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Alt 05-10-2005, 20:26   #329
Starlight
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Schweine und Verschwender

Die Schweine fliegen tief in Amerika, und jeder halbwegs kritische Kolumnist hat es sich jüngst zur Aufgabe gemacht, die Viecher zu jagen. „Pork Busters“ nennen sich die Aktiviten des US-Börsensenders CNBC, die Kongressabgeordnete auffordern, unnötige teure Projekte – „Speck“ – abzublasen, die zuhause Wählerstimmen sichern sollten.

Im Grunde ist schnell und simpel dargelegt, wie das System in Washington funktioniert. Der Kongress erstellt eine Liste wichtiger Ziele – jüngst im Zusammenhang mit Infrastruktur im so genannten und verabschiedeten „Highway Gesetz“ –, die im nächsten Fiskaljahr erreicht oder zumindest gestartet und also auch finanziert werden müssen. Über manches Projekt herrscht Einigkeit, viele andere sind höchst umstritten. Das sind zumeist jene, die die Abgeordneten zur Unterstützung des eigenen Wahlkreises eingereicht haben. Sie sind manchmal unnötig wie ein Kropf, sichern aber unter Umständen die Wiederwahl.

Der Amerikaner nennt solche Projekte „Pork“ – frei übersetzt: Speck.

Das „Highway Gesetz“ ist mit Speck durchzogen, wie kaum ein anderes zuvor. Ganze 24 Milliarden Dollar werden für lokale Projekte ausgegeben, die manchem Politiker neben Wählerstimmen vielleicht auch die ein oder andere bronzene Plakette einbringen werden, die dem Land aber nich unbedingt nützen.

Nach den Hurrikans Katrina und Rita, deren Folgen die USA bis zu 200 Milliarden Dollar kosten könnten, engagieren sich zahlreiche Gruppen gegen die Pork-Projekte. Ganz vorne marschiert eben CNBC, wo man täglich Kongressabgeordnete an den Pranger stellt, sie aber zur Verteidigung ihrer Gelder in die Sendung einlädt. Manche haben dabei eine gute Figur gemacht und bewiesen, dass es sich die Pork-Kritiker zu leicht machen.

Da wäre zum Beispiel Bernard Sanders, der Abgeordnete der Unabhängigen aus dem Staate Vermont. Der wird zuhause dafür gelobt, dass er bei den Infrastrukturplanungen 8 Millionen Dollar zum Bau von Snowmobil-Wegen verankert hat. So etwas mag sich lächerlich anhören; wie notwendig ist schließlich ein Wegenetz für bewegungsfaule Wintersportler. Doch ist die Investition alles andere als abwegig. Der Staat Vermont lebt größtenteils vom Winter- und Skitourismus, und das Snowmobil-Projekt soll eine bislang unterversorgte Region bereichern, deren gesteigerte Attraktivität mehr Touristen anziehen und eine ganze Branche unterstützen und Arbeitsplätze bereitstellen wird.

Ähnlich verhält es sich mit dem National Packard Museum, für das der demokratische Abgeordnete Tim Ryan 3 Millionen Dollar nach Ohio brachte. Das Museum in der Stadt Warren soll einer der wichtigsten Touristenmagneten für eine Region werden, die früher von der Industrie lebte, und unter anderem von dem legendären Autohersteller Packard, der später in GM aufging. Das Museum ist eine Chance, die regionale Konjunktur zu beleben, was diese dringend nötig hat. 3 Millionen Dollar sind dafür nicht unbedingt zuviel.

Manche Pork-Projekte werden jüngst auch falsch interpreriert und ins Lächerliche gezogen. So wirft man dem demokratischen Abgeordneten James Clyburn aus South Carolina vor, 16 Millionen Dollar in eine Brücke zu stecken, die ein Dorf mit 2000 Einwohnern mit einem Kaff von 87 Einwohnern verbindet. Nicht bedacht wird, dass die Brücke natürlich nicht nur die zwei Siedlungen verbindet, sondern damit die beiden benachbarten Autobahnen, wovon vor allem der Transitverkehr aufgrund dramatisch kürzerer Verkehrswege profitieren wird.

Sicher gibt es auch Projekte, die man sich wirklich hätte sparen können. Eine Brücke in Alaska verbindet die Kleinstadt Ketchikan auf dem Festland mit der Insel Gravina Island, auf der 50 Menschen leben. Die Insel hat einen Flughafen wie jedes Dorf in Alaska, dafür keine Straße. Warum dorthin also eine Brücke führen muss, wo doch der Luftverkehr gut ausgebaut ist, ist nicht nachzuvollziehen – zumal der Steg länger sein soll als die Golden Gate Bridge und höher als die Brooklyn Bridge, was mit 223 Millionen Dollar zu Buche schlagen soll.

Der zuständige Kongressabgeordnete, der Republikaner Don Young, ist ohnehin der erfolgreichste der Pork-Abstauber. Ganze 1600 Dollar pro Einwohner holt es in seinen Staat, unter anderem für eine außergewöhnliche Werbeaktion der regionalen Fischer. Die haben von dreißig Künstlern, darunter drei Bühnenexperten aus Hollywood, einen riesigen Lachs auf ein Flugzeug der Alaska Airlines malen lassen – für unglaubliche 500 000 Dollar.

Während solche – und viele, viele andere – Projekte also durchaus gestrichen und das Geld in den Wiederaufbau von New Orleans gesteckt werden könnte, übersehen eifrige Pork-Buster noch etwas: Die meisten der mehr oder minder umstrittenen Projekte kosten nur ein paar Millionen Dollar, selbst der Verzicht auf alle Projekt zusammen könnte nur ein Zehntel der Katrina-Kosten decken. Wo die Regierung wirklich sparen kann, ist mit einer Rücknahme der völlig maßlosen Steuervergünstigungen, von denen die Oberschicht profitiert.

Doch an solche Schritte denkt man in Washington nicht. Im Gegenteil: Erst in dieser Woche bestätigte Präsident George W. Bush seinen Kurs. Auf die Frage, wie er denn die Kluft zwischen Arm und Reich verringern wollte, meinte er: „Wir müssen für Wachstum sorgen, und ein Umfeld schaffen, in dem unsere Unternehmen Arbeitsplätze schaffen können.“ Nach fünf Jahren Bush ist klar, was das heißt: Weitere Steuergeschenke an Corporate America – und die kosten zig Milliarden.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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