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Alt 20-09-2005, 17:40   #317
Starlight
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„Katrina war’s“ - Plumpe Ausrede zieht nicht

Wer am Dienstag zwischen dem Börsensender CNBC, dem Nachrichtenkanal CNN und dem Weather Channel hin und her schaltet, merkt nicht auf den ersten Blick einen Unterschied. Nach Katrina beansprucht mit Rita schon der zweite Hurrikan Sendezeit rund um die Uhr, doch wird die Prominenz der Wirbelstürme manchmal mißbraucht.

Gleich vier Unternehmen haben am Dienstag Gewinnwarnungen für das laufende Quartal ausgesprochen und die schwachen Aussichten mehr oder weniger auf Katrina geschoben. Unglücklicherweise äußerte sich allerdings fast gleichzeitig der Konsumriese Procter & Gamble, und dort hält man an den aktuellen Umsatz- und Gewinnprognosen fest.

Das ist umso interessanter, als das Unternehmen unmittelbar nach dem Unwetter durchaus pessimistischer geklungen hatte. Immerhin schadete Katrina den Kaffee-Ablegern Folger’s und Millstone, denen tonnenweise Röstgut verloren ging. Zudem leidet man in der Kaffee- und in anderen Sparten unter den hohen Rohstoffpreisen und nicht zuletzt unter dem Katrina-Aufschlag auf Öl. Zu guter Letzt hat P&G in der Gegend um New Orleans auch noch vier Werke mit 560 Angestellten. Allein: Die 1 bis 2 Cent, die Katrina das Unternehmen kosten werde, könne man mit einem allgemeinen Umsatzplus in anderen Bereichen wieder ausgleichen, heißt es.

Solche Töne will die Wall Street hören, für die Aktie von Procter & Gamble geht es am Dienstag um 1,5 Prozent hinauf.

Doch kommen wir zu den vier anderen Katrina-Aktien im Dienstagshandel. Da wäre zum einen der Kosmetikkonzern Estee Lauder. Das Unternehmen will Anlegern tatsächlich weis machen, dass ein unerwartet deutlicher Umsatzeinbruch vor allem mit dem Hurrikan an der Golfküste zusammenhängt, und dass man nun „bedeutend weniger Gewinn machen“ werde als im Vorjahresquartal. Hätte man die Quartalswarnung mehr mit den hohen Öl- und Benzinpreisen und der sinkenden Konsumlust der Verbraucher begründet, stünde die NYSE-notierte Aktie vielleicht nicht mit 10 Prozent im Minus.

Um ganze 16 Prozent verschlechtert sich der Chemiker Chemtura. Der wird nach eigenen Angaben im laufenden Quartal etwa 40 Millionen Dollar weniger einnehmen als ursprünglich erwartet. Man begründet das zu 60 Prozent mit der schwachen Nachfrage nach Verbraucherprodukten, Polymer-Stabilisatoren und anderen Spezialmitteln. Zu 15 Prozent sei aber Katrina schuld, heißt es ohne weitere Erklärung, und das ist der Wall Street nicht genug.

Nicht nachvollziehbar ist eine Gewinnwarnung von Brunswick, dem Hersteller von Bootsmotoren, Bowlinganlagen und Billardtischen. Die dreiste Absicht des Managements, die schwache Nachfrage nach solchen Produkten mit dem durch Katrina gedrückten Verbrauchervertrauen zu begründen, kostet die Aktie 10,5 Prozent.

Den Vogel abgeschossen hat aber Tempur-Pedic. Der Matratzenhersteller handelt mit einem Abschlag von 24 Prozent und hat das wohl weniger der Gewinnwarnung als der mitgelieferten Begründung zuzuschreiben. Dabei kreidet man das schlechte Quartal gar nicht nur Katrina an, der Hurrikan ist nur das dritte Argument in einer absurden Reihe von Entschuldigungen.

Da wären zum einen die lukrativen Sonderangebote der Autohersteller, die Verbraucher vom Matratzenkauf abgehalten hätten, heißt es. Dass die Mehrheit der Amerikaner nun also abends die Autositze ausbaut um darauf zu nächtigen, will indes die Wall Street nicht glauben. Oder ist es vielleicht so, dass der Hurrikan die Amerikaner dazu gebracht hat, forthin gleich im Auto zu schlafen, um im Falle einer Evakuierung schneller fahrbereit zu sein?

Die Wall Street glaubt auch das nicht, und ebensowenig, dass das Verbrauchervertrauen die Umsätze gedrückt haben soll. Matratzen gehören eigentlich nicht zu den Produkten, die besonders stimmungsabhängig sind. Nun, Katrina wird es auch nicht gewesen sein, und erst ein vierter Punkt wird an der Börse anerkannt: der hohe Konkurrenzdruck. Der kommt nicht nur von anderen, besser gemanagten Herstellern wie Serta und Sealy, sondern auch von chinesischen Firmen, die den nur zum Teil patentierten Aufbau der hochwertigen Tempur-Pedic-Matratzen einfach nachbauen. Solche Konkurrenz dürfte dem Matratzenhersteller langfristig den Schlaf rauben.

Gut zu wissen, dass auch die Wall Street nicht schläft. Nach dem Hurrikan – und vor Ankunft des nächsten – hat man zumindest ein wachsames Auge und nimmt Gewinnwarnungen streng auseinander. Unternehmen, die ihre schwachen Geschäfte einfach auf das Wetter schieben, kommen damit nicht durch.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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