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Alt 03-10-2008, 18:21   #898
Starlight
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Der Frust der Volkswirte
Freitag, 3. Oktober 2008

Dass Amerika auf einem steilen Weg bergab ist, bestreitet längst keiner mehr. Und die jüngsten Arbeitsmarktzahlen bestätigen, dass die Rezessionsängste, die Skeptiker seit langem hegen. Umso dringender bemüht sich Washington, noch vor Wochenschluss das viel diskutierte Rettungspaket für die Wall Street zu verabschieden. Ob es hilft?

Das Rettungspaket für die Wall Street, das zunächst auf 700 Milliarden Dollar taxiert war und dann mit völlig überflüssigen und von Steuerzahlerverbänden massiv kritisierten Zusätzen auf 850 Milliarden Dollar aufgebläht wurde, dürfte am Freitagmittag vom Repräsentantenhaus verabschiedet werden. Daran ändern auch unzählige Demonstrationen nichts, bei denen tausende von Bürgern gefordert haben, dem Spuk ein Ende zu machen und nicht mit Steuergeldern die Banken freizukaufen.

Die Abstimmung im Senat, wo das Rettungspaket mit einer Dreiviertel-Mehrheit abgesegnet wurde, hat gezeigt, dass US-Politiker auch unter dem großgeschriebenen Motto „Change“ zu eben diesem Wechsel doch nicht bereit sind. Zu mächtig sind die Banken, als dass man ihnen diesmal Hilfe aus Washington verweigert hätte. Dabei hätte man das durchaus tun und das Rettungspaket ablehnen können, meinen zumindest führende Volkswirte. Die kaufen das Argument nicht, dass Washington sich gerade zum kleineren Übel durchringe und keine andere Chance habe. Im Gegenteil: Viele - darunter einige aus dem Obama- oder McCain-Lager sowie politisch unabhängige – halten die 451 Seiten starke Vorlage für wirkungslos.

Jonathan Berk, Finanzprofessor an der renommierten Stanford University, war „noch nie so frustriert. (…) Die Politiker wissen nicht was sie tun, sie kennen sich in der Materia überhaupt nicht aus.“

Für einige Volkswirte beginnt es damit, dass Washington die Situation nicht richtig einschätze und das Rettungspaket zu groß und zu weitläufig gemacht habe. „Einige Boote sinken“, erklärt John Cochrane von der University of Chicago Business School. „Statt diese Boote zu retten, sprengt man den Damm und flutet den ganzen See.“

Auch Robert Hansen von der Tuck School of Business am Dartmouth College meint, das ein Eingreifen der Regierung wohl nötig ware. „Aber ein Eingreifen in dieser Höhe? Nein.“ Der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel McFadden, Professor in Berkeley, sieht die USA mittlerweile da, “wo die Sowjetunion 1988 war”, nämlich ein Jahr vor ihrem Zusammenbruch.” McFadden sieht dringenden Handlungsbedarf, sagt aber: „Ich glaube nicht, dass das (aktuelle Paket) ein gutes Paket ist.

Die Mängelliste der Experten ist lang, doch in einigen Punkten sind sich die meisten Experten einig: Sie glauben, dass das Paket nicht nur zu groß und zu teuer ist, sondern dass es auch am falschen Ort einsetzt. Sie halten zudem die zahlreichen Einschübe für überflüssig, mit denen sich Kritiker Steuervergünstigungen für alle möglichen Sonderprojekte und einzelne Branchen gesichert haben. Diese haben mit dem eigentlichen Paket nichts zu tun und scheinen nur ihren Weg in das Gesetz gefunden zu haben, um skeptischen Abgeordneten eine Ja-Stimme abzutrotzen.

Unterm Strich ist das Rettungspaket für die Wall Street also für Wirtschaftsexperten und für die Mehrheit des Volkes eine Katastrophe. Durchkommen dürfte es dennoch, und in bezug auf die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen wirft das zumindest eine Frage auf: Während sich das Stimmenverhältnis zwischen Barack Obama und John McCain – beide stimmten im Senat für das Paket – nicht verändert hat, fragt sich, ob Wähler ihren Frust anderweitig zeigen und am Ende etwa die mühsam erarbeitete Wahlbeteiligung leidet.
© Inside Wall Street
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