschwaden um jedes Geldbündel wabern.

Die Kulturschaffenden in New York hatten es sich anfangs nicht leicht gemacht, Geld von Philip Morris anzunehmen – damals als Sponsoring von Unternehmen in der Szene noch anrüchig war. Mittlerweile aber profitieren mehr als 200 Gruppen in der Stadt von den Zuwendungen des Konzerns, der jedes Jahr mehr als 7 Millionen Dollar für lokale Produktionen ausgegeben hat. Überhaupt gehört Altria mit einem Spenden-Etat von jährlich 200 Millionen Dollar zu den großzügigsten Firmen neben den ebenfalls in New York beheimateten American Express und Time Warner.

Jetzt soll Schluss sein mit der großzügigen Bezuschussung der schönen Künste. Im Rahmen einer groß angelegten Dezentralisierung falle das Programm vermutlich ganz weg, meint Jennifer Goodale, eine frühere Schauspielerin, die bei Altria für die Vergabe von Zuwendungen zuständig ist.

Der Brooklyn Academy of Music gehen damit 375 000 Dollar durch die Lappen, die in den letzten Jahren den größten Teil eines Festivals für aufstrebende, junge Künstler dargestellt hatten. Das Theater von Harlem weiß nicht, wie man die 175 000 Dollar ersetzen kann, die bisher von Altria kamen.

Davir Parsons, Gründer und Direktor des angesehenen Tanzensembles Parson Dance, fürchtet gar, dass mit Altria weitere Sponsoren ihre Mittel kürzen oder streichen werden. Dass Altria auf der Sponsorenliste stand, hatte es der Kompanie lange leichter gemacht, auch bei anderen Geldgebern Unterstützung zu finden. „Eine Firma wie Altria im Programm zu nennen ist wie ein Gütesiegel“, meint Parsons.

Es sind vor allem kleine Kulturbetriebe, für die der Abzug von Altria schmerzhaft sein wird. Die großen der Szene, Museen wie das Whitney oder die Opernhäuser, haben in ihren Programmheften seitenlange Listen von Unternehmenssponsoren – da lässt sich ein Ausfall verschmerzen.

Interessanterweise gibt es vor allem bei den kleineren durchaus Kulturschaffende, denen Altria nicht schnell genug aus der Stadt verschwinden kann. Je mehr das Rauchen in der Volksgunst sank, desto mehr Künstler fanden es problematisch, ausgerechnet aus diesem unbeliebten Sektor unterstützt zu werden. Und manche Fans blieben gar den Veranstaltungen fern. „Ich freue mich auf Altrias Abschied“, meint Matthew Myers von der Interessensgruppe „Campaign for Tobacco-Free Kids“ in Washington. Seine Frau könne jetzt endlich wieder zu den Vorstellungen des Alvin Ailey American Dance Theater gehen, denen man – aus Protest zu Altria – in den letzten Jahren ferngeblieben war.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc
Starlight ist offline   Mit Zitat antworten