Sell in May… oder vielleicht doch nicht?
Freitag, 2. Mai 2008
„Sell in May and go away“ ist eine bekannte Investmentregeln an der Wall Street. Jetzt hat der Mai begonnen, und damit wäre es Zeit, im Portfolio aufzuräumen und kräftig Aktien zu verkaufen. Doch die Performance der letzten Monate lässt Anleger zweifeln: Können die nächsten Monate wirklich noch schlechter werden als die letzten sechs?
In diesem Jahr scheint nämlich einiges anders zu laufen, als es die traditionellen Börsenregeln vorschreiben. Schauen wir zunächst einfach auf die beiden Halbjahre im genannten Sprichwort:
Allgemein gelten die Monate von November bis April als die besten sechs Monate des Jahres – und historisch stimmt das: Wer anno 1950 einen Betrag von 10 000 Dollar immer von Mai bis Oktober in Bonds und von November bis April in Aktien investiert hatte, der hätte heute laut den Berechnungen des Stock Traders Almanac 578 413 Dollar auf dem Konto. Wer es genau andersrum getan hat, dem wären bis heute schlappe 341 Dollar geblieben.
Das liegt an verschiedenen saisonalen Faktoren. Die Boni zum Jahresende, der hohe Konsum, das Weihnachtsgeschäft und das gewöhnlich starke erste Quartal in vielen Branchen helfen dem Aktienmarkt für gewöhnlich auf die Sprünge, während das Sommerloch die Bullen einschläfert und die Börse drückt.
Doch in diesem Jahr war der April gerade einmal der erste der „sechs besten Monate“, in denen es der breite Markt überhaupt ins Plus geschafft hat. Für das letzte Halbjahr kommt die Wall Street auf ein Minus von 8 Prozent. Damit hätten wir die schlechtesten „besten sechs Monate“ seit 35 Jahren hinter uns. Zwischen November und April ging es zuletzt während der Ölkrise im Jahr 1973 bergab, als der Dow wegen des Embargos der Opec und der damit verbundenen konjunkturellen Schwierigkeiten etwa 12 Prozent abgab.
Die April-Gewinne drücken nun für die nächsten Monate einen unerhörten Optimismus aus, wird doch an der Wall Street die Zukunft gehandelt. Verkaufen dürfte also die falsche Strategie sein, zumal das Stimulus-Paket der Regierung in den nächsten Wochen Schecks in die Briefkasten der Steuerzahler schicken und damit den Konsum ankurbeln dürfte. Und zumal mit der Rettung von Bear Stearns erst kürzlich Licht am Ende des Kreditkrisen-Tunnels gesehen wurde.
Zahlreiche Analysten tun sich nach den Enttäuschungen der letzten Monate aber schwer, jetzt optimistisch zum Einstieg zu raten. Schließlich ist die Wall Street zweigeteilt, wenn es um die Frage einer Bodenbildung gehen: Der beste Weg für Anleger dürfte – wir so oft – in der Mitte liegen und lauten: Abwarten! Zumindest bis in drei Monaten die Quartalszahlen für das zweite Vierteljahr vorliegen und sich der weitere Trend etwas besser beurteilen lässt.
© Inside Wall Street
|