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Alt 20-11-2008, 18:13   #913
Starlight
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Im Privat-Jet zur Suppenküche
Donnerstag, 20. November 2008

An der Wall Street glaubt kaum einer mehr, dass die US-Regierung die kaputte Automobilindustrie mit Milliarden-Krediten aus der Krise führen könnte. Nicht zuletzt der Auftritt der Auto-Bosse vor dem Kongress hat nämlich bewiesen: In Detroit hat man den Bezug zur Realtität verloren… den drei Konzernen ist nicht mehr zu helfen.

Der demokratische Abgeordnete Gary Ackerman aus New York war der erste, der im Rahmen der Befragung einen unglaublichen Missstand ans Tageslicht brachte. „Es ist schon sehr ironisch“, so der Politiker, „wenn drei Privat-Jets in Washington landen, und die Passagiere steigen aus und betteln um Geld.“

In der Tat: GM-Chef Rick Wagoner, sein Ford-Kollege Alan Mulally und Chrysler’s CEO Robert Nardelli waren im Privatjet in die Hauptstadt geflogen. Allesamt aus Detroit, jeweils für geschätzte 20 000 Dollar. Hätte man nicht gemeinsam fliegen können? Oder gar Linie, was selbst in der Ersten Klasse keine 1000 Dollar gekostet hätte.

„Das ist hier als käme einer in Frack und Zylinder zur Suppenküche“, höhnte Ackerman. Und sein kalifornischer Kollege Brad Sherman ließ die Anreise der Bosse zur Anhörung sogar ins Protokoll meißeln. Er bat die drei CEOs „die Hand zu heben, wenn Sie heute mit einem Linienflug gekommen sind. Das Protokoll möge festhalten, dass keine Hand gehoben wurde. Ich bitte Sie nun die Hand zu heben, wenn Sie planen, Ihren Privatjet zu verkaufen und künftig mit Linienmaschinen zu fliegen. Das Protokoll möge festhalten, dass heine Hand gehoben wurde.“

Damit haben es die drei CEOs selbst den wohlmeinendsten Politikern noch schwerer – vermutlich sogar unmöglich – gemacht, Milliardenkredite an die Branche gegenüber dem Steuerzahler zu rechtfertigen. Die Anreise der Top-Manager im Privat-Jet zeigt wieder einmal, was in den Unternehmen falsch läuft. Man stellt das Wohl und den Komfort einiger Weniger über das Wohl des Konzerns. Das läuft schon seit Jahren so. Mit Deckung von Washington hat man Spritschleudern gebaut, die sich kurzfristig gut verkaufen ließen und für Profite sorgten… langfristigen Wünschen der Kunden oder gar umweltpolitische Gedanken räumte man keinen Platz ein.

Und umdenken will man in Detroit nicht. General Motors rechtfertigt den Privat-Jet für Rick Wagoner mit dem Hinweis, das „ist eben so üblich“. Damit gesteht man aber auch ein, dass man eben nicht gewillt ist, selbst in Krisenzeiten den Rahmen des Üblichen zu verlassen und zu neuen Maßnahmen zu greifen. Zu Kostensenkungen in der Chef-Etage, etwa. GM kann aber, wenn überhaupt, nur gerettet werden, wenn im Konzern ein radikales Umdenken stattfindet, wenn ineffiziente Modelle komplett eingestellt werden, wenn spritsparende Modelle aus dem europäischen Markt sofort auf dem US-Markt gepusht werden, und, und, und.

Zu solchen Schritten ist die Branche nicht in der Lage – im Gegenteil: Man weist die Schuld weit von sich, sträubt sich förmlich gegen jede Einsicht. „Um die Privat-Jet-Frage jetzt ein großes Theater zu veranstalten, wo es doch um die Arbeitsplätze von so vielen Amerikanern geht“, sei unproduktiv, schimpft ein GM-Sprecher. Damit macht er klar, wie es zwischen GM und Washington bestenfalls weitergehen soll. Die Regierung schießt dem Unternehmen Geld zu, soll sich aber bitte raushalten, wenn die Kohl verschwendet wird und GM am Ende doch abstürzt.

Seit dem Auftritt der Auto-Bosse in Washington ist klarer als je zuvor, dass die Regierung den Unternehmen nicht mehr helfen darf. GM ist verloren und dürfte bereits in den nächsten Wochen in Gläubigerschutz treten, Ford und Chrysler haben zumindest noch etwas mehr Zeit… das ist kein schönes Ende für die Industrie-Legenden, und es ist schlimm für die Arbeitnehmer. Es ist aber nicht zu vermeiden und ein Resultat von inkometenter und selbstsüchtiger Politik der letzten Jahre.
© Inside Wall Street
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