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Alt 15-05-2007, 17:37   #668
Starlight
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Geplanter Benzin-Boykott geht nicht auf

Eine Email lässt heute sämtliche Scheichs im Nahen Osten zittern: Zum x-ten Mal rufen Internet-Aktivisten alle Verbraucher in den USA dazu auf, den Kampf gegen die Öl-Multis zu unterstützen. Wenn am heutigen Dienstag keiner tanke, würde das die Industrie fast 3 Milliarden Dollar kosten, die Einfuhrmenge drücken und folglich den Benzinpreis um bis zu 10 Prozent senken.

Letzteres allein dürfte dazu führen, dass viele Verbraucher die Massen-Email zumindest interessiert lesen. Der Benzinpreis in den USA klettert seit Monaten und hat gerade die Marke von 3 Dollar pro Gallone überschritten. Das ist umso schlimmer als in zwei Wochen mit dem Memorial Day offiziell die Ferienzeit eingeläutet wird und mehr Amerikaner als sonst auf den Straßen unterwegs sein werden.

Die schmerzt es tief, wenn der Benzinpreis weiter steigt. Doch dürften sich nicht allzu viele an dem Versuch beteiligen, über einen eintägigen Tank-Boykott der Branche eins auszuwischen. Der Grund: Es funktioniert eh nicht, der Aufruf der Aktiviten ist voller falscher Annahmen – und einer glatten Lüge.

Zunächst der große Hammer: Der Hinweis auf eine ähnliche Boykott-Aktion, die im April 1997 dazu geführt habe, über Nacht den Benzinpreis um 30 Cent zu senken, ist frei erfunden. Den Boykott hat es seinerzeit nicht gegeben, einen derartigen Preiseinbruch verzeichnet keine einzige Statistik. Und das aus gutem Grund, denn das Konzept eines Boykotts würde nie und nimmer aufgehen.

Zum einen setzt der angepeilt Schaden von fast 3 Milliarden Dollar voraus, dass alle Internetnutzer, an die sich der Email-Aufruf richtet, jeden Tag tanken und folglich auch am Dienstag getankt hätten. Ferner lässt die Aktion außer acht, dass jeder, der dem Boykott folgt und am Dienstag nicht tankt, dann eben am Mittwoch oder Donnerstag tankt – damit werden nicht Umsätze und Gewinne gestoppt, sondern nur minimal verzögert.

Was die Boykott-Aktion aber wirklich zu einem tragischen Irrtum macht, ist die Wirkung auf die wahren Opfer. Viel mehr Schaden als die Öl-Multis würden nämlich die Tankstellenbesitzer nehmen. Die meisten Tankstellen in den USA gehören nicht etwa ExxonMobil und Chevron, sondern den Einzelhändlern, vor allem kleinen Ketten und Einzelbetrieben.

Doch auch die fürchten sich nicht allzu sehr vor Umsatzeinbrüchen. Der Branchenverband der Tankstellenbetreiber erklärt, dass man die Boykott-Email seit Jahren kenne, sie tauche fast immer im April oder Mai auf – und zeige grundsätzlich keine Wirkung. Bei aller Benzinwut der Amerikaner scheint doch die Bequemlichkeit zu obsiegen – wirklich einmal weniger zu tanken und das Auto stehen zu lassen, das bringt zwischen New York und Kalifornien kaum einer fertig.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc
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