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Alt 12-03-2008, 19:49   #812
Starlight
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Spitz, Spitzer… untragbar?


Einen Tag nachdem der New Yorker Gouverneur Eliot Spitzer einen Sex-Skandal zugeben musste, der den einstigen Saubermann seine politische Karriere kosten könnte, jubelt die Wall Street noch immer. Im Finanzdistrikt war Spitzer nämlich äußerst unbeliebt. Derweil verliert das Volk allmählich den Glauben an die Politik.

„Er hat diesen Laden hier kaputt gemacht“, zeterte ein Broker am Dienstagmorgen am Eingang zur New Yorker Börse. Das ist nicht ganz nachvollziehbar. Denn Eliot Spitzer – damals noch Generalstaatsanwalt – hat vor fünf Jahren nicht etwa Marktwirtschaft und Kapitalismus zerstört, sondern lediglich in den dunkelsten Ecken des Gentlemen’s Club an der Wall Street aufgeräumt.

Der Wall Street und besonders der New York Stock Exchange hat das gut getan. Seit der damalige Börsen-Chef Dick Grasso samt seiner Milliarden-Abfindung das Haus verlassen hat, ging es für die NYSE steil aufwärts. Unter der Führung des ehemaligen CEO John Thain wurde die NYSE in ein börsennotiertes Unternehmen umgewandelt, verschmolz mit der pan-europäischen Euronext zu einer der wichtigsten globalen Börsen, expandierte den elektronischen Handel und das Geschäft mit Futures und Optionen, übernahm zuletzt die American Stock Exchange… und sah den Aktienkurs zeitweise auf das Doppelte der Erstnotierung steigen. (Seit etwa einem Jahr leidet die NYSE-Aktie ebenso wie andere Finanzwerte und hat etwa die Hälfte ihres Wertes eingebüßt.)

Abseits der NYSE hat Spitzer die Machenschaften zahlreicher Banken und Brokerhäuser gestoppt, bei denen Investmentbanker und Analysten Hand in Hand arbeiteten und auf Kosten der nichtsahnenden Anleger Wertpapier-Einschätzungen fälschten, nachbörlich handelten, IPO-Zuteilungen nur noch in Insider-Kreisen vornahmen… kurz: so organisiert die Spielregeln verletzten, dass sie letztlich Geldbußen von insgesamt mehr als 2 Milliarden Dollar zahlen mussten.

Schaut man allein auf den Erfolg der Spitzer’schen Aufräumarbeiten vor seiner Zeit als Gouverneur, kann man dem Mann also nicht viel vorwerfen. Was ihm an der Wall Street aber Feinde für’s Leben verschaffte, waren Spitzers Ermittlungs- und Verhandlungstaktiken. In Verhören zerstörte er die Glaubwürdigkeit seiner Zeugen oft, in dem er ihnen private und moralische Verfehlungen unter die Nase rieb, etwa heimliche uneheliche Kinder oder Kontakt zu Prostituierten.

Dass nun, keinen fünf Jahr später, Spitzer selbst die Dienste eines Prostituierten-Rings nutzte, ist blanke Ironie. Er hat sich damit als völlig bigott geoutet und seine hohen ethischen und moralischen Standards als nicht mehr als heiße Luft. Details aus den Ermittlungsunterlagen gegen „Kunde Nr. 9“ zeigen zudem, dass der New Yorker Gouverneur allgemeine Standards noch weit unterboten hat.

So verschaffte er sich offensichtlich nicht nur außerehelichen Sex, sondern verlangte bei seinen „sieben oder acht Terminen“ nach „Dingen, die man vielleicht als unsicher bezeichnen könnte“. Er galt bei dem betroffenen Service Emperors Club VIP als schwieriger Klient – wenn auch als einer, der aufgrund seiner Machtposition durchaus in den Kundenkreis „global führender Herren“ passte. Zumal er offensichtlich bereit war, den üblichen Preis von bis zu 5500 Dollar pro Stunde zu entrichten.

Wieviel – und wie – Spitzer für die Dienst der Prostituierten gezahlt hat, ist ein wichtiger Punkt für die Ermittler. Es besteht der Anfangsverdacht, dass der Gouverneur seine Zahlungen an den Emperors Club VIP tarnte und sich damit möglicherweise der Vertuschung schuldig machte. In Online-Foren wird zudem allerorten gemutmaßt, wie Spitzer sich 5500-Dollar-Frauen haben leisten können; immerhin verdient der New Yorker Gouverneur relativ bescheidene 179 000, von denen er nach Steuern eine fünfköpfige Familie finanziert.

Zu den moralischen Verfehlungen kommen nun also schwerwiegende monetäre Vorwürfe ins Spiel, mit denen Eliot Spitzer jene Glaubwürdigkeit verliert, die ihm vor zwei Jahren einen Erdrutschsieg in den Wahlen beschert hat. In politischen Kreisen in der New Yorker Hauptstadt Albany gilt Spitzer als Gouverneur bereits weitgehen als untragbar. Das wiederum schlägt sich auf den Präsidentschaftwahlkampf nieder. So stellt sich die Frage, ob Hillary Clinton – wie Spitzer bei den New Yorker Demokraten gemeldet – den Rücktritt des ehemaligen Unterstützers fordern wird, um politischen Schaden von sich selbst abzuwehren.

Zudem dürften einige Politiker aufhorchen, die zuletzt im Rennen um die Präsidentschaft standen. So wird bereits diskutiert, ob sich Rudy Giuliani nach seinen gescheiterten Bemühungen um das Weiße Haus einen Job in Albany vorstellen kann. Auch der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg, der eine Kandidatur als Präsident endgültig abgelehnt hat, dürfte vorgeschlagen werden.

Wer Spitzer bislang von einem Rücktritt abgeraten hat, ist ausgerechnet seine betrogene Ehefrau. Die stand – wie das in Amerika zur Schadensbegrenzung üblich ist – bei Spitzers Pressekonferenz schräg hinter ihm. Doch wird sie nicht das letzte Wort sprechen; Meldungen aus Albany werden zur Zeit an der Wall Street und im Rest der USA minütlich verfolgt.
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