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Alt 08-08-2007, 20:51   #722
Starlight
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Der „Virgin“ Jungfernflug

Es mag der Branche nicht mehr ganz so schlecht gehen wie vor ein paar Jahren, doch scheint es noch immer nicht die beste Idee zu sein, eine neue Airline zu gründen. Richard Branson tut es doch, am Mittwoch hob Virgin America erstmals ab – verspätet nach einem gewaltigen Unwetter, das die New Yorker Flughafen lahmgelegt hatte. Ein Omen?

Wer Richard Branson kennt, der weiß, dass sich der Chef der neuen Fluggesellschaft auch durch einen Tornado die Laune nicht vermiesen lässt. Im Gegenteil: An Bord des Jungfernflugs von New York JFK nach Los Angeles ist die Stimmung hervorragend: Die amerikanische DJane Samantha Ronson legt auf, Satiriker Stephen Colbert fliegt mit und bei der Ankunft unter kalifornischer Sonne wartet ein roter Teppich auf die handverlesenen Passagiere.

Die häten allerdings bis dahin auch einen vergnügten Flug verbracht, wären sie nicht im Rahmen der Premierenfeier zusätzlich verwöhnt worden. Denn während andere Fluggesellschaften in den letzten Jahren den Service immer weiter abgebaut haben um Kosten zu sparen, bietetr Virgin America all den Luxus, den man von ihrem britischen Mutterkonzern kennt. Massagesessel aus weißem Leder in der ersten Klasse, eine Minibar, Musik in der Toilettenkabine und Essen a la carte, das über den Bildschirm bestellt wird – und zwar wann immer der kleine Hunger kommt, und nicht wann immer die Stewardess das nächste Mal vorbei kommt.

Für Reisende der ersten Klasse beginnt der Komfort wohlgfemerkt lange vor dem Flug. Am Flughafen warten die VIP in einer Lounge, die ihresgleichen sucht. Außer bequemen Sesseln, Breitband-Internet und einer Bar gibt es eine Sauna, sechs Dampfbäder, Massage und Maniküre, und wer will, kann sich auch noch schnell die Haare schneiden und die Schuhe putzen lassen. Alles ist im Flugpreis inbegriffen, die 150-köpfige Crew steht auf Abruf bereit.

Die Prognosen für Virgin America sind dennoch gemischt. Richard Branson habe eben ein Talent für Marketing, anerkennt Ed Perkins, der als Airline-Analyst für das Branchenmagazin SmarterTravel.com schreibt. „Die Jungs sind sehr, sehr gut, und das ist wichtig in einem Markt in dem es wenig Produktunterschiede gibt.“

Ganz anders sieht das Ray Neidl, Airline-Analyst von Calyon Securities und eine der wichtigsten Stimmen der Branche. „Die Leute buchen heute nach dem Preis“, meint er. Wenn Virgin America die Preise niedrig halten könne, wäre man sicher unter den Top¬-Linien im amerikanischen Markt. Der Komfort allein mache es aber nicht aus, wenn der Preis nicht stimme.

Vermutlich wird der Preis aber stimmen, meint nicht nur Richard Branson. Auch die etablierten Konkurrenten – vor allem American Airline, Delta Air Lines und Continental – fürchten, dass Virgin bald ein ernstzunehmender Konkurrent wird. Entsprechend hat man lange versucht zu verhindern, dass der Brite überhaupt eine Lizenz für den inneramerikanischen Markt erhalten würde. Ein paar Jahre lang konnte man Branson auch auf Distanz halten, denn das Verkehrsministerium prüfte sehr langsam, ob die 25-prozentige Beteiligung von Bransons britischer Virgin mit den US-Regeln konform sei, nach denen nur amerikanische Konzerne inlands fliegen dürfen.

Ergebnis der jahrelangen Prüfung: Branson darf fliegen, und – die lange Verzögerung seines Jungfernflugs durch Konkurrenten und Behörden kommt ihm wahrscheinlich sogar zugute. Denn während die übrigen Fluggesellschaften bis vor kurzem ums nackte Überleben kämpften, hebt Virgin America in einer Zeit ab, in der die Passagierzahlen auf Rekordniveau sind und die Auslastung der Kapazitäten steigt. Ideale Bedingungen für einen Markteinstieg, und da nimmt man einen Tornado zum Jungfernflug wohl mit einem Augenzwinkern hin.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc
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