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Alt 21-09-2006, 20:57   #543
Starlight
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Samariter mit Eigeninteresse

Wal-Mart mag einer der größten Konzerne der Welt sein, einer der beliebtesten hingegen ist er nicht. Im Gegenteil. Der Einzelhandelsriese macht seit Jahren mit Ausbeutung, unfairen Verträgen und unlauterem Wettbewerb Schlagzeilen – umso schöner ist es, einmal positive Schlagzeilen zu sehen: Wal-Mart krempelt den Drogerie-Sektor um und verkauft Arznei billiger an Patienten als die Konkurrenz.

In einem Land, in dem ein hoher Prozentsatz nicht oder nicht ausreichend krankenversichert ist, gehört der Preis von Medikamenten zu den größten Sorgen. Die amerikanische Pharmaindustrie ficht das nicht an. Seit Jahren verkauft man zu Wucherpreisen. Dass diese meist in keinem Verhältnis zu den Kosten (inklusive Forschung und Entwicklung) stehen, zeigt sich daran, dass Pfizer, Merck und Co. häufig die gleichen Medikamente in den USA teuer, in Europa und Kanada aber wesentlich billiger anbieten.

Die Konzerne tun das mit Rückendeckung aus Washington. Seit die Bush-Regierung dem Re-Import von Arzneimitteln aus dem Ausland wegen angeblicher sicherheitspolitischer Bedenken verboten hat, hat die Branche keine Angst mehr vor Konkurrenz aus dem eigenen Hause. Innerhalb der USA können hohe Preise festgelegt werden, vor denen Konsumenten nicht davonlaufen können, während man im Ausland mit angemessenen Preisen auf einen realen Wettbewerb reagiert.

Die einzige Hoffnung für kranke, und vor allem für chronisch kranke Amerikaner waren bisher preisgünstige Generika, mit denen sich Patienten behelfen, die sich die teuren Originalpillen der großen Konzerne nicht leisten können. Doch auch die Generika gingen ins Geld, bis nun ausgerechnet Wal-Mart einen Ausweg aufzeigte:

Der weltgrößte Einzelhändler bietet in seinen Drogerien – in einem ersten Test nur in Tampa Bay, Florida, ab 2007 dann in weiteren Läden – für 4 Dollar pro Monatspackung an. Fast 300 Medikamente sind eingeschlossen, darunter Mittel gegen Volkskrankheiten wie Allergien, Choleterin, Diabetes und Bluthochdruck, aber auch Antibiotika, Psychopharmaka und Antidepressiva sowie rezeptpflichtige Vitamine.

Für Verbraucher kommt dieser Preisnachlass einer Revolution gleich, und man wird die Drogerien in den Wal-Mart-Filialen wohl stürmen. Zumindest bis die Branchenkonkurrenten wie Walgreen und CVS nachziehen. Analysten halten das recht bald für möglich, sehen aber manchen Supermarkt mit eigenen Drogerien unter Druck. Diesen würde die Maßnahme auf die Margen schlagen, heißt es aus der Branche.

Für Wal-Mart hingegen soll der Schritt keine Auswirkungen auf den Gewinn haben. Kleinere Margen bei höherem Umsatz dürften die neue Preispolitik bilanzneutral halten. Trotzdem ändert das Unternehmen die Strategie nicht aus reiner Nächstenliebe. Vielmehr steht man unter Druck seitens der eigenen Mitarbeiter. Diese arbeiten zumeist für Mindestlohn und sind durch die von Wal-Mart angebotenen Sozialpläne größtenteils nicht abgesichert. Billige Medikamente im eigenen Haus anzubieten, kommt direkt den eigenen Leuten zugute und steigert die Arbeitsmoral.

Zudem hat sich Wal-Mart zum Ziel gesetzt, Drogeriekunden möglichst lange in den Läden zu halten und durch andere Abteilungen zu führen. So sollte sich niemand wundern, wenn die Drogerien, die bis dato meist nahe am Eingang liegen, bald in die hinterste Ecke der gigantischen Märkte verlegt werden. Doch sind solche Schritte durchaus legitim – und Erfolg versprechend. Eine Pille gegen Impulskäufe gibt es schließlich nicht.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc
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