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Alt 30-09-2005, 20:25   #326
Starlight
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Die zweite Energiekrise

Dass die Wall Street seit geraumer Zeit mit dem Ölpreis steht und fällt, ist nichts Neues. Doch nicht nur das Schwarze Gold beherrscht den Markt, immer mehr spielt plötzlich der Preis von Erdgas eine Rolle. Denn auch beim wichtigsten Heizstoff der Amerikaner zeichnet sich eine Knappheit ab, die den Verbraucher teuer zu stehen kommen wird.

Seit Mitte dieser Woche notiert Erdgas über 14 Dollar pro Einheit, und das ist der höchste Stand aller Zeiten. Der Verbraucher hat das noch nicht zu spüren bekommen, wird es aber bald. Denn Erdgas ist nicht die Hauptenergiequelle für die Plastik- und Chemieindustrie, sondern auch der wichtigste Heizstoff in den USA. Vor allem in den kälteren Gegenden, die sich jetzt schon langsam auf den Winter einstellen müssen, wird die Mehrheit der Häuser mit Erdgas warm gehalten.

Entsprechend wird sich bemerkbar machen, dass sich der Preis für den Rohstoff seit Sommer glatt verdoppelt hat. Wie auch beim viel mehr beachteten Öl hat dies mehrere Gründe: Der enorm warme Sommer hat den Stromverbrauch der von Klimaanlagen geradezu abhängigen Amerikaner in die Höhe schnellen lassen, entsprechend viel Erdgas ging bei den Energiekonzernen drauf. Die beiden jüngsten Hurrikans Katrina und Rita haben ferner die Erdgas-Förderung im Golf von Mexiko und die dortigen Importhäfen weitgehend stillgelegt. Und: Anders als bei Öl gibt es bei Erdgas keine Lager und keine strategischen Vorräte, aus denen der Markt im Falle einer Knappheit schöpfen könnte.

Ähnlich wie bei Öl ist wiederum, dass dem Markt kurzfristig nicht geholfen werden kann. Zwar werden die hohen Preise dafür sorgen, dass Erdgas-Förderer ihre Bohr-Aktivitäten künftig verstärken werden, doch wird es mehrere Jahre dauern, bis neue Plattformen den Rohstoff fördern werden. Michael Zenker, Direktor der Cambridge Energy Research Associates, erklärte jüngst vor dem Energie- und Rohstoff-Ausschuss des Repräsentantenhauses, dass das Angebot nicht vor 2008 maßgeblich wachsen könne. Eine steigende Nachfrage in den nächsten drei Wintern dürfte daher zu weiteren Preisanstiegen führen.

Das hat dramatische Folgen für die amerikanische Konjunktur, die zu zwei Dritteln vom Verbraucher getragen wird. Der wisse noch gar nicht, was auf ihn zukäme, warnt Carl Neill von Risk Management, Inc., einem auf Rohstoffe spezialisierten Berater-Büro.

Etwas mehr weiß das Energieministerium. Die durchschnittlichen Heizkosten für Erdgas-Kunden dürften in diesem Winter um 400 Dollar auf 1130 Dollar steigen, heißt es in Washington – wo man gleich folgende Warnung hinterherschickt: Es könne durchaus sein, dass diese Zahlen viel zu niedrig geschätzt seien und später revidiert werden müssten.

Dass dem US-Verbraucher nun nach einem teuren Sommer mit Rekordpreisen an der Zapfsäule auch noch ein Rekordwinter droht, dürfte das Weihnachtsgeschäft endgültig aus der Bahn werfen. Damit wiederum wird sich diese zweite Energiekrise auf die gesamte Konjunktur und entsprechend auf den breiten Aktienmarkt auswirken.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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