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Alt 29-09-2005, 20:21   #325
Starlight
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Kein „Hurricane“ nach dem Hurrikan

Eine der spektakulärsten Luftaufnahmen nach Hurrikan Katrina war ein Blick auf den Freizeitpark Six Flags, dessen haushohe Achterbahnen nur noch um wenige Meter aus der schmutzigen Brühe ragten. Der Park, wenige Meilen vor New Orleans gelegen, ist zerstört – und dieses Schicksal teilt die Tourismusindustrie in der Region.

Vier Wochen nach dem verheerenden Hurrikan und der Flutung von New Orleans gibt es dringendere Probleme als einen zerstörten Freizeitpark. Das Unwetter hat fast tausend Menschenleben gefordert, die meisten davon sind bis heute nicht identifiziert. Hunderttausende haben ihre Häuser verloren, Familien sind über das ganze Land verstreut, ebenso die Mitarbeiter von Firmen, die um ihr finanzielles Überleben kämpfen.

Doch stehen die Sorgen von Six Flags, dem größten Freizeitpark-Betreiber in den USA, stellvertretend für die ganze Tourismus-Industrie. Und die steht in New Orleans vor einem großen Problem, und zwar vermutlich noch für Jahre nachdem das Wasser gewichen ist und die Häuser wieder aufgebaut sind. Denn bis Touristen wieder nach New Orleans gehen, durch die Straßen des Frech Quarter laufen und dabei den Partydrink mit dem schicksalschwangeren Namen „Hurricane“ trinken, wird es wohl lange dauern. Denn auch von den Terrorangriffen am 11. September 2001 haben sich die Tourismus-Statistiken der Crescent City an der Mündung des Mississippi bis heute nicht erholt.

Das kostet die Stadt viel Geld. Allein im letzten Jahr, immerhin dem besten seit 2001, haben 10 Millionen Besucher insgesamt 5 Milliarden Dollar nach New Orleans getragen. Dieser Umsatz macht Tourismus zur zweitgrößten Industrie für den Bundesstaat Louisianna und sorgt für ein Siebtel der Arbeitsplätze in der Stadt.

Allein 1 Milliarde Dollar bleiben jährlich an Mardi Gras in der Stadt. Zur Zeit sind die meisten Hotels im unklaren darüber, ob sie ihre gefluteten Gebäude bis dahin wieder offen haben werden. Zudem ist unklar, wer an Mardi Gras Party machen kann – die Musikszene hat große Verluste erlitten, viele Bars und darunter die eigentlichen Musikkneipen abseits der Touri-Straßen sind verloren. Abgesehen davon dürfte auch in einigen Monaten die Lust noch gering sein, in der gebeutelten Stadt den größten Karneval der USA zu feiern und barbusigen Mädchen Perlenketten zuzuwerfen.

Doch große Verluste stehen nicht erst zur Karnevalssaison an, denn New Orleans’ Tourismus-Industrie läuft ganzjährig, vor allem dank des guten Rufes der Stadt als Konferenz- und Tagungsort. Allein bis Ende Oktober fallen 120 Konferenzen aus, deren Teilnehmer für einen Umsatz von mehreren Millionen Dollar gesorgt hätten. Eine der größten Messen wäre die des amerikanischen Rentnerverbandes AARP mit 20 000 Teilnehmern gewesen. Die Elektrikerinnung wiederum wollte 12 000 Messebesucher bringen, auch deren Treffen ist abgesagt.

Dass die Messen abgesagt werden, hat nun weniger mit der mangelnden Lust auf Party im Krisengebiet zu tun. Vielmehr fehlen schlicht und einfach die Tagungsstätten, und wann die wieder stehen ist höchst unsicher. Denn angesichts der drohenden Obdachlosigkeit in weiten Teilen der Stadt und vor allem in den Arbeiter- und Armenvierteln, werden viele Einwohner – und Arbeitskräfte – wohl gar nicht erst nach New Orleans zurückkehren.

Mit dem Superdome ist ein weiterer Touristenmagnet stark beschädigt. Das Footballstadion, in dem zuletzt 2002 der weltweit beachtete Super Bowl stattfand, hat sein Dach verloren, eine Renovierung wird Millionen verschlingen. Der bereits für New Orleans geplante Super Bowl 2006 dürfte folglich woanders stattfinden, die schätzungsweise 300 Millionen Dollar, die das Spiel der Stadt hätte einbringen sollen, werden dann auch ausbleiben.

Auch die Kreuzfahrtschiffe werden die Stadt eine Zeit lang meiden. Dabei hatten diese für die lukrativste Klientel gesorgt, nämlich die reisende Oberschicht. Zwar liegen zur Zeit einige Schiffe im Hafen der Stadt, doch laufen deren Geschäfte höchst ungewöhnlich. Die Katastrophenschützer der FEMA haben tausende von Obdachlosen auf Schiffen von Carnival Cruises und anderen Anbietern untergebracht – zu einem Vielfachen des normalen Buchungspreises –, und so machen die Unternehmen momentan noch Geld. Doch werden sie diese (ohnehin umstrittenen) Aufträge bald verlieren und danach wohl für lange Zeit nicht mehr einlaufen.

Dass New Orleans den Tourismus langfristig zurückgewinnen kann, steht für Brancheninsider außer Frage. Die Vereinigung amerikanischer Reisejournalisten sieht die Metropole auf dem fünften Platz der beliebtesten US-Reiseziele, gleich hinter New York, Hawaii, San Francisco und Orlando. Ein so beliebtes Ziel mit Freunden in aller Welt werde sich erholen, ist die vorherrschende Meinung, mit der viele ihren Optimismus auszudrücken versuchen.

Es ist ein schwacher Trost für die Stadt und die Bevölkerung. Denn bis die Touristen kommen und ihre Dollar gegen Drinks, Musik und andere Dienste tauschen, dürften wohl Jahre vergehen.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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