Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 22-09-2005, 21:43   #320
Starlight
TBB Family
 
Benutzerbild von Starlight
 
Registriert seit: May 2002
Beiträge: 34.578
Großraumflieger und Pleitegeier

Delta Air Lines will bis zu 9000 Stellen streichen. Für ein Unternehmen, das seit geraumer Zeit im Gläubigerschutz steht und um eine Zukunft kämpft, ist das keine große Nachricht. Interessanter ist da schon ein Blick auf die ganze Airline-Branche, wo mittlerweile mehr Pleitegeier als Jumbo-Jets den Luftraum verstopfen.

Wie schlecht es einzelnen Firmen, ganzen Branchen oder auch der Volkswirtschaft im Allgemeinen geht, bekommt der Einzelne hin und wieder auch am eigenen Leib zu spüren. Ich selbst beispielsweise vor einigen Wochen auf einem Flug mit Delta Air Lines. Dass die Gesellschaft auf Inlandsflügen statt eines vollen Menüs nur einen Snack serviert, überrascht Vielflieger längst nicht mehr. Dass ich aber die ganze Strecke Atlanta–Anchorage (Alaska) mit einem Tütchen Erdnüsse bewältigen musste, war ein Schock. Immerhin beträgt die Flugzeit rund zehn Stunden, und die Erklärung, dass man sich doch nur innerhalb der USA bewege, half mir nicht.

So knurrte mein Magen einen guten halben Tag lang, und auf dem Flughafen von Anchorage trieb es mich entsprechend ohne Umwege zum nächsten Brezelstand. Ich ärgerte mich vor allem darüber, dass Delta Air Lines keine Hinweisschilder aufgestellt und dazu geraten hatte, eigene Verpflegung mitzubringen. Ein näherer Blick auf die Branche zeigte mir dann aber, dass ich mir das auch von vorne herein hätte denken können.

Immerhin: Delta Air Lines galt schon Wochen vor meinem Flug als Pleite-Kandidat. So etwas ist in der Branche keine Schande mehr, man teilt sich die Bühne mit Northwest Airlines, United und US Airways sowie unzähligen kleinen Anbietern. Laut Standard & Poor’s gehören zur Zeit fast 60 Prozent der Passagiersitze in amerikanischen Maschinen zu Gesellschaften im Gläubigerschutz. Ein solches Verfahren bedeute aber keinesfalls, so Experten in dieser Woche bei einer Branchenkonferenz, dass der Service für Passagiere schlechter würde.

Das stimmt. Denn interessanterweise sind die amerikanischen Airlines in bezug auf ihren Service schon vor Jahren so tief gesunken, dass sie das Niveau auch im Gläubigerschutz locker halten können. So wurden mehr Sitzreihen in die Flugzeuge gequetscht, Flüge hoffnungslos überbucht und Passagiere rüde sitzen lassen, das Essen wurde zunehmends schlechter, die Bord-Kopfhörer mit einer Gebühr zwischen 2 und 5 Dollar belegt… zuletzt hat American Airlines, wo man noch nicht Kurs auf Chapter 11 genommen hat, die Kopfkissen aus den Flugzeugen entfernt, um deren Reinigungskosten einzusparen. Dass mancher Passagier gerne ein paar Cent mehr hinlegen würde, um diesen Aufwand mitzutragen, kam dem Management bislang nicht in den Sinn.

Man fragt sich also, warum die schlechten Geschäfte den Service überhaupt beeinflussen sollten? Ob es nicht vielmehr anders herum lief, dass also der schlechte Service amerikanischer Gesellschaften dazu geführt hat, dass Kunden die Gesellschaft wechselten? Das ist nicht unwahrscheinlich, denn während die großen Gesellschaften früher für eine edle, fast schon elitäre Atmosphäre an Bord bekannt waren, haben mittlerweile sätliche Billigflieger auf in diesem Bereich einen Vorsprung. Sei das JetBlue mit Ledersitzen und Live-Fernsehen, Song mit Wellness-Food oder auch Hooters Air mit seinen sexy Stewardessen.

Für David Callaway, Chefredakteur des Börsendienstes von CBS und Airline-Kenner, ist der Service-Einbruch der großen Fluggesellschaften keine Überraschung. Er erinnert sich an eine Branchenmesse vor zwei Jahren, als er die Chefs mehrere Fluggesellschaften gefragt habe, mit welchen Service-Innovationen man sich gegen die zunehmende Konkurrenz der kleinen Gesellschaften verteidigen wolle. Die überraschende Antwort sämtlicher Manager: Man wolle gar nicht so sehr in Service investieren, sondern lege viel mehr Wert auf pünktliche Abflugs- und Ankunftszeiten.

Pünktliches Fliegen wiederum ist ja schön und gut – es sollte aber eigentlich selbstverständlich sein. Wenn die Airlines schon das Vermeiden von Schlampigkeit und unnötigen Verspätungen als nennenswerte Innovation und besonderen Pluspunkt empfinden, dann überrascht es wirklich nicht, dass immer mehr von ihnen in die Pleite steuern.

Im Donnerstagshandel handelt die Branche gemischt, die meisten großen Unternehmen notieren erneut mit Verlusten. Im Plus hingegen notiert die Aktie von JetBlue, obwohl ausgerechnet diese Billiglinie am Vorabend eine schlagzeilenträchtige Notlandung in Los Angeles hinlegen musste. Doch selbst eine solches Manöver scheint Anleger weniger zu schocken als der dauernde Blindflug der großen Carrier.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
Starlight ist offline   Mit Zitat antworten