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Alt 26-09-2005, 20:30   #322
Starlight
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Rita, George und die Folgen

Das ganze Wochenende über hatte die Wall Street auf Sturmwache gelegen. Jetzt hat sich Hurrikan Rita verzogen, die letzten Ausläufer werden noch bis Wochenmitte Regen bis nach New York tragen. In den Südstaaten hat derweil das Aufräumen begonnen, erste Firmen ziehen Bilanz aus dem zweiten großen Unwetter der Saison.

Dabei ist der Wall Street zunächst eines wichtig: Rita war nicht so schlimm wie befürchtet. Hatte man zunächst mit einem Hurrikan der Stärke 5 gerechnet, musste man letzten Ende nur noch Stärke 3 messen. Die Winde waren langsamer geworden, das gefährliche Auge des Hurrikans hatte sicht gänzlich aufgelöst. Dass Rita zudem auf ihren letzten Meilen vor der Küste die Richtung änderte, dürfte der amerikanischen Wirtschaft viele Milliarden Dollar gespart haben.

So blieben die Küstenstädte Houston und Galveston weitgehend verschont, in denen viele der größten amerikanischen Unternehmen ihren Sitz haben. Vor allem aber blies Rita nicht mit voller Kraft über die Ölfelder und Raffinerien, mit deren Verlust der Markt in den letzten Tagen fast schon fest gerechnet hatte. Eine erste Schadensbilanz fällt folglich überraschend positiv aus: Bis jetzt sind nur an zwei Raffinerien massive Schäden bekannt: Total verliert dadurch Kapazitäten von 233 000 Fass pro Tag und Valero von 250 000 Fass pro Tag.

Conoco Philips ist noch mit der Schadensaufnahme beschäftigt, Kerr-McGee hält seine Anlagen für intakt, und auch ExxonMobil gibt Entwarnung: Die mit 557 000 Fass pro Tag größte Raffinerie der USA bei Baytown ist funktionsfähig. Damit fällt nicht etwa ein Drittel der amerikanischen Raffinerie-Kapazitäten aus, sondern nur ein kleiner Teil – entsprechend rutscht Öl im Montagshandel unter 64 Dollar.

Dass Rita die Branche noch einmal verschont hat, heißt allerdings nicht, dass man an der aktuellen Situation nichts ändern muss. Im Gegenteil: Klarer als je zuvor ist den Amerikanern geworden, dass der Ölmarkt umgekrempelt werden muss. Der erste Ansatz ist der logischste. Die Unternehmen sollen weitere Raffinerien bauen, um die stetig steigende Nachfrage nach Benzin und Heizöl künftig besser decken zu können.

Neu ist aber, dass selbst das Weiße Haus langsam beginnt, am anderen Ende zu arbeiten – am Verbrauch. Am Montag erklärte Präsident George W. Bush zum zweiten Mal binnen weniger Tage, „dass wir alle Benzin sparen“ müssen. Man solle auf unnötige Trips mit dem Auto verzichten, so der Texaner, über den seine Frau vor nicht allzu langer Zeit noch schwärmte, dass er vor dem Abendessen gerne mit seinem Truck um die Farm fahren würde. Er nenne sich dann einen „Windshield-Cowboy“, so die First Lady.

Der Cowboy muss jetzt der erste sein, der seine Benzinschleuder stehen lässt und seine Männlichkeit anders auslebt. Ob es dazu kommt, und ob Bush langfristig wirklich Fahrgemeinschaften und den öffentlichen Nahverkehr stützen will, ist mehr als fraglich. Denn bereits am Montag konnten Beobachter zwischen den Zeilen hören, dass Bush trotz der verheerenden September-Stürme nicht wirklich die Richtung ändern will.

So legte er seinen Zuhörern zwar das Benzinsparen nahe, klang aber viel überzeugter und ehrlicher, als er eine Minute später den Bau neuer Rafinerien forderte. Man habe bereits einige Auflagen der Umweltbehörde EPA außer Kraft gesetzt, um solche Projekte schneller beschließen zu können. Kurzfristig werde er zudem einen Teil der strategischen Ölvorräte freigeben, um den aktuellen Engpass zu überbrücken.

Doch auch in seiner Politik außerhalb der Öl-Problematik scheint der Präsident keinen Kurswechsel anzustreben. Auf die seit Katrina vorherrschende Meinung angesprochen, dass Amerika Schwarze schlechter behandele als Weiße, brachte Bush nur Allgemeinplätze. Natürlich müsse man das Thema Armut angehen, heißt es jetzt, als gäbe es die unterpriviligierte Schicht erst seit einem Monat. Bushs Problem ist seit dem Hurrikan und dem zeitweisen Untergang von New Orleans, dass die Nation plötzlich weiß, wie schlecht es um weite Teile der Bevölkerung steht.

Dagegen weiß Bush ein Rezept: Mehr denn je gelte es, in Schulen und Erziehung zu investieren, so der Präsident. Das sagt er allerdings schon seit fünf Jahren, doch ist sein ehrgeiziges Projekt zu einer Verbesserung der Schulen bis heute nicht finanziert, weil das Geld in Kriege und Steuersenkungen floss. Auch müsse man mehr Amerikanern ermöglichen, ein eigenes Haus zu besitzen. Die Zahl der Amerikaner sei in seiner Amtszeit schon auf ein Allzeit-Hoch gestiegen. Das ist richtig, doch ist der Anteil, den der durchschnittliche Amerikaner an seinem Haus wirklich besitzt, auf ein Allzeit-Tief gesunken. Die wahren Grundbesitzer sind die Banken, die sich in den nächsten Jahren manche Immobilie zurückholen werden, an denen sich ein Amerikaner unter- oder innerhalb der Mittelklasse übernommen hat.

Bushs wahres Gesicht zeigt sich noch in einer weiteren Ankündigung, mit der er der armen und der schwarzen Bevölkerung Hilfe verspricht. Mehr Geld müsse in die „faith based organisations“ fließen, in Gruppierungen also, die den Glauben stärken. Nach Auslegung der Republikaner waren das bislang vor allem Gruppen, die sich gegen Verhütung und Abtreibung einsetzen, und die Armut unter Minderheiten bisher eher verstärkt als vermindert haben.

So ist die Bilanz nach zwei Hurrikans gemischt: Einerseits ist Amerika zumindest bei Rita besser weggekommen als befürchtet. Andererseits wird das Unwetter kaum Folgen haben. Die Lehren, die man aus einer solchen Warnung ziehen sollte, dürften von der Bush-Regierung nicht umgesetzt werden.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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