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Alt 19-11-2008, 18:17   #908
Starlight
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Kein Bonus für die Zocker
Montag, 17. November 2008

Gute Ideen werden oft in Krisenzeiten geboren… auch in der Finanzkrise lässt sich Corporate America allerhand einfallen, um Schlimmeres zu verhindern. Einen ganz und gar historischen Schritt geht jetzt Goldman Sachs: Die Bank wird – man halte sich fest! – ihren sieben Top-Managern in diesem Jahr keinen Bonus zahlen.

Unglaublich. CEO Lloyd Blankfein und sechs seiner Top-Kollegen werden in diesem Jahr mit ihrem Grundgehalt von jeweils rund 600 000 Dollar auskommen müssen. Da wird das Weihnachtsfest wohl etwas bescheidener ausfallen… für eine neue Strandvilla wird es wohl nicht reichen, auch eine neue Yacht wird man sich vorerst abschminken müssen.

Und trotzdem macht das Beispiel Schule. Bei der UBS in Zürich hat man gerade beschlossen, die Bonuszahlungen künftig mehr an die geleistete Arbeit und den Gewinn des Unternehmens zu koppeln.

Dass solche Ideen jetzt aufkommen, in der Fachpresse gemeldet und reichlich diskutiert werden, zeigt erst, wie pervers die Lage an der Wall Street in den letzten Jahren war. Bei Goldman Sachs und den Konkurrenten, darunter Morgan Stanley und die schon fast vergessenen Merrill Lynch, Bear Stearns und Lehman Brothers, hatten die Boni für Top-Manager schon lange ihre klassische Bedeutung verloren. Wie jeder Latein-Schüler weiß, sollten diese Extrazahlungen am Jahresende ursprünglich einmal besonders gute Arbeit belohnen – garantierte Boni ohne Bezug zur geleisteten Arbeit machen keine Sinn.

An der Wall Street waren sie Managern aber seit Jahren in die Verträge geschrieben, womit sich die Firmen – hinterher ist man immer schlauer! – wohl selbst ein Grab geschaufelt haben. Denn der Bonus hatte plötzlich seine eigentliche Funktion verloren: die Manager anzuspornen, aber auch bei Vernunft zu halten. Immerhin: Zu hohes Risiko nimmt keiner nicht in Kauf, wenn nicht nur ominöse Anleger-Milliarden, sondern auch das eigene Weihnachtsgeld gefährdet sein könnten.

An der Wall Street könnte der Bonus-Verzicht eine Welle auslösen. Denn wo ein Unternehmen mutig voranschreitet, verlieren die anderen das einzige Argument, dass sie in ihrer Gier am bisherigen System hätte festhalten lassen können: den Gruppenzwang. Auf den hatte man sich in den letzten Wochen immer wieder berufen. Man könne die Boni im Interesse des Unternehmens nicht senken, hieß es, weil dann die Top-Leute zur Konkurrenz überlaufen könnten.

Wenn nun alle senken, ist diese Gefahr gebannt. Allerdings ist zur Zeit nicht klar, ob und vor allem wie weit „alle“ ihre Sonderzahlungen senken werden. Selbst bei Goldman Sachs sind Fragen offen. Noch in der vergangenen Woche hieß es, dass man 11 Milliarden Dollar für die Bonuszahlungen an insgesamt 433 Manager zurückgestellt habe. Jetzt heißt es, dass sieben Manager verzichten… da bleiben ja noch 426 übrig, die offensichtlich weiterhin glauben, für gute Arbeit belohnt werden zu müssen.

So ist völlig klar: Eine radikale Reform muss her. Ein Bonus ist nur zu zahlen, wenn ein Unternehmen die Erwartungen (Umsatz, Gewinn, Marktanteil, etc.) erfüllt oder sogar schlägt. Wenn nicht, dann gibt es keinen Bonus – und wenn ein Quartals- oder Jahresverlust gemacht wird, dann schon gar nicht.

Erstaunlich viele Insider an der Wall Street stehen einer solchen Reform mittlerweile offen gegenüber, wie sich ganz klar an den Blogs erkennen lässt. Wo man noch vor ein paar Monaten den freien Kapitalismus, Risiko und Gier ungebremst gefeiert hat, sind erstaunlich viele zur Vernunft gekommen. Sie sehen, dass sich das System Wall Street selbst zerstört hat… was zu retten ist, muss gerettet werden. Und dafür lohnt es sich, Opfer zu bringen.
© Inside Wall Street
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