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Alt 21-05-2008, 17:51   #1050
Starlight
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Gedanken an der Tankstelle


Im US-Bundesstaat New Jersey, wo ich seit einigen Jahren wohne, dürfen Autofahrer per Gesetz nicht selbst tanken. Der Job ist dem Tankwart überlassen, woran man sich gerne gewöhnt. Auf dem Heimweg von Washington, D.C. musste ich jüngst in Maryland meinen Tank auffüllen, und erlebte die Nebenwirkungen steigender Ölpreise.

An einer Tankstelle am „Interstate 95“, der die Ostküste von Florida bis Maine bedient, hatte ich mich in die falsche Spur verirrt. Statt an eine Zapfsäule mit Selbstbedienung zu fahren, hatte ich mich in das Revier des Tankwartes verirrt, der außerhalb New Jersey wohlgemerkt kein Service-Monopol genießt. Er bot an, mich zu betanken, was „nur 15 Cent mehr kosten würde“ – pro Gallone, versteht sich.

Ich lehnte dankend ab und rangierte an eine andere Zapfsäule. Benzin ist ohnehin so teuer wie nie zuvor, da muss ich nicht noch draufzahlen. Der Tankwart, ein Student aus der Gegend, tat mit ein wenig leid, und auf Nachfrage bestätigte er: Kaum ein Autofahrer lässt mehr tanken. „Früher haben wie etwa die Hälfte der Autos bedient“, meinte der junge Mann, „heute sind es nur noch Ausnahmen.“ Wie lange er seinen Nebenjob überhaupt halten könne, wisse er nicht.

Ich konnte den Tankwart nicht aufmuntern, denn mir ist ebenso wie ihm klar, dass es für den Ölpreis und damit auch Benzin nur eine Richtung gibt: nach oben. Daran wird sich auf lange Zeit nichts ändern. Autofahrer sollten sich daran gewöhnen, vielleicht die Hintergründe dieser Entwicklung überdenken – und aufhören zu jammern.

Wer noch immer nicht weiß, warum es für den Ölpreis – der immerhin 70 Prozent der Benzinkosten ausmacht – keine Trendwende geben wird, und wer sich das auch jüngst von Goldman Sachs und vom Öl-Milliardär und Rohstoff-Guru Boone Pickens in aktuellen Analysen nicht einfach so sagen lassen will, dem sei alles noch einmal erklärt:

Der niedrige Ölpreis in den Neunzigerjahren, als Amerikaner 90 Cent pro Gallone (etwa 3,7 Liter) zahlten, hat zu einem rasant steigenden Konsum geführt – etwa zur gewaltigen Verbreitung der Sprit-schluckenden SUV. Gleichzeitig versäumten die Öl-Konzerne, neue Fördergebiete zu erschließen oder Raffinerien zu bauen.

Seit die Öl-Nachfrage in den Schwellenländern dramatisch zugelegt hat, kommt es nun zu Engpässen. Wer mehr Öl braucht, bekommt es nicht, denn die globale Nachfrage ist nie durch ein höheres Angebot ausgeglichen worden.

Diese Knappheit hat wiederum in den letzten Jahren zu einer Vielzahl von geopolitischen Konflikten geführt. Vor allem Förderstaaten außerhalb der Opec – etwa Russland – versuchen, über ihre Öl-Vorkommen mehr politische Macht zu gewinnen. Doch auch innerhalb der Opec gibt es Unstimmigkeiten: Iran und Venezuela versuchen immer wieder, ein größeres Stück des Öl-Marktes zu gewinnen. Das wenig diplomatische Auftreten des Verbraucherlandes USA mit seiner völlig fehlgeleiteten Besatzung des Irak hat die Lage noch mehr gespannt und endgültig den Weg für steigende Preise geebnet.

Dass sich schließlich Spekulanten einschalteten, deren Aktivitäten den Preis zusätzlich anheizen, ist angesichts der Gesamtentwicklung auf dem Rohstoffmarkt fast schon nebensächlich. Nachweisbar ist der Effekt aber. In den letzten fünf Jahren hat sich das Handelsvolumen mit Öl-Kontrakten an der Nymex etwa verdoppelt. Doch den Anlegern die Schuld an den rasant steigenden Preisen zu geben, wäre nicht nur falsch, sondern hätte verheerende Folgen: Wer sich somit nämlich auf eine Preisblase verlässt, wer die fundamentalen Probleme in einem Markt mit eng begrenztem Angebot verkennt und entsprechend nichts unternimmt, der trägt zu langfristigen Preissteigerungen bei.
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