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Alt 14-03-2007, 18:18   #635
Starlight
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Das Ende des kurzsichtigen Optimismus

Keine Rallye steht auf einem Bein, und auch kein Abwärtstrend. Die amerikanischen Börsen scheinen nach den ersten Kursstürzen vor zwei Wochen nun ihr zweites Bein gefunden zu haben – trotz herber Verluste am Vortag gelingt am Mittwoch kein Rebound. Der Grund: Ein Stimmungswechsel an der Wall Street, wo man plötzlich die wahren Probleme des Marktes erkannt hat.

Seit Monaten nämlich stellen sich die Probleme des Marktes völlig falsch dar. So ist es am Mittwoch recht ironisch, dass gute Konjunkturdaten – geringere Inflation bei den Importpreisen und ein kleineres Defizit als erwartet – die Börse nicht retten können. Wo es doch überwiegend schlechte Konjunkturdaten waren, die die Börse in erstaunliche Höhen haben klettern lassen.

Was ist passiert? – Seit Monaten interpretieren Anleger sämtliche Konjunkturdaten wie es ihnen gefällt. Fern aller Realitäten werden warnende Indikatoren zu Hoffnungsträgern ernannt, denn sie könnten ja die Fed zu einer baldigen Zinssenkung drängen. Das Wirtschaftswachstum ist schwächer als erwartet? Kein Problem, wenigstens fallen dann die Zinsen. Die Inflation ist unerwartet hoch? Macht nix, die Fed wird es schon richten. Der Immobilienmarkt ist schwach, der Einzelhandel auch, die Lagerbestände steigen… wen kümmert´s, die Notenbank soll sich darum kümmern.

Der blinde Fokus auf die weitere Zinspolitik der Notenbank hat Anleger und Analysten in den letzten Monaten zwei Dinge vergessen lassen. Erstens: Die langfristig orientierte Fed hatte nie vor und auch nie signalisiert, auf kurzzeitige konjunkturelle Trends gleich mit einem Richtungswechsel zu reagieren. Und zweitens: Dem Markt nützen niedrigere Zinsen nichts, wenn die Konjunktur lahmt.

„Eine starke Konjunktur auf dem aktuellen Zinsniveau ist mit auf jeden Fall lieber als niedrigere Zinsen bei einer schwachen Konjunktur“, meinte jüngst die New Yorker Parkett-Legende Ted Weisberg von Seaport Securities. Und er hat recht. Sicher, niedrige Zinsen machen es für Unternehmen attraktiver, in neue Stellen und Maschinen zu investieren. Und niedrige Zinsen helfen John und Jane Doe, ihr eigenes Häuschen zu kaufen.

Doch wenn dieses Wachstum kein festeres Fundament hat als niedrige Zinsen, dann ist es nur von kurzer Dauer. Unternehmen müssen ihre neu gebauten Lagerhallen auch füllen können, und Hausbesitzer müssen ihre Hypotheken nicht nur in den nächsten paar Wochen, sondern in den nächsten 15 bis 30 Jahren abzahlen können. Dass immer mehr das nicht schaffen, hat in den letzten Wochen auch der letzte Optimist gemerkt.

Immer mehr Anlegern geht nun ein Licht auf: Die Vorfreude auf fallende Zinsen um jeden Preis war übereilt Sie hat den Aktienmarkt auf ein Niveau getrieben, das der Stärke der amerikanischen Wirtschaft nicht mehr entspricht. Die Börse ist der Wirtschaft davongelaufen, und der Abstand ist sehr groß geworden und unhaltbar.

Da die Wirtschaft nicht plötzlich in den Sprint wechseln kann, muss nun eben die Börse den Rückwärtsgang einlegen. Das passiert dieser Tage, ist aber nicht dramatisch. Selbst wenn Dow und Co. noch ein paar hundert Punkte verdienen, selbst wenn die Blue Chips unter 12 000 oder vielleicht sogar unter 11 000 Punkte fallen, ist das Ende der Welt nicht nahe. Im Gegenteil: Der Aktienmarkt sucht lediglich den Anschluss an das wirtschaftliche Umfeld. Sind Konjunktur und Börse einmal wieder auf gleichem Niveau, steht neuem Wachstum nichts mehr im Weg.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc
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