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Alt 04-10-2005, 20:55   #328
Starlight
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Die langsame Erholung im Golf

Die Wall Street profitiert am Dienstag von einem Rückgang des Ölpreises – doch dürfte sich mancher zu früh freuen. Denn ein Blick über den Golf von Mexiko erschreckt. Dort ist noch immer fast die komplette Öl-Produktion stillgelegt, derweil teure Importe das Handelsbilanzdefizit weiter in die Höhe treiben.

Mehr als einen Monat ist es jetzt her, dass der Hurrikan Katrina die Golfküste der USA heimgesucht hat. Seither ist im ganzen Land nichts mehr, wie es einmal war. Die Kluft zwischen schwarz und weiß scheint größer geworden zu sein, ebenso wie zwischen arm und reich. Das Land, nach der Terror-Katastrophe vom 11. September 2001 für seine Einigkeit gepriesen, scheint an der Natur-Katastrophe zu zerbrechen. Und das hat zuletzt auch die Börse gelähmt, die nicht mehr in Schwung kommen will.

Das wiederum liegt natürlich zu einem großen Teil an der neuen Öl-Problematik. Mittlerweile kann durchaus von einer Krise gesprochen werden, hat doch sogar der Öl-Präsident Bush schon zum allerletzten Mittel gegriffen und wiederholt zur Sparsamkeit geraten. Das hat seit Carter in den Siebzigern kein US-Präsident mehr getan, und von dem Texaner mit engen Verbindungen in die Branche hätte man es zuletzt erwartet.

Doch bleibt Bush (und den Amerikanern) keine andere Wahl. Die Öl-Produktion im Golf, die nach Katrina ja auch noch von Rita heimgesucht wurde, erholt sich einem schmerzlich langsamen Tempo. Die Ausgangssituation war auch dramatisch: Von 4000 Plattformen waren immerhin 2900 von den Stürmen erwischt und 35 ganz zerstört worden.

Doch ist erschreckend, dass noch immer ganze 93 Prozent der Kapazitäten in der Region brach liegen, vor der Küste von Louisiana bis Texas werden zur Zeit nur 7 Prozent der sonst üblichen Mengen gefördert. Damit fehlen dem größten Öl-Verbraucher USA ganze 1,4 Millionen Fass pro Tag oder 24 Prozent der eigenen Fördermenge.

Zugegeben: Unmittelbar nach der Katastrophe waren im Golf zunächst 100 und später 98 Prozent der Produktion ausgefallen. Doch von einer wirklichen Erholung kann man angesichts historischer Vergleiche nicht sprechen. Nach dem Hurrikan Ivan im vergangenen Jahr, der an Plattformen und Raffinerien etwa den gleichen Schaden angerichtet hatte wie Katrina und Rita, dauerte es nur zehn Tage, bis zumindest die Hälfte der Kapazitäten wieder hergestellt war.

Wie lange es diesmal dauern wird, bis die Produktion wieder zu weiten Teilen hergestellt sein wird, ist unklar. Die ersten Öl-Förderer haben jedenfalls ihre Prognosen für Quoten und Gewinne bereits auf Quartals- und Jahressicht heruntergefahren, zuletzt gab es entsprechende Warnungen von BP und ConocoPhilips.

Doch liegt nicht nur die Förderung still, auch in den Raffinerien geht nicht viel. Nachdem Katrina und Rita zunächst 26 Prozent der US-amerikanischen Raffinerie-Kapazitäten lahmgelegt hatten, sind es jetzt noch immer 15 Prozent. In absoluten Zahlen ausgedrückt sind das 3 Millionen Fass, die normalerweise aus zwölf Raffinerien fließen würden – die aber momentan alle komplett stillstehen. Der wenig erbauliche Kommentar aus der Branche: Es werde noch „mindestens einige Wochen“ dauern, bis sich die Lage entspannt.

So lange wird fleißig importiert, weil zumindest die Häfen aufnahmefähig sind. Das wiederum dehnt das Handelsbilanzdefizit weiter aus, das die Börse in Kombination mit dem Haushaltsdefizit ohnehin als größte konjunkturelle Gefahr ansieht. Keine guten Nachrichten also für die Anleger, die sich über einen sinkenden Ölpreis an diesem Dienstag wohl auch nur sehr kurz freuen werden.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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