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Alt 03-05-2007, 20:30   #662
Starlight
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The Bishop: Antichrist und Spekulant

„Lieber in der Hölle regieren als auf Erden dienen“, stand in den Erpresserbriefen, die ein verrückter Bombenbastler an amerikanische Investmenthäuser schickte. Doch bis zur Hölle wollte der Mann, der sich „The Bishop“ nannte, wohl nicht warten. Seinen Forderungen ist zu entnehmen, dass er auch auf Erden regieren, oder zumindest seine finanziellen Sorgen loswerden wollte.

Von verschiedenen Investmenthäusern – darunter American Century Investments und die Janus Capital Group – erhoffte sich der bis dato erfolglose Börsenspekulant Hilfe: Die Banken sollten mit massiven Zukäufen dafür sorgen, dass Aktienkurse bestimmer Unternehmen zulegten. Im Falle des Telekomausrüsters 3Com sollte der Kurs auf 6,66 Dollar steigen – dem Preis liegt die Zahl des Antichristen zugrunde.

Ein solcher Kurs wäre wohlgemerkt auch für professionelle Investoren und Fonds kaum zu erreichen gewesen. Immerhin notierte 3Com seinerzeit bei gerade einmal 3,85 Dollar. Entsprechend schraubte „The Bishop“ später seine Forderungen zurück und verlangte, dass bestimmte Aktien an vier aufeinanderfolgenden Tagen mit Gewinnen schließen müssten. Für den Fall, dass die Papiere nur drei Tage im Grünen schafften, kündigte der Erpresser eine Briefbombe an, bei zwei Tagen zwei Bomben und bei einem Tag drei.

Dass „The Bishop“ indes kein gewöhnlicher Verrückter war, sondern eine ernst zu nehmende Bedrohung, merkten die Behörden spätestens, als die ersten Bomben kamen, die nur wegen kleiner technischer Fehler nicht scharf waren. In einem Fall hatte der Erpresser lediglich zwei Kabelenden nicht verbunden, in einem anderen Fall fehlte ein Bauteil am Zünder.

„Bang, du bist tot“, stand auf einem Zettel, den der Erpresser jeweils seinen Briefbomben beigelegt hatte. Er muss sich das in einem alten Spielfilm abgeschaut haben, und auch sonst ließ sich „The Bishop“ von allen Seiten inspirieren. In weiteren Schreiben ging er auf das Schul-Massaker von Columbine und die Sniper-Serie von 2002, bei der Attentäter im Großraum einen Sommer lang wahllos Passanten erschossen.

Dass „The Bishop“ hingegen alles andere als wahllos vorging, war den Ermittlern schnell klar. Zu präzise waren die Forderungen in den Erpresseschreiben. In Kooperation mit der Börsenaufsicht SEC untersuchte man, wer von Kursbewegungen bei den angegebenen Aktien am meisten profitieren würde – und kam auf John Tomkins, einen bis dato unbescholtenen und als harmlos geltenden Familienvater aus Iowa.

Weitere Recherchen lieferten schnell den Beweis: Tomkins hatte mit seiner Kreditkarte Materialien gekauft, die beim Bau von Briefbomben benutzt worden waren. Er fuhr das Auto, dass die Ermittler auf einem Foto identifiziert hatten, dass „The Bishop“ einem Schreiben beigelegt hatte. Letztlich fanden sich bei einer Hausdurchsuchung Kopien der Erpresserbriefe, und nun sitzt Tomkins in Untersuchungshaft, ohne Kaution.

An der Wall Street schlug die Geschichte keine allzu großen Wellen. Hier und da sprechen Trader über „The Bishop“, schütteln den Kopf – panisch oder verängstigt ist keiner. Nirgendwo in Amerika ist man eher gewohnt, in Krisensituationen einen klaren Kopf zu behalten als in New York, und so ist die Geschichte eines 42-Jährigen, der vom erfolglosen Spekulanten zum Schwerkriminiellen wurde, auf dem Parkett nur eine Anekdote.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc
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